Die Magie des kleinsten Spielfelds
Es gibt diese Saison keinen Regionalfussball mehr. Bereits seit 2001 rollt auf der legendären Korantenmatte in Wyssachen kein Fussball mehr. Zeit, um in der fussballlosen Gegenwart noch einmal an den bekanntesten und kleinsten regionalen Fussballplatz – meist wenig liebevoll «Acker» betitelt – zu erinnern.
Sport/Fussballplatz Korantenmatte Wyssachen · Beim Anblick der unberührten Korantenmatte in Wyssachen im Mai 2020 ist nicht zu erahnen, was dieser unebene Bitz Land für den Regionalfussball einst bedeutete. Am 1. Juli 1954 wurde der Sportclub Wyssachen – der ortsansässige Fussballverein – gegründet. Exakt zehn Jahre später erlebte die Korantenmatte die Geburtsstunde als Fussballplatz. In der Ebene zwischen Kirche/Friedhof und Hitzenberg direkt am Dorfbach Wissachen gelegen, war ein Fussballplatz entstanden, der in den nächsten 37 Jahren regionale Sportgeschichte schreiben sollte.
So klein wie sonst nirgends
Das Korantenmatte-Spielfeld war ein unebener Acker, wie es ihn sonst nirgendwo in der Fussballszene gab. Das Gras wurde mit dem Motormäher gemäht. Doch eine leichte Besserung sollte 1968 erfolgen. In Fronarbeit fand eine Platzsanierung statt. Dies raubte der holprigen Naturarena aber nicht die Einmaligkeit. Die Mindestanforderung der Spielfeldgrösse (90 Meter lang und 45 m breit) erreichte die Korantenmatte nur «häbchläb». Heute wäre ein Spielbetrieb auf der Korantenmatte nicht mehr denkbar, weil die Mindestmasse abgeändert wurden (100 Meter lang und 64 m breit). Auf dem damals kleinsten Fussballplatz im Kanton Bern fühlten sich die Wyssacher «vögeliwohl», während die Gastteams allesamt über den Acker fluchten.
Eckball fast von der Strafraumgrenze
Das Spiel konnte auf der Korantenmatte unmöglich in die Breite gezogen werden. Zwischen der Seitenlinie und der Strafraumgrenze gab es praktischen keinen Raum. Heute sind dazwischen 9,5 Meter vorgeschrieben. Wer auf der Korantenmatte einen Eckball treten durfte, machte dies also praktisch von der Strafraumgrenze aus … Die Wyssacher entwickelten auf ihrer «Geheimwaffe» ein ganz eigenes Spiel, mit welchem auch um Klassen bessere Teams Mühe bekundeten – und oftmals den Kürzeren zogen. Der Wyssacher Offensivfussball – mit gesunder Härte praktiziert – auf dem «Hauruck-Acker» wurde Kult, die Spiele der Wyssacher zum Spektakel.
Über Jahre besser als der grosse Nachbar
Wyssachen wuchs sogar zu einer Macht im Regionalfussball. Zwischen 1969 und 1977 kam es zu acht offiziellen 4. Liga-Meisterschaftsduellen gegen den Lokalrivalen SC Huttwil. Die Wyssacher holten vier Siege (darunter hohe 6:2- und 5:2-Erfolge auf der gefürchteten Korantenmatte) und vier Remis, blieben also ungeschlagen. Wyssachen wurde so zum «Huttu»-Schreck. Besonders das erst kurz vor Schluss erzielte 2:2 Ende der Saison 1974/75 schmerzte die Blumenstädter. Der SCH verpasste dadurch den Gruppensieg und den Aufstieg in die 3. Liga.
In der Saison 1976/77 belegte der SC Wyssachen den 2. Rang, schoss 94 Tore (4,7 pro Partie). Erstmals überhaupt klassierte sich der kleine Landverein mit dem ungewöhnlichen Heimplatz vor dem grossen Nachbar SC Huttwil.
Erstmaliger Aufstieg in die 3. Liga
In der Saison 1980/81 glückte das Meisterstück der bis dahin 26-jährigen Vereinsgeschichte: Der erstmalige Aufstieg in die 3. Liga. Zwei Saisons lang konnte sich Wyssachen oben halten. Alle vier 3. Liga-Derbys gegen den SC Huttwil gingen verloren (2:3, 2:3, 0:3 und 2:3). Für die Korantenmatte legendär war das erste dieser vier 3. Liga-Wettmessen. Am 4. Oktober 1981 reisten 284 Zuschauer zum erstmaligen 3. Liga-Nachbarsduell nach Wyss-achen. Nie wieder verzeichnete ein Meisterschaftsspiel auf der Korantenmatte mehr Zuschauer. Nach einer packenden Partie verlor Wyssachen mit 2:3 und damit erstmals seit 13 Jahren wieder eine Meisterschaftspartie gegen den SC Huttwil.
Ab 1994 nur noch 4. Liga-Spiele
Der zweite Wyssacher Aufstieg in die 3. Liga glückte am Ende der Saison 1988/89. Wiederum spielte Wyssachen zwei Saisons in der 3. Liga. Die letzte goldene Saison bestritt Wyssachen 1993/94. Zum dritten und letzten Mal spielte der SCW in der 3. Liga. Diesmal nur für eine Spielzeit. Aber diese war speziell: Das kleine Wyssachen spielte in der 3. Liga und das grosse Huttwil in der 4. Liga. In der darauffolgenden Saison 1994/95 trafen die Erzrivalen – nach dem Fall von Wyssachen – in der 4. Liga wieder aufeinander. Über das Heimspiel im September 1994 (Huttwil gewann 5:3) war im «UE» zu lesen: «Die umstrittene Korantenmatte stand wegen des vorwöchigen Regenwetters im dicken Morast. Zynische Zungen im Publikum sprachen davon, dass man auf der Korantenmatte nie genau wisse, wann der Bauer die Kartoffeln ausmachen komme.» Der spezielle Fussballplatz erlebte fortan nur noch 4. Liga-Partien.
Das bittere Ende des Kultplatzes
37 Jahre nach dem ersten fand am 9. Juni 2001 das letzte Meisterschafts-Fussballspiel auf der berüchtigten Korantenmatte statt. Wyssachens zweites Team verlor das 5. Liga-Derby gegen Sumiswald II mit 1:9. Die allerletzten Fussballpartien auf dem Kultacker fanden dann anlässlich des Wyssacher Dorfturniers statt. Am 4./5. August spielten 37 Teams in verschiedenen Kategorien um die Wette. Allesamt mit Wehmut und mit grossem Kopfschütteln. Weil sich die Koranten-Landbesitzer und der Sportclub Wyssachen bei der Vertragsschliessung nicht einig wurden, musste der SCW ab der Saison 2001/02 Trainings und Heimspiele auf den edlen Rasen im benachbarten Nationalen Sportcenter in Schwarzenbach bei Huttwil verlegen.
Mit der Korantenmatte verlor Wyssachens Fussballverein das Herzstück und Wahrzeichen. Gleich in der ersten Saison «im Ausland» stieg der Sportclub Wyssachen erstmals überhaupt in der Vereinsgeschichte in die Anonymität der 5. Liga ab. Mit dem Verlust der Korantenmatte starb auch der SC Wyssachen schrittweise. Im Oktober 2018 wurde der Fussballverein aufgelöst. Was vor allem bleibt, sind die Erinnerungen an unvergessliche Spiele auf dem berühmtesten regionalen Fussballplatz, der legendären Korantenmatte.
Von Stefan Leuenberger