• Im Glaspalast dürfen 2024 nicht wie geplant neue Stellen geschaffen werden beziehungsweise Stellenprozente erhöht werden: Die Begehren der Verwaltung fielen der Budgetberatung des Stadtrats zum Opfer. · Bild: Thomas Peter

  • Mehr Geld für die Schulsozialarbeit, aber nicht einfach so: Im Stadtrat ist man übereingekommen, dass dafür anderswo gespart werden muss. · Bild: Patrick Jordi

01.09.2023
Langenthal

Die Monstersitzung mit dem Happy End

Die Weichen sind gestellt dafür, dass die Stadt im nächsten Jahr nicht erneut in einen budgetlosen Zustand gerät: Langenthals Stadtrat hat in einer fast fünfstündigen Sitzung das Budget 2024 geschnürt. Dieses sieht wie erwartet eine Steuererhöhung auf

1,44 Einheiten vor. Davon abgesehen wurden am letzten Montagabend jedoch auch diverse zusätzliche Ausgabenverzichte beschlossen. Die Steuererhöhung dürfte sich damit vor dem Stimmvolk deutlich besser vertreten lassen.

Die harten Fakten gleich vorneweg: Die Stadt Langenthal wird das Jahr 2024 mit einem Defizit von rund 3,1 Millionen Franken abschliessen. Dies bei einer höheren Steueranlage von 1,44 Einheiten (aktuell 1,38). Die Liegenschaftssteuer bleibt unverändert (1 ‰ des amtlichen Werts). So sieht es das Budget vor, das der Stadtrat an seiner letzten Sitzung zuhanden der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger mit 40 Ja-Stimmen, also einstimmig, verabschiedet hat. Der Souverän trifft am 17. Dezember an der Urne die finale Entscheidung.
Ob es taktisch clever ist, dem Stimmvolk erneut ein Budget mit inkludierter Steuererhöhung aufzutischen, darüber wurde im Stadtrat selbstredend debattiert – allerdings bedeutend weniger, als man hätte annehmen können. Das Ansinnen des Gemeinderats, die Steuern um 0,06 Einheiten zu erhöhen, stiess bis weit ins bürgerliche Lager hinein auf Anklang. Ein Antrag der SVP-Fraktion, dem Stimmvolk im Dezember erneut die Wahl zu lassen und über 1,38 beziehungsweise 1,44 Steuereinheiten abzustimmen, hatte vor diesem Hintergrund keine Chance.

Stadtrat überraschend kooperativ
Das Budget mit höherer Steueranlage fand aber letztlich nur deshalb eine Mehrheit im Parlament, weil sich Langenthals Stadträtinnen und Stadträte letzten Montagabend während der Debatte überraschend kooperativ und zielorientiert zeigten – ein Umstand, der angesichts der fast fünfstündigen Megasitzung, während derer äusserst intensiv und in teils zermürbender Weise hin und her diskutiert wurde, beinahe vergessen geht. Aber so war es: Langenthals Volksvertreterinnen und Volksvertreter hatten sich an diesem Abend auf eine Art Zusammenarbeit eingeschworen, die tatsächlich als kollegial bezeichnet werden kann.
Dieser «Zusammenarbeit» lag zugrunde, dass allen Anwesenden im Saal der Alten Mühle irgendwie klar war: Ohne zusätzliche Kosteneinsparungen kriegen wir die Steuererhöhung beim Volk nicht durch. Und so bot selbst die SP/GL-Fraktion bei gewissen Streichungen von Ausgabepositionen Hand. Eine Ratsmehrheit kam dank dieser Kompromissbereitschaft beispielsweise zustande, als es darum ging, neu zu schaffende Stellen auf der Stadtverwaltung zu streichen – ein Antrag, der vonseiten der SVP eingebracht worden war. Sparpotenzial: Knapp 500 000 Franken. Wobei es Patrick Freudiger richtig formulierte: Eingespart wird damit an und für sich gar nichts. «Wir verhindern damit einfach Mehrausgaben», so der SVP-Stadtrat.
Eine Konsequenz dieses Entscheids ist, dass gewisse Stellenprozenterhöhungen und neue Jobs auf der Stadtverwaltung nun nicht wie geplant umgesetzt werden können. Eine Tatsache, die Sandro Baumgartner mit einem Fingerzeig, adressiert an seine bürgerlichen Ratskolleginnen und -kollegen, würdigte: «Für den Fall, dass auf der Stadtverwaltung für einige der Jobprofile absolute Top-Shot-Bewerbende gefunden werden können, ist unsere grundsätzliche Erwartung an den Stadtrat, dass dieser zum richtigen Zeitpunkt entsprechende Nachkredite bewilligen wird», so der SP-Vertreter, der damit klarmachen wollte, dass man – trotz des allgemeinen Spardrucks – gewisse Gelegenheiten einfach beim Schopfe packen muss.

Dietrich gratuliert linkem Lager
Baumgartner war es auch, der dem Rat zuvor im Namen der SP/GL-Fraktion mehrere kleinere Kürzungsanträge präsentiert hatte. Richtig gelesen: Kürzungsanträge von links-grüner Seite – ein weiteres Indiz dafür, dass hier an diesem Montagabend nach bestem Wissen und Gewissen nach einem Konsens gesucht wurde. Stadtrat Pascal Dietrich (parteilos) gratulierte dazu von bürgerlicher Seite redlich: «Kompliment! Ihr wollt nicht einfach nur Geld ausgeben. Nein – ihr macht euch die Mühe, gleichzeitig auch Kosten sparen zu wollen.»
2000 Franken beim Wirtschaftslunch, 8000 Franken bei der Bundesfeier, 5000 Franken bei gewissen Planer- und Architektenhonoraren. Damit – und mit einigen weiteren Positionen, die marginal gekürzt werden können – kamen SP und Grüne auf ein Sparpotenzial von insgesamt 30 000 Franken. Ein Total, das nach Ansicht der SP/GL-Fraktion als Tranche gesamthaft einem Konto zugeführt werden soll, das für Entlastungsmassnahmen von Lehrpersonen reserviert ist. Dies wurde in ihrem Antrag auch explizit so ausgewiesen. Die Stadträte von SP und Grünen standen also offen dazu, dass sie das vermeintlich eingesparte Geld gleich an anderer Stelle wieder investieren wollen. An einem Ort, der es offensichtlich dringend nötig hat – bei der Schulsozialarbeit.
Damit, dass die SP/GL-Fraktion hier keine waschechten Kürzungsanträge vorlegte, hatte im Stadtrat aber nur eine absolute Minderheit ein Problem. Stadtrat Patrick Freudiger machte darauf aufmerksam, dass es aus juristischer Perspektive äusserst heikel sei, diese 30 000 Franken im Budget 2024 einfach so der Entlastung von Lehrpersonen zuzuführen. Ein früherer Ratsbeschluss sehe für dieses Konto eine Ausgabenobergrenze von lediglich 132 000 Franken vor; jetzt wolle man im Budget einfach so 162 000 Franken einstellen. Aus rechtlicher Sicht sei das fragwürdig, wenn nicht sogar inkorrekt, argumentierte der SVP-Stadtrat.
Im Bewusstsein, hier in einem rechtlichen Graubereich zu operieren, entschied sich eine klare Mehrheit des Parlaments schliesslich dennoch für ein pragmatisches Vorgehen. Der Kompromiss lautete: Die 30 000 Franken, die an anderer Stelle zusammengekratzt worden waren, werden im Budget 2024 zwar für die Entlastung der Lehrpersonen eingestellt, ausgegeben werden dürfen aber bis zum Vorliegen einer revidierten Rechtsgrundlage nur die bisher beschlossenen 132 000 Franken. Eine solche Rechtsgrundlage sei zuhanden des Stadtrats zeitnah durch das Amt für Bildung, Kultur und Sport zu erarbeiten, lautete der Tenor.

Wozu der Stadtrat fähig ist
Zugegeben: Die eben geschilderte Anekdote hört sich sehr technisch an. Es gab Ereignisse und Phasen, die sich zwecks plastischer Darstellung einer Budgetdebatte eindeutig besser eignen würden als der vorhin beschriebene Sitzungsabschnitt.
Die Geschichte mit dem Umverteilungsbegehren der SP/GL-Fraktion und wie damit im Stadtrat umgegangen wurde, vermag jedoch exemplarisch aufzuzeigen, inwieweit sich Lan­genthals Parlamentarierinnen und Parlamentarier in der aktuellen Konstellation doch noch kompromissbereit und lösungsorientiert zeigen können. Edle Haltungen, für die der Stadtrat in den letzten Jahren freilich nicht immer bekannt war. Im Rahmen dieser Budgetdebatte bewies er jedoch erfrischende Kooperationsbereitschaft – in den Saalecken wurden während kurzen Sitzungsunterbrüchen sogar partei- und fraktionsübergreifend Köpfe zusammengesteckt und Argumente ausgetauscht. Das Ringen ums Budget war also äusserst zäh und nervenaufreibend, aber auch respektvoll, sachbezogen und zukunftsgerichtet.

Zeichen gegenüber der Bevölkerung
Das gemeinsame Handeln sowie der Blick in die Zukunft sind angesichts des Finanzplans des Gemeinderats auch dringend notwendig: In den kommenden Jahren wird die Stadt Langenthal voraussichtlich weitere happige Defizite einfahren. Eine Kombination aus gezielten Ausgabeverzichten sowie grösseren Einnahmen durch leicht angehobene Steuern dürfte nun jedoch dafür sorgen, dass das Defizit im kommenden Jahr «nur» rund 3,1 Millionen Franken betragen wird. Hätte der Stadtrat das Budget am Montagabend einfach so durchgewunken – ohne zusätzliche Einsparungen, aber mit Steuererhöhung – wäre 2024 mit einem Defizit von rund 3,65 Millionen Franken zu rechnen gewesen. Man kann also sagen: Das über viereinhalbstündige Debattieren zum Budget hat letztlich etwas gebracht. Stadtratspräsident Michael Schenk (SVP) formulierte es am Schluss so: «Es war anstrengend, aber wir haben das Budget an einem einzigen Abend durchgebracht und uns einstimmig dafür ausgesprochen – das ist sehr viel wert, auch als Zeichen gegenüber der Bevölkerung.»In der Tat: Stadt- und Gemeinderat hoffen bereits jetzt auf Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, die erkennen, dass man in Langenthal nicht bloss die Steuern erhöhen will, sondern dass man seitens Politik auch willens und fähig ist, sich ausgabenseitig gezielt in Verzicht zu üben. Das nun geschnürte Budget mit einem zusätzlichen Ausgabenverzicht von zirka einer halben Million Franken darf sich vor dem Stimmvolk im Dezember jedenfalls sehen lassen. Und die Chancen dafür, dass die Stadt nicht erneut in einen budgetlosen Zustand hineinschlittert, stehen vor diesem Hintergrund recht gut.

Die Zeit reichte nicht für alles
Was in die Monstersitzung des Stadtrats indessen nicht mehr hineingepackt werden konnte, war die Genehmigung des Entwurfs der Abstimmungsbotschaft. Dieser wird nun an einer nächsten Stadtratssitzung behandelt. Auch die drei traktandierten Kindergarten-Projekte konnten aus zeitlichen Gründen nicht mehr an der Sitzung behandelt werden. Um über diese zu debattieren und zu beschliessen, trifft sich der Stadtrat jedoch bereits am kommenden Montag wieder – zu einer ausserordentlichen, kurzfristig einberufenen Sitzung. Pragmatisch, praktisch, gut.

Von Patrick Jordi