• «Während meiner Tätigkeit am Stadttheater Langenthal habe ich feststellen müssen, dass die Arbeit in einer Institution, die in eine städtische Verwaltungsstruktur eingebettet ist, sehr mühsam sein kann, weil wir es hier mit teilweise starren Strukturen zu tun haben. Das hat sehr viel Energie geraubt.» · Bilder: Thomas Peter

  • «Ich habe festgestellt, dass auf der schweizerischen Theater-Landkarte das Stadttheater Langenthal sichtbarer geworden ist.»

  • «Es gibt in dieser Region auch ein entsprechendes Potential an Besuchenden, die neuen Theater-Formen gegenüber zugänglich sind. Der Nachteil ist dagegen, dass man von Langenthal aus rasch die grossen Schweizer Städte erreicht und seine kulturellen Vorlieben dort konsumieren kann.»

28.03.2024
Langenthal

«Die Leute von Langenthal realisieren zu wenig, dass sie ein günstiges Theater haben»

Nach nur dreieinhalb Jahren wird Ernst Jäggli Ende Juni das Stadttheater Langenthal wieder verlassen. Der 59-jährige Winterthurer tritt als Theaterleiter zurück. Im Monats-Interview mit dem «Unter-Emmentaler» hegt er aber keinen Groll gegen irgendjemanden, im Gegenteil, Jäggli schwärmt von seiner Zeit im Stadttheater Langenthal und seinem Team. Private Gründe, aber vor allem die politischen und strukturellen Rahmenbedingungen beim Stadttheater, die viel Energie absorbiert

hätten, führt er als Gründe für den Abgang an.

Monatsinterview · Walter Ryser im Gespräch mit Ernst Jäggli, abtretender Leiter Stadttheater Langenthal

Ernst Jäggli, nach dreieinhalb Jahren werden Sie diesen Sommer das Stadttheater Langenthal verlassen und ihr Amt als Leiter abgeben. Was hat zu diesem Entscheid geführt?
Es sind verschiedene Gründe, die dazu geführt haben. Da wäre einmal die private Seite: Ich wohne im Bündner Oberland, im Val Lumnezia, und bin lediglich Wochen-Aufenthalter in Langenthal. Ich möchte wieder mehr Zeit bei mir zu Hause, zusammen mit meiner Frau verbringen. Natürlich war dies alleine nicht ausschlaggebend. Während meiner Tätigkeit am Stadttheater Langenthal habe ich feststellen müssen, dass die Arbeit in einer Institution, die in eine städtische Verwaltungsstruktur eingebettet ist, sehr mühsam sein kann, weil wir es hier mit teilweise starren Strukturen zu tun haben. Das hat sehr viel Energie geraubt, genauso wie die politische Situation in der Stadt, wo nach der Corona-Pandemie das Stadttheater bei den jährlichen Budget-Debatten im Parlament ins Visier vieler Parlamentarierinnen und Parlamentarier geriet. Auf einmal stimmte für mich das Gesamtpaket am Stadttheater Langenthal nicht mehr, es kam vieles zusammen und ich fragte mich, ob ich diesen Zustand noch weitere sechs Jahre aushalten soll.

Sie kamen in einer schwierigen Zeit, mitten in der Corona-Pandemie, zum Stadttheater Langenthal. Wie stark hat sich dieses Ereignis auf Ihre Pläne und die spätere Entwicklung des Theaters ausgewirkt?
Alle waren plötzlich mit einer Situation konfrontiert, wie wir sie noch nie hatten. Für mich war es zu jenem Zeitpunkt zweifellos ein happiger Einstieg in den neuen Job, da ich damals noch eine weitere Anstellung bei der Dampfzentrale in Bern hatte. Wir alle waren zu jener Zeit zum Improvisieren gezwungen. Das war enorm wichtig, damit wir nicht in eine gewisse Lethargie verfielen. Ich staune noch heute, mit welch grosser Begeisterung das Team diese schwierige Situation meisterte. So haben wir begonnen, die Vorführungen zu «streamen». Die Reaktionen darauf haben uns überrascht, fielen diese doch äusserst positiv aus, es gab sogar welche aus dem Ausland. In dieser Zeit wurde bei mir der Eindruck verstärkt, dass es sich beim Stadttheater Langenthal um ein tolles Haus mit super Leuten handelt. So gesehen verlief für mich der Einstieg in den neuen Job in Langenthal trotz Corona eigentlich sehr erfreulich. Um auf ihre ursprüngliche Frage zurückzukommen: In der damaligen Situation hatten wir gar keine Zeit, uns gross Gedanken über die Zeit nach Corona zu machen.

Welche Auswirkungen hatte die Pandemie auf die spätere Entwicklung der Besuchenden und die Programmgestaltung?
Die Corona-Pandemie hatte in der Tat Auswirkungen, nicht nur auf die Besuchenden, sondern auch auf die Künstlerinnen und Künstler. Wir zählen heute weniger Theater-Abonnenten. Die Leute gehen viel weniger langfristige Verpflichtungen ein. Und Einzeltickets werden kurzfristiger gebucht. Die Menschen haben während Corona gelernt, sich anderen Unterhaltungs- und Kulturangeboten zuzuwenden, diesbezüglich sei als Stichwort nur Netflix erwähnt. Dieser Trend erschwert die Planung. So sehe ich mich hin und wieder mit der Situation konfrontiert, dass bei mir zwei Wochen vor einer Veranstaltung beim Blick auf die Zuschauer-Reservationen tatsächlich ein wenig Panik aufkommt. Dazu kommt, dass mit rund 400 Plätzen im Stadttheater Langenthal für diese Region sehr viele Plätze für eine Veranstaltung zur Verfügung stehen.

Wenn Sie zurückblicken, was für ein Fazit ziehen Sie?
Inhaltlich habe ich sicher etwas erreicht. So habe ich beispielsweise zeitgemässe Tanz- und Zirkuskunst ins Programm integriert. In etwa zwei Jahren wird man sehen, ob diese Integration auch nachhaltig ist. Bis zu meinem Abgang Ende Juni werde ich noch das gesamte Programm für die kommende Spielzeit 2024/25 zusammenstellen. Auch habe ich festgestellt, dass auf der schweizerischen Theater-Landkarte das Stadttheater Langenthal sichtbarer geworden ist.

Welches war Ihr ganz persönliches Highlight in den dreieinhalb Jahren beim Stadttheater Langenthal?
Wie bereits erwähnt, finde ich es erstaunlich, was wir gerade im Bereich Tanz realisiert haben. Zusammen mit Lucia Baumgartner haben wir zwei-mal ein generationenübergreifendes Laien-Tanzprojekt lanciert. Zudem haben wir Produktionen auf die grosse Bühne gebracht, die hier noch nie aufgeführt wurden und gut ankamen. Dazu verfügt das kleinere Theater49 über eine perfekte Grösse und Infrastruktur für kleinere Produktionen, die nicht selten vor vollen Rängen stattfanden, was für die Darstellenden eine tolle Atmosphäre erzeugte.

Wie haben Sie das Langenthaler und Oberaargauer Theater-Publikum wahrgenommen?
In Langenthal war sich das Publikum bislang eher traditionelle Produktionen gewohnt. Wir befinden uns aber hier in einer peripheren Gegend, mit einer gemischten Bevölkerung. Es gibt in dieser Region auch ein entsprechendes Potenzial an Besuchenden, die neuen Theater-Formen gegenüber zugänglich sind. Der Nachteil ist dagegen, dass man von Langenthal aus rasch die grossen Schweizer Städte erreicht und seine kulturellen Vorlieben dort konsumieren kann. Gerade deshalb habe ich neue Produktionen auf die Bühne gebracht, damit jene Leute in Zukunft nicht mehr nach Zürich, Bern oder Basel fahren müssen. Natürlich sind es in Langenthal, wie übrigens auch an den meisten anderen Theatern, aber vorab die Veranstaltungen und Produktionen von lokalen Vereinen, die sehr viele Leute anlocken.

Wie sind eigentlich Sie zum Theater gekommen?
Ich bin ein Quereinsteiger, habe Wirtschaftswissenschaften und allgemeine Volkswirtschaftslehre an der HSG St. Gallen studiert und war danach in der Software-Entwicklung tätig. Später habe ich unseren Familienbetrieb – eine Druckerei – in vierter Generation geleitet. Nach der Auflösung des Betriebs habe mich dann auf eine Stelle im Theater Winterthur (damals noch Stadttheater) beworben, welches einen kaufmännischen Co-Leiter suchte. Danach habe ich die Gesamtleitung des Theaters Winterthur übernommen. Hier hat es mir buchstäblich den Ärmel reingezogen und so begann dann meine Theater-Laufbahn, die mich zum Schauspielhaus Zürich, zum Goethe-Institut in Lyon, ins Konservatorium Winterthur, in die Dampfzentrale Bern und letztendlich ans Stadttheater Langenthal führte.

Was genau fasziniert Sie am Theater?
Theater hat mit Menschen zu tun, Theater ist live und bedeutet leben. Ich wollte schon immer mit Menschen zusammenarbeiten und nicht bloss in einem Büro Mails verfassen. In einem Theaterbetrieb ist kein Tag wie der andere, gibt es Überraschungen und man taucht in eine andere Welt ein. Das ist eine faszinierende Branche, voller Leidenschaft, die auch mich in den Bann zog und immer noch zieht.

Welche Art von Produktionen kann sich ein Theater in einer Kleinstadt wie Langenthal künftig überhaupt noch leisten?
Das ist eine gute Frage, mit der sich die neue Leitung, die Kulturkommission, der Gemeinderat und der Stadtrat auseinandersetzen muss. Fakt ist, dass Theaterproduktionen immer teurer werden, auch ausländische Produktionen, vorab im süddeutschen Raum. In Bezug auf Honorare nähern sich diese immer mehr den Schweizer Verhältnissen an. Die Produktionen werden teurer, weil sie den Forderungen der Künstlerinnen und Künstler nach einer besseren Entlöhnung nachkommen müssen. Der damit verbundene Kostenanstieg können viele Theater nicht verkraften. Bei dieser Entwicklung drängt sich die Frage auf, ob es nicht sinnvoll wäre, dass die Theater künftig vermehrt auf Kooperationen setzen sollten, zumal es im Umkreis von Langenthal doch einige Theater gibt.

Welche Herausforderungen stellen sich bei der Leitung eines Stadttheaters in einer Kleinstadt?
Diesbezüglich gibt es keine eindeutige Tendenz. Ich habe schon so viele Konzepte gesehen und erlebt. Es gibt etliche erfolgversprechende Modelle. Alle hängen in erster Linie von den Menschen ab, die dahinterstehen. Entscheidend ist immer, welche personellen und finanziellen Ressourcen einem Theater zur Verfügung stehen.

Welche Voraussetzungen sind Ihrer Meinung notwendig, dass in Langenthal ein Stadttheater auch längerfristig überlebensfähig ist?
Wie gesagt, Menschen und Finanzen, das ist keine Binsenwahrheit. Künstliche Intelligenz wird nie ein Theater managen, dazu braucht es auch in Zukunft Menschen, Personal, Künstlerinnen und Künstler. In Langenthal weiss man gar nicht, was für ein günstiges Theater die Stadt hat, gemessen am Betrag, den gewisse Personen als
zu viel einstufen. Viele auswärtige Besuchende sowie Künstlerinnen und Künstler sind begeistert von unserem Haus. Man könnte künftig bei der Programmgestaltung vermehrt die Bevölkerung einbeziehen. Deswegen besteht jedoch keine Garantie, dass mehr Zuschauende die Darbietungen besuchen. Mit dieser Frage beschäftigt man sich übrigens nicht nur in Langenthal, sie wird schweizweit in vielen Theatern intensiv diskutiert.

Das Stadttheater Langenthal gab zuletzt auch immer Anlass zu politischen Diskussionen im Stadtrat, wenn es darum ging, das städtische Budget zu beraten. Wie haben Sie diese Diskussionen wahrgenommen und welchen Einfluss hatten die erzwungenen Kürzungen beim Etat des Stadttheaters auf Ihre Arbeit?
Was mich bei diesem Thema sehr erstaunt hat, ist die Art, wie gewisse Stadträtinnen und Stadträte über das Stadttheater gesprochen haben, aber selten bis gar nie unser Haus besuchen oder besucht haben. Aber ich verstehe die ganze Problematik, weil ich dies auch in anderen Städten erlebt habe. Wenn man jedoch mit so viel Leidenschaft und Herzblut in der Theaterwelt unterwegs ist wie ich, dann nimmt man gewisse Aussagen, die während einer solchen Ratsdebatte fallen, mit der Zeit persönlich, obwohl man eigentlich weiss, dass diese gar nicht persönlich gemeint sind.

Wohin zieht es Sie beruflich, nach dem Abgang beim Stadttheater Langenthal?
Aktuell ist keine Festanstellung in Aussicht. Ich habe Anfragen für einzelne kleinere Kultur-Projekte. In einer Pause kann auch Neues entstehen. Da es doch noch einige Jahre bis zu meiner Pensionierung dauert, kann ich es mir nicht leisten, die restliche Zeit bis dahin ohne Festanstellung, die mir ein gewisses Grundeinkommen sichert, zu verbringen.

Gehen Sie auch als Privatperson ins Theater oder bevorzugen Sie andere Events und Anlässe?
Ich freue mich, in nächster Zeit Theater und Konzerte besuchen zu können, die ich schon lange gerne gesehen hätte. Dabei denke ich beispielsweise an Jazzkonzerte oder ausgewählte Theater-Produktionen.

Gibt es Theater-Produktionen, die Sie unbedingt einmal sehen möchten?
In Frankreich beispielsweise gibt es spezielle Tanz- oder Artistik-Produktionen, die ich gerne besuchen würde.

Vielleicht gibt es aber noch andere Wünsche und Ziele, ausserhalb der Theaterwelt, die Sie sich gerne noch erfüllen würden?
Ja, das gibt es, denn eines meiner wichtigsten Hobbies ist es, als «reisender Motorradfahrer» in fernen Ländern unterwegs zu sein. Es wäre schön, wenn ich in Zukunft mehr Zeit dafür hätte. Etwas mehr Bewegung wäre ebenfalls wünschenswert.