• «Heimweh» erfüllen der krebskranken und zu Freudentränen gerührten Sandra Bouzouina aus Galgenen am Konzert in Huttwil einen Herzenswunsch. «Heimweh» sind (stehend, von links): Daniel Arnold, Jens Stössel, Bernhard Betschart, Ralph Güntlisberger, Alain Boog, Markus Stadelmann. Vorne: Fabrizio Raffa und Ricardo Sanz. · Bild: Stefan Leuenberger

  • Die acht Sänger von «Heimweh» begeisterten in Huttwil das Publikum. Es wurde getanzt und geweint. · Bild: Stefan Leuenberger

  • «Vom Himmu abe thront ä grosse wysse Mond», singt der Huttwiler Publikumsliebling Ralph Güntlisberger aus dem Kanton Bern während dem wehmütigen Song «Dunkle Wermut» mit seiner tiefen und rauen Stimme. · Bild: Stefan Leuenberger

  • Ricardo Sanz beim Konzert-Highlight «Rosmarie» · Bild: Stefan Leuenberger

  • Bernhard Betschart und Jens Stössel singen «Blueme». · Bild: Stefan Leuenberger

  • Eine bodenständige Truppe zum Anfassen: Autogrammstunde direkt nach dem Konzert. · Bild: Stefan Leuenberger

07.02.2022
Huttwil

Die Konzertbesucher wurden berührt

Der äusserst erfolgreiche Männerchor «Heimweh» gab in der mit 1200 Besuchern ausverkauften Sporthalle im Campus Perspektiven in Huttwil ein umjubeltes Konzert. Die sehnsüchtigen Liederinhalte waren nicht gespielt. Das pandemiemüde Publikum genoss die Reise in die heile Natur – und wurde zu Tränen gerührt.

Huttwil · Die acht Männer des Erfolgschors «Heimweh» singen den Fans aus dem Herzen. Und «Heimweh» ist eine bodenständige Truppe zum Anfassen, die trotz ihrem kometenhaften Aufstieg seit der Gründung 2016 stets die Nähe zu ihren Fans sucht. Dies wurde auch am Konzert vom Freitagabend in Huttwil deutlich. «Dank ihrer Musik kann ich meinen unheilbaren Bauchspeicheldrüsen-Krebs besser ertragen», berichtet Sandra Bouzouina, welche in der ersten Reihe sitzend ihren favorisierten Musikperformern Lied für Lied an den Lippen hängt. «Ich höre ihre Musik täglich. ‹Zämehäbe› und ‹Blueme› sind wegen den Textinhalten meine Lieblingslieder», verrät die 48-Jährige. «Drum bring mir Blueme solang i Fröid cha ha u nid ersch denn, wenn i muess vo dir gah. U het’s im Läbe halt nid söue si, bruuchi ou kei Blueme, wenni gstorbe bi», heisst es im Original von Mundart-Legende Polo Hofer interpretierten Song «Blueme». «Ich wünsche mir nicht Blumen – aber eine Foto mit diesen tollen Musikern», sagt der aus Galgenen angereiste «Heimweh»-Edelfan. Nach dem Konzert wird der grosse Wunsch erfüllt – Sandra Bouzouina weint vor Freude. Musik kann – gerade in schwierigen Lebenssituationen – soviel bewirken.

Es ist mehr als «Heile-Welt-Kitsch»
Viele bezeichnen das, was die «Heimweh»-Männer im Mutz tun, als «Heile-Welt-Kitsch» fernab der Realität. Die Frage stellt sich, ob immer alles, was Erfolg hat und wirklich gut gemacht ist, in besserwisserlicher Manier auch zerrissen werden muss? Nein, denn gerade nach der zweijährigen Pandemie, in der Leute quasi eingesperrt und stark eingeschränkt wurden, ist das Verlangen nach Zufrieden- und Freiheit sowie einer heilen Welt gross. Das Publikum in Huttwil saugt die mit wundervollen Melodien unterlegten Texte, die über die Schweizer Bergwelt, die Heimatliebe und die Zufriedenheit untereinander handeln, regelrecht auf. Nicht wenige der Anwesenden haben durch die Musik von «Heimweh» wieder Sinn und Kraft im Leben gefunden. Ihre Musik müsste in der Apotheke verkauft werden, weil sie so ein Balsam für die Seele ist. «Ihre Lieder sind wundervoll. Ich bin glücklich, dass das Konzert nach eineinhalbjähriger Verschiebung endlich stattfindet. Mein Lieblingssong ist ‹Buurehuus›», sagt Rollstuhl-Konzertbesucher Hans-Jürgen Fizler aus Reutlingen. «Nach viermaliger Verschiebung wegen Corona klappte es. Aus logistischen Gründen mussten wir kurzfristig von Sumiswald nach Huttwil ausweichen», erklärt Konzertorganisator Martin Lüthy von der Eventhouse GmbH. «1200 Besucher – 900 in der Halle und 300 auf der Galerie – sind ein schöner Erfolg. Und die Zusammenarbeit mit dem Campus-Team klappte wie immer ausgezeichnet», lobt Lüthy.

One Team, one Spirit
Beim eineinhalbstündigen Konzert in der ausverkauften Campus-Sporthalle servieren die acht singenden Männer und vier Musiker (darunter Polo-Hofer-Gitarrenlegende Remo Kessler) ein Best-of-Programm ihrer bisher so erfolgreichen fünf Studioalben «Heimweh» (2016), «Blueme» (2017), «Vom Gipfel is Tal» (2018), «Ärdeschön» (2019) und «Zämeha» (2020), die allesamt die Hitparade stürmten und «Heimweh» zur angesagtesten modernen Volksmusik-Formation machten. Das Erfolgsrezept ist simpel: Wie beim Sport vor einem wichtigen Spiel umarmen sich die acht Sänger aus verschiedenen Schweizer Kantonen, geben einander «High Five» vor dem Gang auf die Bühne. Dann tritt das Oktett als verschworene Einheit, das auch neben der Bühne befreundet ist, topmotiviert vor das «plangende» Publikum. Acht Mikrofon-Ständer, dahinter acht gestandene Männer. Es wird nur mit den Stimmen gearbeitet. Durch die jeweiligen Strophen führen die ganz unterschiedlich klingenden Stimmen, ehe  der wuchtige Chorgesang und der speziell schöne Jodelgesang bei jedem Song direkt ins Herz schiesst. Um die tiefen Emotionen beim Publikum noch zu verstärken, werden auf einer – mittlerweile bei einem Konzert unverzichtbaren – riesigen Videowand weidende Kuhherden, zart im Wind wippende Tannenspitzen, rauschende Bergbäche, bunte Blumenwiesen oder wuchtige Bergpanorama unter stahlblauem Himmel eingespielt.

Authentisch und nicht aufgesetzt
Mit den besinnlichen Songs «So in Erinnerig» und «Zämehäbe» geht es ruhig los. Doch schon mit «Ohni di» und «I ha es Meitschi gha» nimmt das Tempo zu, die Leute klatschen begeistert mit. Besonders die schnelleren Lieder haben einen poppigen Touch. Der neuste Song «Heimatland», zu dem auf der Rigi ein Videoclip gedreht wurde, folgt schon als sechste Nummer. Die acht Männer wechseln sich im Leadgesang ab. Dies bringt nicht nur eine grosse stimmliche Abwechslung, nein, es ist auch Schwyzer, Glarner, Berner, Aargauer, Obwaldner, Urner und Luzerner Dialekt zu hören. Die Lieder werden mit persönlichen Geschichten aus dem Leben – oft äusserst humorvollen – angekündigt. Feuchte Augen und grosse Emotionen gibt es bei «I glaiba dra» und insbesondere «Vom Gipfel is Tal». Tenor und Naturjutzer Bernhard Betschart bringt die Stimmung derart treffend in die Konzerthalle, dass man den Fichtenwald förmlich riecht, das Vieh treicheln hört und die Wucht der Felsmassive fühlt. Der 44-jährige Muotathaler ist als Bergbauernbueb aufgewachsen und noch heute oft in den Bergen anzutreffen. Was er singt, wirkt authentisch und nicht aufgesetzt. Der Star des Abends ist – weil ein Berner – aber Ralph «Räphe» Güntlisberger. Der sympathische 58-Jährige mit der tiefen und rauen Rockstimme erntet für die nachdenkliche Nummer «Dunkle Wermut» bei seinem Heimspiel grossen Applaus. Der 39-jährige Glarner Markus Stadelmann teilt dem Publikum seinen Bezug zu «Huttu» mit: «Ich war hier im Militär. Und ich besuchte genau an dieser Stelle das Rocksound-Festival als Fan. Nun stehe ich hier selber auf der Bühne.»
     
«Rosmarie» als Höhepunkt
Viele der «Heimweh»-Sänger hören Hardrock. Der 31-jährige Schwyzer Jens Stössel beispielsweise «Gotthard», «Shakra» oder «Black Stone Cherry». «Warum soll nicht beides möglich sein? Ich mag den Rock – bin Sänger der Rockband «Jampigs» – genauso wie die urchige Volksmusik.» Und als sich der Konzertabend dem Ende zu neigt, drückt die rockige Ader tatsächlich durch. Bei «Rote Wy» – dem Pendant zu Udo Jürgens «Griechischer Wein» – kommt Stimmung in die Bude und bei «Dazumal» – über die Videowand flimmern Rockgrössen wie die «Beatles» oder «Janis Joplin» – wird «Huttu» zum Hexenkessel. Auf und vor der Bühne wird getanzt. Das Sitzplatzkonzert mutiert zum Rockevent. Mit dem neuen Song «Äs guäts Läbe» wird das Tempo dann noch einmal runtergefahren, der Schunkeleffekt aktiviert, ehe zum Abschluss und dem klaren Höhepunkt des Abends das Lied folgt, das den Männerchor gross machte: «Rosmarie». Das Lied über eine Liebe, die alle Höhen und Tiefen überdauert – bis in den Tod – sorgt für einen der grössten, der an diesem Abend vielen Gänsehautmomente. Immer wieder sind Konzertbesucher zu sehen, die es während der Ballade «erhudlet». Ein Meer von Handy-Taschenlampen erhellen den Saal, während der 51-jährige Luzerner Ricardo Sanz die hochemotionalen Zeilen haucht: «Blib no chli bi mer, Rosmarie.» Fazit: Die Konzertbesucher in Huttwil wurden von «Heimweh» berührt.

Von Stefan Leuenberger