• Das bittere Ende einer traditionellen Institution: Der Städtlisaal im Hotel Kleiner Prinz in Huttwil steht ab Mai 2022 nicht mehr zur Verfügung. · Bild: Walter Ryser

22.04.2021
Huttwil

Die Huttwiler Kultur wird «heimatlos»

Eine 62-jährige Geschichte geht zu Ende. Fritz und Käthi Graber haben den Saalvertrag im Hotel Kleiner Prinz mit der Gemeinde Huttwil gekündigt.

Es ist «nur» ein Brief im Umfang von zwei Seiten. Eingeschrieben. Adressiert an den Gemeinderat von Huttwil. Abgeschickt am 19. April 2021. Aber es ist das Ende einer kulturellen Institution im Städtchen. Fritz und Käthi Graber haben den Saalvertrag mit der Gemeinde Huttwil per 30. April 2022 gekündigt.

Corona als Kündigungsgrund

Die Begründung im Kündigungsschreiben: «Covid-19 stand und steht einem Verkauf unseres Hotels mit Saal, Restaurant und Seminarräumen zurzeit im Weg und Verkaufsverhandlungen mussten auf Eis gelegt werden. Wir sehen uns deshalb altershalber, aber mit Bedauern gezwungen, den Vertrag zwischen der Einwohnergemeinde Huttwil und Friedrich Graber, Hotel Kleiner Prinz, für die Nutzung der Saallokalitäten fristgerecht per 30. April 2021 auf den 30. April 2022 zu kündigen.» Der Saal im Hotel Kleiner Prinz ist viel mehr als einfach eine Lokalität. In der Bedeutung und der emotionalen Bindung der Huttwilerinnen und Huttwiler vergleichbar mit der Bedeutung des Hallenstadions für die Stadt Zürich. Nach dem Brand des Hotels am 27. Februar 1959 ist am 24. September 1960 feierlich die Vereinbarung «Mohrensaalwiederaufbau» zwischen Fritz Graber, dem Vater des heutigen Inhabers, und der Einwohnergemeinde Huttwil unterzeichnet worden. Am, 8. Oktober 1960 gab die Einwohnergemeindeversammlung in geheimer Abstimmung ihren Segen dazu. Im sechsseitigen Vertragswerk wurde vereinbart, dass sich die Gemeinde an der Gesamtkostensumme von 700 000 Franken mit einem Beitrag von 400 000 Franken beteiligt. Im Gegenzug räumte Fritz Graber der Einwohnergemeinde Huttwil das Recht ein, den neuerbauten Saal für Gemeindeversammlungen, öffentliche Versammlungen, Bundesfeiern bei schlechtem Wetter, Militärische Inspektionen, Schulanlässe und kirchliche Anlässe zu nutzen. Darüber hinaus ist der Einwohnergemeinde das alleinige Benützungsrecht des Saalbau-Unterge-
schosses eingeräumt worden. Hier befinden sich bis heute die Werkstatt und das Büro der Industriellen Betriebe Huttwil sowie der am Bauamt angegliederten Wasserversorgung. Diese Nutzung ist von der Kündigung nicht betroffen. Das Vertragswerk ist über die Jahre immer wieder im gegenseitigen Einvernehmen ergänzt und angepasst, in den Grundzügen aber nicht verändert worden.

Herzstück des kulturellen Lebens

Der Saal, bis heute im Volksmund der «Möhrensaal», hat mehrere Generationen geprägt. Unzählige Anlässe sind hier über die Bühne gegangen und es dürfte keine Huttwilerin und keinen Huttwiler geben, der nicht mehrmals im Saal unvergessliche Abende bei Konzerten, Theateraufführungen, Schulfeiern und Anlässen jedwelcher Art erlebt hat. Ja, der «Möhrensaal» ist das eigentliche Herzstück des kulturellen Geschehens in Huttwil. Das Vereinsgeschehen der letzten 60 Jahre ist ohne diesen Saal gar nicht denkbar. Allein ein Blick auf die Institutionen, die eine Kopie des Kündigungsschreibens bekommen haben, zeigt, welche Bedeutung die Kündigung dieses Vertrages hat. Kopien sind gegangen an: die Burgergemeinde Huttwil, die Herdgemeinde Huttwil, den Präsidenten der Geselligen Vereine Huttwil, den Präsidenten Pro Regio Huttwil,  die Schulleitungen Oberstufenschule Hofmatt und Primarschule Städtli, die Heilsarmee Huttwil, die Präsidenten aller betroffenen Vereine: Jodlerclub Huttwil, Jodlerclub Schwarzenbach, das Akkordeon Orchester Huttwil, die Trachtengruppe Huttwil, die Stadtmusik Huttwil, die Kadetten Huttwil.

Thema wird Huttwil beschäftigen

Wie geht es nun weiter? In den nächsten Wochen und Monaten wird das Thema «Möhrensaal» nicht nur die Politikerinnen und Politiker und die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in Huttwil beschäftigen. Auch die verschiedenen Vereine werden sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Denn sie werden ab dem 30. April 2022 sozusagen «heimatlos».

Von Walter Ryser