• Die Lüderenalp – ein beliebtes Wander- und Ausflugsziel mit einer langen Geschichte. · Bilder: zvg

  • Lüderenchilbi, zirka 1920. Mittags auf dem Festplatz.

  • Der Schwingplatz, östlich des Kurhauses.

07.08.2017
Emmental

Die Lüderenalp – ursprünglich und traditionell

1533 wurde die Lüderenalp-Genossenschaft erstmals geschichtlich erwähnt. Fast gleich alt dürfte der Lüderen-Schwinget sein, auch wenn er jahrzehntelang einige hundert Meter unterhalb des heutigen Standorts stattfand. Eine Chronik von Alfred G. Roth aus dem Jahr 1978 gibt Auskunft über die Geschichte eines der schönsten Aussichtspunkte im Emmental.

Lüderenalp · «Während der letzten Eiszeit (sie begann etwa vor 115 000 bis 110 000 Jahren und endete vor etwa 12 500 bis 10 000 Jahren; Anm. der Redaktion) war das ganze Napfgebiet, zu dem auch die Lüderen zählt, gletscherfrei. Dadurch entstand der scharfe Grat vom Napf bis zur Rafrüti. Da sich dank der Eisfreiheit in diesem Gebiet viel urtümliches Pflanzen- und Tierleben entwickeln und zum Teil bis heute halten konnte, ist das Gebiet für Zoologen und Biologen sehr interessant. Seit 1973 steht die Landschaft vom Napf bis kurz vor der Lüderenalp unter Naturschutz.» So beginnt die Chronik über die Geschichte der Lüderen-Alpen von Alfred G. Roth. Es ist die Zusammenfassung eines umfangreichen Buchs über das ganze weitläufige Napfgebiet und stammt aus dem Jahr 1978. Nicht nur für Zoologen und Biologen ist die Region interessant. Auch ihre Geschichte fasziniert – bis heute.
In den Anfängen interessierten sich die geistlichen Herren für die Alpen um die Lüderen. Aus ihren Händen wurden sie von Genossenschaften, teils auch vom Staat übernommen. Die Schynenalp, unterhalb der Lüderen, gehörte 1533 bis 1889 ebenfalls einer Genossenschaft und kam dann, recht ungewöhnlich, in den Besitz der Familie Siegenthaler von Trub. Auch Alfred Held besass eine Alp, das Ober-Rislau, gleich hinter der Lüderenalp.
Die Alpen im Napfland wurden und werden bis heute von Hirten bewirtschaftet; die Milchwirtschaft hatte dabei grosse Bedeutung und trug schon im 19. Jahrhundert viel zur weltweiten Popularität des würzigen Emmentaler Käses bei.

Eine «neue Mode»
1870 entschloss sich die Alpgenossenschaft Lüderen, vorn auf ihrer Alp am Lüderen-Gässli, eine Käserei zu bauen, die in der Lage sein sollte, grössere und schwerere Laibe des Emmentalers herzustellen. Die vier umliegenden Alpen vereinigten sich mit 72 Anteilen, was in der Region recht respektlos als «neue Mode» bezeichnet wurde; es wurde ihnen sogar in einem Lokalblatt nachgesagt, hier «höre das Alpen auf». Doch die Käserei war nicht zu gross, sondern mit der Zeit sogar zu klein. 1905 wurde sie aufgegeben und das stattliche Gebäude an die Alpgenossenschaft zurückgegeben; es wurde schon bald einmal für den Tourismus genutzt.
Schon kurz vorher hatte auf der Lüderenalp die Kurhaus-Tradition begonnen. Dies war im Emmental damals bereits vielerorts der Fall, etwa in Langnau, auf der Moosegg, im Kemmeriboden-Bad … Das Kurhaus auf der Lüderen wurde 1890 eröffnet. Mit der Molkenkur, die den Gästen angeboten wurde, konnten hier Synergien zur Käserei hergestellt werden; ausserdem war die frische, klare Höhenluft – und offenbar auch die Ammoniak-Luft des Kuhstalls – heilsam für Tuberkulosekranke. Die Familie Held pachtete das Kurhaus 1910 und erwarb es  1911; es blieb bis in diesem Frühjahr in ihrem Besitz (siehe Kasten). 1961 brannte das alte Kurhaus nieder; an derselben Stelle wurde das heutige schöne Hotel erstellt.
Viel weiter zurück als die Kurhaus-Tradition gehen die Lüderen-Chilbi und der Lüderen-Schwinget. Die Emmentaler Leute arbeiteten seit Generationen hart – aber sie verstanden es auch, einmal jährlich von Herzen zu festen und zu feiern; mit Gesang, Tanz, Spiel und Wein. Dafür nahmen sie meist lange Wege in Kauf; so auch auf die Lüderen.

Zu Ehren des Schutzpatrons
Die Lüderen-Chilbi hat ihren Ursprung laut Überlieferungen im jährlichen Fest, welches zu Ehren des Heiligen Oswald gefeiert wurde. Der Heilige Oswald galt als Schutzpatron des Viehs. Ihm wurde unterhalb der Rafrüti anno 1394 eine kleine Wallfahrtskapelle geweiht. Sein Namenstag ist anfangs August. Laut mündlicher Überlieferung des heute 94-jährigen Hans Zaugg aus Röthenbach hat bereits sein Urgrossvater davon gesprochen, dass die Lüderen-Chilbi jeweils am zweiten Sonntag im August stattgefunden hat – also seit mindestens um 1800.
Der Ursprung des Lüderen-Schwingets fehlt in der gekürzten Chronik von Alfred G. Roth. Nicht aber im Wissen der Familie Held. Michael Held steht heute in vierter Generation im Kurhaus-/Hotelbetrieb, war von klein auf mit den Lüderen-Bräuchen und -Geschichten vertraut.
Aus den Gotthelf-Büchern sind die Rivalitäten unter damals jungen Leuten bekannt; wenn es um ein schönes Mädchen ging, lag ein handlicher Hosenlupf durchaus drin. Das war auch auf den Lüderen-Alpen der Fall; zwei junge Burschen hatten sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts in dieselbe Frau verguckt. Sie wollten dies im Rahmen der Chilbi beim Schwingen austragen. Damals fand diese allerdings noch auf der nahen Schynenalp statt.
Der Sieger sollte die Frau erhalten. Im ersten Jahr gab es indessen keinen Sieger; erst im Jahr darauf konnte die Angelegenheit ausgemacht werden. Der Lüderen-Schwinget aber war geboren.
In der Hochblüte der Lüderen-Chilbi, zirka 1980, wurde jeweils Samstagabend und Sonntag gefeiert; rund um das Hotel standen Festbänke, kleinere Zelte und beim Schwingplatz ein gros­ses Festzelt. Michael Held entsinnt sich gut: «Zehn Männer begannen jeweils bereits am Mittwoch mit dem Aufstellen; Freitag und Samstag wurde eingerichtet, am Samstagabend und Sonntag in vollen Zügen gefestet. Sechs Verkehrskadetten regelten den Verkehr und das Einparkieren. Anhand der Tanzbändeli, welche verkauft wurden, konnten wir nachweisen, dass jährlich zwischen 3500 und 5000 Besucher anwesend waren.»
Heute sei das ganz anders: «Der traditionelle Chilbi-Gast ist ausgestorben.» Ab zirka dem Jahr 2000 habe man angefangen, die Dimensionen der Einrichtung zu reduzieren. Nach wie vor sei die Lüderen-Chilbi ein gemütlicher Sonntag mit Zwirbele, Marktständen, Musik – und natürlich mit dem Schwinget. Wenn 500 Gäste eintreffen würden, sei dies ein Erfolg; wie etwa 2016, als das Wetter top, nämlich nicht zu heiss und auch nicht zu unfreundlich gewesen sei.
Der Schwinget wird seit Jahren durch den Schwingklub Langnau durchgeführt. Alle drei Jahre ist der Kampf, dass namhafte Schwinger teilnehmen, besonders gross. Dann nämlich, wenn das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest ausgetragen wird. «Dann haben die ganz Bösen anderes im Kopf und wollen sich nicht noch an einem kleinen Schwingfest verletzen und die Teilnahme am ‹Eidgenössischen› gefährden», weiss Michael Held. Immerhin. Als Jungschwinger hätten unter anderem Matthias Glarner und Kilian Wenger auf der Lüderen geschwungen; Im Jahr des «Eidgenössischen» in Burgdorf habe beim Lüderen-Schwinget Thomas Sempach, der inzwischen ebenfalls «böse» Cousin von Matthias Sempach, gesiegt.
Der diesjährige Lüderen-Schwinget findet am Sonntag, 13. August, statt. Nachdenklich blickt  Michael Held zum Fenster hinaus auf die faszinierende Weite des Hügel- und Berglands, zeigt auf einen Ahornbaum mit ersten gelben Blättern. «Gefällt mir nicht wirklich; soweit ich diese Anzeichen kenne, könnte es sein, dass es heuer schon früh herunterschneit.» So oder so – nicht vergebens gilt die Weisheit: «Der Letzte, der von der Lüderen-Chilbi zurückkehrt, trägt den Herbst am Rücken.»

Von Liselotte Jost-Zürcher