• Peter Hirschi ist Inhaber der Lanz Anliker Holding AG und präsidiert auch den neu zusammengesetzten Verwaltungsrat. Bild: Leroy Ryser

26.11.2017
Oberaargau

Die Lanz-Anliker AG ist zur Holding geworden

Vor 21 Jahren übernahm Peter Hirschi die Geschäftsleitung der Lanz-Anliker AG in Rohrbach; 1999 kaufte er das Unternehmen. Von der einstigen klassischen Sattlerei ist nur noch ein kleiner Teil übriggeblieben; das Unternehmen hat sich dem Markt angepasst und wendet sich erfolgreich neuen Bereichen der Textilindustrie zu. Jetzt ist die Lanz-Anliker AG – inzwischen die Lanz-Anliker Holding AG – zu 100 % im Familienbesitz, und an der Spitze des Betriebes ziehen zwei Generationen der Familie Hirschi.

Liselotte Jost-Zürcher im Gespräch mit 

Peter Hirschi, Geschäftsleiter der 

Lanz-Anliker AG

ROHRBACH · Peter Hirschi, 1996 haben Sie die Lanz-Anliker AG in Rohrbach übernommen. Seither stehen Sie an der Spitze des Unternehmens. Was hat Sie damals zu diesem Schritt be-

wogen?

Zuvor war ich Produktionsleiter bei der damaligen Uhrenfabrik Scholer AG, also im selben Gebäude – es wäre mir damals nie in den Sinn gekommen, dass mir das Unternehmen einst gehören würde. Die Lanz-Anliker AG war in einem benachbarten kleineren Gebäude tätig. Als diese nach der Geschäftsaufgabe von Scholer in die Liegenschaft zog, arbeitete ich hier noch einige Monate lang in der Produktion und übernahm dann eher unverhofft die Geschäftsführung. Drei Jahre später, 1999, habe ich das Unternehmen gekauft. Den Namen Lanz-Anliker AG haben wir beibehalten – in der Schweiz kannte ihn schon damals jeder, der in der Konfektion tätig war.

Die Lanz-Anliker AG entstammt einer Sattlerei. Diese Branche hat es heute schwer. Wie konnte sich das Unternehmen über Jahrzehnte hinweg behaupten, und werden überhaupt noch Sattlerei-Produkte hergestellt?

Das ist richtig, wir sind aus einer Sattlerei heraus entstanden, die 1919 von Hans Lanz gegründet worden ist. Heute sind wir keine klassische Sattlerei mehr, sondern ein technischer Textilverarbeitungsbetrieb. Als ich den Betrieb übernahm, war dies aber noch anders; zwischen 95 und 97% unserer Produkte waren für das Militär bestimmt und stammten aus der Sattlerei. Das war aber in der Zeit, als die Militäraufträge stetig zurückgingen; sie nehmen heute noch gerademal 6% unserer gesamten Produktion ein. Wir mussten uns nach andern Bereichen umsehen. Das geschah nach und nach, und das Schöne: Wenn wir einen Auftrag des Militärs verloren, erhielten wir in einem anderen Betriebszweig das doppelte Auftragsvolumen zurück.

  

Eins der Markenzeichen sind die Schwingerhosen. Was ist das Spezielle an den Hosen, dass sie nicht einfach in einem Warenhaus gekauft werden können?

Sie gehören zu unserem Betrieb, sind Nostalgie und Kultur, obwohl sie nur gerade 0,3 % unseres Umsatzvolumens ausmachen. Aber es wird sie immer brauchen; gerade um des Brauchtums Willen. In der Schweiz wird die Lanz-Anliker AG oft mit diesen Schwingerhosen identifiziert, denn sie sind eins der wenigen Produkte, welche direkt an die Verbraucher gehen. Seit Jahrzehnten werden sie in unserer Firma hergestellt. Dazu verwenden wir einen speziell für diesen Zweck hergestellten festen Leinenstoff, einen Zwilch. In diesem Zusammenhang haben wir in jüngster Zeit eine ganz neue Produktelinie mit dem Online-Shop www.koenigliches.ch entwickelt. «Königliches», sprich Taschen, Rucksäcke, Portemonnaies, Wein- oder Bierkühler, Raclette-Körbli und anderes werden aus Zwilch, Leder und Edelweiss-Stoff hergestellt, sind also reine Naturprodukte. Sie tragen dazu bei, dass wir grössere Mengen des Zwilchs anfertigen lassen können. 

Das Geschäft ist im textilen Bereich geblieben. Welches sind die Haupt-Branchen?

Es sind die sechs Linien Filtration, rund 45 % des Umsatzes, Sattlerei, rund 25 % des Umsatzes sowie Medizin, Reitsport, Verkehrsmittelinterieurs und Militär. 

Welcher Produktionsanteil geht prozentmässig in den Export?

Das schwankt, liegt aber zwischen 65 und 70 %.

Wie konnte das Unternehmen den schwachen Eurokurs schadlos überbrücken? Sie waren einer der wenigen Exportbetriebe in der Region, die den Umsatz während der Euroschwäche noch steigern konnten.

Das wurden wir immer wieder gefragt. Es gibt zwei wichtige Faktoren. Einerseits ist der Verlust durch die Euroschwäche nur die halbe Wahrheit, denn die Einkäufe der Rohprodukte im Ausland sind ebenfalls günstiger, wenn der Euro tief, respektive der Schweizerfranken hoch ist. Wenn das anders wäre, hätte der Euro-Sturz vielen Schweizer Firmen den Kopf gekostet. Der zweite Faktor ist das interne Firmenmanagement. Es ist ideal, wenn eine gesunde Liquidität besteht, die es ermöglicht, Währungseinheiten auf Konten zu bewirtschaften. Das heisst, dann Geld in Fremdwährung anzulegen, wenn die Kurse günstig sind. So können Engpässe vermieden werden, wenn die Kurse steigen und deshalb die Rohware teurer wird.

Sie haben verschiedene Betriebsbereiche übernommen und in die Lanz-Anliker AG integriert, die ebenfalls in der Textilbranche tätig waren. Welche und aus welchem Grund?

Das war bisher zweimal der Fall. Erstmals 2004 die Reitsportartikelmarke Gygax, Zofingen. Das war speziell, denn ich wollte dies gar nicht, wurde dazu fast ein bisschen genötigt. Tatsächlich lief das Geschäft längere Zeit nicht gewinnbringend, denn unser Betrieb war kaum auf Direktverkauf ausgerichtet. Madeleine Bracher, dazumal Leiterin Finanzwesen, Mitglied der GL übernahm dann diesen Betriebszweig, sprich Verkauf und Produktionsleitung, und änderte auch die Strategie, was dann zum Durchbruch führte. Heute muss ich sagen: Ich bin froh, dass wir auf den «Handel» eingegangen sind. Denn das Reitsportgeschäft läuft inzwischen sehr gut, und wir haben dabei viel gelernt. Per 

1. Januar 2016 kam dann die Röntgenbekleidung, ein Betriebszweig unseres langjährigen Vertriebspartners Wiroma dazu. Diesbezüglich ist uns eine Marktneuheit gelungen: Wir stellen weltweit die ersten Röntgenschürzen mit RFI-Chip her. Dieser Chip speichert sämtliche Daten, die für den Benutzer nützlich sind.

In welchen Ländern haben Sie Verkaufsniederlassungen?

In Deutschland, wo der Vertrieb mit unserem Firmennamen läuft. Dann auch in Holland, Belgien und Italien, wo unsere Produkte durch Partnerfirmen unter deren Namen vertrieben werden.

Aber produziert wird nur in Rohrbach?

Grösstenteils. Entwickelt wird alles hundertprozentig in unserer Firma, das heisst in der Schweiz. Bei einigen Artikeln sind wir jedoch gezwungen, in China zu produzieren; dies in enger Zusammenarbeit mit einem südkoreanischen Partner. Unsere Aufträge lasten dort pro Jahr 40 bis 50 Leute aus, die unter sehr guten Bedingungen arbeiten können. 

Ein zweites Projekt haben wir in Moldawien. Das ist aber eine spezielle Geschichte einer jungen moldawischen Frau, die einst bei uns gearbeitet hat – hervorragend. Wir liessen ihr die nötige Infrastruktur liefern, damit sie in ihrem Heimatland eine Näherei eröffnen konnte. Sie hat das mit grossem Erfolg getan und stellt nebst den Aufträgen von ihren Landsleuten regelmässig Serienprodukte für unsere Bereiche Medizin und Sattlerei her.

Wie hat sich Ihr Mitarbeiterstamm in den letzten Jahren entwickelt? Konnten Stellen geschaffen werden?

In den letzten Jahren nicht, denn mit der steigenden Auftragslage und neuen Produktionszweigen mussten wir auch immer mehr automatisieren. Aber mit 70 Mitarbeitenden sind es immerhin doch gut doppelt soviele Leute wie vor über 20 Jahren, als ich die Firmenleitung übernahm.

Ökologie ist für Sie ein grosses Anliegen; die Lanz-Anliker AG hat auch in diesem Bereich eine Pionierrolle. Welche wichtigen Schritte haben Sie diesbezüglich getan?

Ökologie und das Schonen der Ressourcen waren mir tatsächlich schon immer sehr wichtig. In den letzten zehn bis zwölf Jahren haben wir extrem viel in unsere Firma investiert um den Energieverbrauch zu minimieren. Unter anderem wurde das Haus verglast, die Fassaden isoliert, und der Anbau wurde nach Minergie-Standard errichtet. Dazu brennt in der gesamten Firma nur noch effizientes, aber sparsames LED-Licht, und wir haben auf einem grossen Teil der Dachfläche Fotovoltaik-Anlagen installiert. Damit produzieren wir im Jahresdurchschnitt mehr Strom als dass wir selbst verbrauchen. Und – wir sind auch vom Öl weggekommen, sind zu einem Drittel am Wärmeverbund Rohrbach beteiligt und beziehen unsere Wärme durch Holzschnitzel. Abgesehen davon befasse ich mich intensiv mit der Speicherung von Öko-Strom und bin überzeugt, dass es in absehbarer Zeit eine Möglichkeit gibt, um dies zu realisieren.

Inzwischen ist die zweite Generation Hirschi in das Unternehmen Lanz-Anliker AG eingestiegen. Was ändert sich für Sie, was für die Firma?

Es ist, um es vorneweg zu nehmen, eine unglaubliche Genugtuung, eine riesige Freude, dass nach 20 Jahren harter Arbeit das Unternehmen auf einem Stand ist, der es für die zweite Generation attraktiv macht, am Seil zu ziehen. Es ist ein Lohn für meinen Einsatz und schön zu wissen, dass die nächste Generation sich einarbeiten und es mindestens so gut machen wird, wie ich es gemacht habe. Es war mir immer wichtig, gut zu geschäften; Geld war aber nie der Antrieb. Ich habe mich sehr, sehr gerne engagiert.

Die Lanz-Anliker AG ist jetzt zu 100 % in Ihrem Besitz?

Ja, seit dem 24. Oktober 2017 ist die Firma zu 100 % im Familienbesitz. Das ist für die Zukunft der Lanz-Anliker AG sehr wichtig, insbesondere auch für die längerfristige Planung. Entsprechend hat es im Verwaltungsrat eine Rotation gegeben. Ich präsidiere nun den VR. Im VR sind neu noch mein Sohn, Pascal Hirschi, und Madeleine Bracher Vizepräsidentin, unsere langjährige Finanzfachfrau und Mitglied der Geschäftsleitung. 

Mit dem Wechsel haben wir eine Holding gegründet; die Lanz-Anliker AG ist seit dem 25. Oktober 2017 eine 100 %ige Tochter der Lanz-Anliker Holding AG. An dieser Stelle meinen herzlichen und aufrichtigen Dank an Frau Bracher für Ihren unermüdlichen Einsatz für die Lanz-Anliker AG in den letzten fast 20 Jahren.

Die Lanz-Anliker AG feiert 2019 ihr 100-jähriges Bestehen. Sind in Bezug auf den runden Geburtstag spezielle Aktivitäten oder Vorhaben vorgesehen?

Wir haben einige Vorstellungen, aber es wäre jetzt noch zu früh für genauere Äusserungen.

In welchem Bereich engagiert sich die Lanz-Anliker-Stiftung?

Die Lanz-Anliker-Stiftung ist eine steuerbefreite Stiftung; alle arbeiten ehrenamtlich. Das Werk unterstützt primär «unser» Altersheim Bethesta in der rumänischen Stadt Cluj; seit über zehn Jahren schon. Es ist eine Freude zu sehen, dass dieses sich heute annähernd auf einem schweizerischen Standard befindet, vor allem aber auch, dass es zu einem grossen Teil selbsttragend und auch Selbstversorger ist. Mit dem Kauf von Ländereien und deren gewinnbringendem Verkauf versuchen wir gegenwärtig zu erreichen, dass das «Bethesta» hundertprozentig selbsttragend wird. Auch in diesem Werk, das abgelöst von der Lanz-Anliker AG arbeitet, mischt mit meiner Tochter Sandra Wisler-Hirschi bereits die zweite Generation mit. Mir ist die humanitäre Arbeit sehr wichtig. Aber ich helfe nur dort wo ich weiss, wem und für was ich helfe.