• Die Wirtschaftsvertreter des Oberaargaus haben die Produktionsstätte in drei Gruppen besucht. · Bild: Leroy Ryser

15.12.2017
Huttwil

Die glutenfreien Herausforderungen

Beim kleinen Wirtschaftsgipfel vom Wirtschaftsverband Oberaargau drehte sich alles um «Glutenfree-Produkte». Am Standort der ehemaligen Teigwarenfabrik werden von der Jowa nämlich ausschliesslich solche Back- und Teigwaren produziert.

 

Für gewöhnlich referiert an den Anlässen des Wirtschaftsverbandes Oberaargau ein Referent über ein Wirtschaftsthema, ehe der Standort des Treffens bei einer Führung genauer unter die Lupe genommen wird. Beim letzten diesjährigen Treffen, dem kleinen Wirtschaftsgipfel in Huttwil, wurde das Referat auch gleich von der Firma am Standort übernommen, hatte diese doch selbst interessante Fakten zu berichten. Der Treffpunkt des Anlasses war die Huttwiler «Teigi», wie sie früher einmal genannt wurde. Heute werden dort unter dem Namen der Jowa AG, einem Migroskonzern, Produkte hergestellt, die ausschliesslich glutenfrei sind. «Die Entwicklung in den letzten Jahren in diesem Bereich ist extrem», sagte Standortchef Rochus Liniger und sprach damit einerseits die Forschung, aber auch die Verkaufszahlen an. Glutenfreie Produkte seien einerseits im Trend, gerade aber wer an Zöliakie erkrankt, ist aus gesundheitlichen Gründen auf glutenfreie Produkte angewiesen. Produkte mit Gluten können erkrankte Menschen nicht richtig abbauen, Durchfall oder Bauchkrämpfe können die Folge sein.

Herausforderung: Kontamination
Gerade um diesen Menschen Produkte anzubieten, die sie mühelos ertragen, sind die Vorschriften sehr hoch. Kommen glutenfreie Backwaren mit Gluten in Berührung, sind sie kontaminiert und für jene Menschen nicht mehr essbar. Deshalb war die glutenfreie Produktion nicht von Beginn weg erfolgreich. «Ursprünglich wurde in Volketswil, am Hauptstandort der Jowa, produziert und geforscht. Weil dort aber auch andere Back- und Teigwaren hergestellt werden, wurde das zum Problem.» Als ausserdem entschieden wurde, dass in Baar anstatt in Huttwil Teigwaren produziert werden, war der Standort Huttwil frei für ein neues Projekt. Seit 2012 werden deshalb glutenfreie Produkte hergestellt, eine kleine Forschungsabteilung und ein Labor gibt es in Huttwil ebenfalls. Damals wurden 5,7 Millionen Franken investiert, ehe zu Beginn sechs glutenfreie Produkte auf den Markt gebracht wurden. Noch zu Beginn erlebte die Produktion einzelne Startschwierigkeiten, weil gerade Brot viel zu trocken war und das entsprechende Aroma noch fehlte. Entsprechend wurde die Produktion rasch ausgebaut und verbessert.

Herausforderung: Herstellung
Obwohl in Huttwil nur glutenfreie Back- und Teigwaren produziert werden, bleibt die Kontamination von Lebensmitteln die grosse Herausforderung. «Die Sicherheit steht bei uns an erster Stelle», erklärte Rochus Liniger später auch während dem Rundgang. Beim Besuch der Produktionsstätten muss Schmuck abgelegt werden, Haare gehören unter die Haube, sogar Kugelschreiber dürfen nur spezielle verwendet werden. Entsprechend mussten sich auch die Besucher des WVO-Events zuerst umkleiden, Hände desinfizieren und Hauben anziehen, bevor der Rundgang starten konnte.
Derweil hält sich der ganze Produktionsablauf an strikteste Regeln, Arbeitsvorgänge werden haarklein ausgeführt und bleiben auch zeitlich stets gleich. «Die Herausforderung vom glutenfreien Backen ist, dass Struktur fehlt. Normales Brot kann geknetet und geformt werden. Ohne Gluten geht das gar nicht.» Als Ersatz werden teilweise bis zu 70 Rohstoffe für ein Produkt verwendet, bis zuletzt soll der Unterschied zu einem «normalen» Brot in Form und Geschmack möglichst klein sein.
Tatsächlich mussten bis zuletzt auch die Wirtschaftsverteter zugeben, dass das Resultat dem gewohnten Original nahe kommt. «Vielleicht etwas zu wenig Salz», kommentierte eine Testerin, Rochus Liniger erklärte aber, dass glutenfreie Produkte meist salzarm sind, weil glutenfrei lebende Menschen ein feines Empfinden haben und deshalb absichtlich nur wenig Salz beigemischt wird.
Bevor aber produziert wird, müssen sämtliche Rohstoffe genaustens kontrolliert werden. Beispielsweise Schweizer Mais ist für die glutenfreie Produkte unbrauchbar, da er meist von Samen anderer Gewächse noch vor dem Pflücken kontaminiert wird. Entsprechend werden alle Rohstoffe vor der Auslieferung genaustens kontrolliert und getestet. Nach der Produktion und vor der Auslieferung werden die Produkte in einem Reinraum noch einmal überprüft, allenfalls geschnitten und verpackt, ehe sie wegtransportiert werden.

Herausforderung: Vertrieb
Was danach folgt, ist ebenso herausfordernd. Für die Migros wird unter dem Namen Jowa AG produziert und verkauft, damit die Migros aber nicht konkurriert wird, vertreiben die Verantwortlichen die Produkte unter dem Namen «Huttwiler glutenfree» ins Ausland und an Dritte. Unter beiden Namen werden jährlich 271 Tonnen Backwaren und 80 Tonnen Teigwaren hergestellt.
Das zeigt, dass glutenfreie Produkte tatsächlich im Trend liegen. Das hat auch damit zu tun, dass nicht nur Zöliakie-Geplagte auf «Glutenfree» zurückgreifen, sondern auch immer mehr «Lifestyler». Glutenfreie Produkte sind im Trend, weil sie gut verträglich sind. Die letzte Herausforderung bleibt der Preis, dieser ist verhältnismässig – aufgrund der strikten Richtlinien – weiterhin hoch. Vielleicht ist der Vormarsch der glutenfreien Produkte auch deshalb vorerst noch verhalten. Führungen wie jene des WVO entfachen bei den Besuchern aber zweifellos ein grosses Interesse.

Von Leroy Ryser