Die grosse Schwierigkeit, den Trainingsalltag aufrechtzuerhalten
Géraldine Ruckstuhl, Siebenkämpferin aus Altbüron – Géraldine Ruckstuhl aus Altbüron versucht auch während der Coronavirus-Krise ihren Trainingsalltag möglichst normal aufrechtzuerhalten. Dies gestaltet sich für die 22-jährige Siebenkämpferin in den letzten Tagen äusserst schwierig. Auch der Versuch eines Trainingslagers im Sportmekka Magglingen – abgeschottet von der Aussenwelt – scheiterte.
Leichtathletik · Géraldine Ruckstuhl, beste Siebenkämpferin des Landes, versuchte in den letzten Tagen trotz der Coronavirus-Krise den Trainingsalltag aufrechtzuerhalten. «Mit Fortdauer wurde dies immer schwieriger», sagt die Altbürerin. «Auf einmal waren alle Sportanlagen und -plätze geschlossen oder gesperrt.» Die ehrgeizige Siebenkämpferin wollte ihr Training aber unbedingt fortführen, was bei sieben Disziplinen im gleichen Wettkampf auch nachvollziehbar ist. «Ich musste mir etwas einfallen lassen.» Und die 22-Jährige kam auf eine unkonventionelle Idee. Sie durfte in in ihrer Heimgemeinde vor der Schliessung Sportmaterial aus der Halle ausleihen. «Anschliessend habe ich quasi aus dem Auto trainiert», schmunzelt die amtierende U23-Siebenkampf-Europameisterin. Und zwar an einem ganz speziellen Ort. «Ich bin immer mit dem Auto zu einer abgelegenen Landstrasse mit Fahrverbot unweit entfernt von meinem Daheim gefahren. Auf diesem Strässchen habe ich dann meine Trainingslektionen abgehalten», erzählt die Ausnahmeathletin. Hürden und weitere Trainingshilfen hatte sie in ihrem Auto mitgebracht. «Es war die einfachste Möglichkeit, ohne Kostenfolgen weiter zu trainieren.»
Nicht ausreichend
Obwohl dieses Freilufttraining «Marke Eigenbau» grossen Spass bereitete, kam die Schweizer Rekordhalterin im Siebenkampf zum Schluss, dass es nicht ausreicht, um sich optimal in Form zu halten. Gerade eine Hoch- und Weitsprunganlage sind zwingend, um den Trainingsaufbau vorantreiben zu können. Darum hat sich Géraldine Ruckstuhl zu einem weiteren Schritt entschlossen. Am vergangenem Mittwoch reihte sich die Speerwurf-Spezialistin unter die wenigen Sportler, die unter strengen Auflagen in Magglingen trainieren. «Ich habe mich dazu entschlossen, um sportlich nicht einen Stillstand zu erleben.» Die Auflagen sind hart. Nach einer Selbstquarantäne erfolgte beim Eintritt eine gesundheitliche Musterung. Géraldine Ruckstuhl darf die ganze Aufenthaltsdauer über das Nationale Sportzentrum Magglingen hoch über dem Bielersee nicht mehr verlassen. Die Trainings muss sie alleine absolvieren, denn die Anwesenheit eines Trainers ist nicht erlaubt. Im Bellavista direkt neben dem Trainingsgelände hat Ruckstuhl ein Einzelzimmer.
Familienkontakt via Skype
«Klar wird es schwierig, eine längere Zeit die Familie nicht sehen zu können. Doch im heutigen Internet-Zeitalter kann ich täglich mit Skype bildlichen Kontakt zu ihnen aufnehmen.» Diese technische Möglichkeit nutzt Géraldine Ruckstuhl in Magglingen auch für den Austausch mit ihren Trainern. «So ist es gar nicht so schlimm. Und die besondere Situation verlangt die speziellen Massnahmen», zeigt sich Ruckstuhl verständig.
Soweit so gut. Doch am Freitag nahm die geplante dreiwöchige Magglinger Aufenthaltsdauer von Ruckstuhl ein jähes Ende. Am Freitag hat das Bundesamt für Sport (BASPO) beschlossen, das Sportzentrum in Magglingen vollständig zu schliessen. Drei Gründe führten zu diesem Entscheid, wie Christoph Lauener, Leiter Kommunikation des BASPO, dem «UE» mitteilte: «Neben den Olympischen Sommerspielen wurden und werden zahlreiche weitere internationale Sportanlässe verschoben oder abgesagt. Laufend kommen weitere dazu. Damit hat sich für viele Sportlerinnen und Sportler die Saison- und Trainingsplanung verändert. Zweitens nimmt die Zahl der positiv getesteten Personen in der Schweiz weiter zu. Und dann ist im Umfeld der Spitzensportförderung der Armee, mit Sitz in Magglingen, ein Verdachtsfall aufgetreten. Die notwendigen Abklärungen laufen.» Damit musste Géraldine Ruckstuhl kurz nach ihrer Anreise das Magglinger Trainingsgelände wieder verlassen. «Dies ist natürlich Pech. Doch wir hatten keine andere Wahl als den Trainingsbetrieb einzustellen», informiert Lauener. «Damit bin ich wieder gleich weit. Ich stehe ohne ideale Trainingsmöglichkeiten da», meint Ruckstuhl zur schwierigen Sportsituation. Wenigstens verfügt das regionale Leichtathletik-Aushängeschild über einen eigenen Kraftraum.
Neuer Fokus ist die EM in Paris
Über die Verschiebung der Olympischen Spiele 2020 in Tokio zeigt sich Ruckstuhl erleichtert. «Ich bin froh, dass ich nun weiss, worauf ich den Fokus legen muss.» Das Training der Altbürerin richtet sich nun auf die Leichtathletik-Europameisterschaft, die vom 26. bis 30. August 2020 im Stade Charléty in Paris stattfinden soll. «Es ist gut, ein Ziel zu haben. Ich hoffe, dass bis dahin die Coronavirus-Krise überwunden ist und faire Titelkämpfe möglich sind.» Bis ein normaler Trainingsbetrieb wieder möglich sein wird, dürfte es noch etwas dauern. Bis dahin muss sich die 63-fache Schweizermeisterschafts-Medaillengewinnerin wieder mit unkonventionellen Trainingsmethoden in Form halten.
Von Stefan Leuenberger