• «Ich denke, dass ich immer eine politische Person mit politischem Engagement und politischem Interesse sein werde», sagt Adrian Wüthrich. · Archivbild: Thomas Peter

30.10.2023
Huttwil

Die Enttäuschung hält sich in Grenzen

Während die SP bei den Nationalratswahlen im Kanton Bern ein positives Resultat erzielt hat, ist es Adrian Wüthrich nicht gelungen, in den Nationalrat zurückzukehren. Die Gründe liegen auf der Hand: Während die Frauenliste einen Sitz gewinnen konnte, gelang dies der Männerliste nicht. Die Enttäuschung ist beim Huttwiler zwar vorhanden, hält sich aber in Grenzen.

32 309 Stimmen hat Adrian Wüthrich bei der Nationalratswahl am letzten Sonntag erhalten. Grundsätzlich kein schlechtes Ergebnis. «Persönlich kann ich damit zufrieden sein», sagt der Huttwiler. Klar ist aber auch: Die Nationalratswahlen sind per se nicht nur Personen-, sondern vor allem auch Parteiwahlen.
Und dort ist die Konstellation für den Huttwiler irgendwie speziell. Zwar durfte sich seine Partei über einen Sitzgewinn und entsprechend gute Resultate freuen, Adrian Wüthrich hilft dies aber nicht weiter. Denn: Während die Frauenliste um 3,7 Prozent zugelegt hat, konnten die Männer nur um 0,2 Prozent zulegen. Die Männerliste hat somit nur den bereits vorhandenen Sitz verteidigt, aber keinen dazugewonnen. «Darauf habe ich gehofft», sagt Adrian Wüthrich, der insbesondere diesen Umstand enttäuschend fand. Die Männerliste sei gut gewesen, fand er, weshalb er hoffte, hinter Ueli Schmezer als lachender Dritter den ersten Ersatzplatz zu ergattern. Dies auch, weil man weiss, dass Matthias Aebischer die letzte Legislatur absolvieren kann und deshalb vor Legislaturende zurücktreten könnte. «Dass ich direkt gewählt werde, habe ich nicht erwartet», meint er weiter, dass es jetzt aber auch nicht der erste Ersatzplatz geworden ist, sei tatsächlich schade. Schmezer, der nun auf dem ersten Ersatzplatz klassiert ist, sammelte 17 000 Stimmen mehr als Wüthrich, der gewählte Matthias Aebischer sogar 42 000 Stimmen mehr.

Männliche Wähler vor Kopf gestossen
Auffallend ist ausserdem, dass Adrian Wüthrich als drittplatzierter SP-Mann weniger Stimmen gesammelt hat, als jede Frau auf der SP-Frauen-Liste. Ist Wüthrich also das Gleichberechtigungsthema zum Verhängnis geworden? «Als Partei sprechen wir mit unseren Themen natürlich viele Frauen an. Themen wie Gleichberechtigung oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie finde auch ich sehr wichtig. Uns ist es aber zu wenig gelungen, aufzuzeigen, dass wir für Männer genauso wählbar sind.» Auch habe er in den letzten Monaten immer wieder festgestellt, dass man potenzielle männliche Wähler mit gewissen Aussagen vor den Kopf gestossen habe. «Wenn wir unseren Wähleranteil weiter vergrössern wollen, müssen wir uns überlegen, ob wir dies vielleicht wieder stärker berücksichtigen sollten.»
Adrian Wüthrich zielt mit diesen Worten sicherlich auch auf Tamara Funicellos Aussagen ab, die sich unter anderem über «weisse, reiche, alte Männer» enervierte, nachdem die SP die AHV-Reform-Abstimmung im letzten Jahr verlor.
Nicht abzustreiten ist aber zudem auch, dass man als SP-Mann gegen die SP-Frauen schon grundsätzlich im Nachteil ist. Auch in diesem Punkt ist der 43-Jährige zwiegespalten, wie seine Partei künftig vorgehen sollte. «Es war unter den Kandidaten ein Miteinander. Männer und Frauen haben sich gleichermassen auch für das Parteiwohl engagiert. Letztlich ist es aber nicht wegzudiskutieren, dass es auch ein Thema von ‹Liste drei gegen Liste vier› ist. Sicherlich muss diskutiert werden, ob man mit gebündelten Kräften noch mehr Stimmen sammeln kann.» Zugleich habe er sich über das Resultat der Frauen und allgemein seiner Partie sehr gefreut, ergänzt er, und dieses sei nicht zuletzt dank einem hervorragenden Resultat von Flavia Wasserfallen entstanden.

Zukunft ist offen
Wie die politische Karriere von Adrian Wüthrich nun weiter geht, steht indes in den Sternen. «Immerhin konnte ich bereits anderthalb Jahre im Nationalrat dabei sein. Das lindert die Enttäuschung für mich. Die speziellen Momente, darunter die Vereidigung, durfte ich bereits kennenlernen», erklärt er weiter. Immerhin sei er einer von bisher nur drei Huttwiler Nationalräten. Auch wenn er gerne gewählt worden wäre, könne er die Nicht-Wahl gut akzeptieren. Mit seinem Job bei Travailsuisse als Präsident und somit als Vertreter der Arbeitnehmerschaft sei er politisch weiterhin engagiert, Gleiches gilt auch bei seinem Amt als Präsident der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung (EBH). «Ich wurde als Travailsuisse-Präsident wiedergewählt und sehe dort grosse Herausforderungen auf mich zukommen. Ohne zusätzliches Amt kann ich mich diesen Herausforderungen noch besser widmen.»
Als Familienvater freue er sich auch darauf, genügend Zeit für die eigene Familie zu haben, das habe er bereits die letzten vier Jahre sehr genossen. «Ob ich in naher Zukunft wieder ein politisches Amt annehmen möchte, kann ich deshalb nicht sagen. Über eine Wahl in den Nationalrat hätte ich mich sehr gefreut, schliesse aber auch andere Ämter nicht aus.» Selbst eine Rückkehr in den Gemeinderat von Huttwil oder den Berner Grossrat schliesse er nicht aus, beides habe ihm Spass gemacht, «aber auch das muss gut überlegt sein. Und das habe ich noch nicht getan und lasse mich selbst überraschen.» Gleiches zähle übrigens auch für die nächsten nationalen Wahlen in vier Jahren. «Vor vier Jahren habe ich gesagt, dass ich erst 39 bin. Jetzt bin ich erst 43. Viele Politiker werden gewählt, wenn sie noch älter sind.» Entsprechend sehe er für seine politische Zukunft viele Möglichkeiten und noch kein Ende. «Ich denke, dass ich immer eine politische Person mit politischem Engagement und politischem Interesse sein werde», sagt Adrian
Wüthrich. Dies sei nicht unbedingt an ein politisches Amt gebunden.

Von Leroy Ryser