Die Rettung kommt aus der Luft
Die Rettung der Rehkitze während der Mahd ist ein sich jährlich wiederholender Kampf.
Mit dem Einsatz von Drohnen mit Wärmebildkameras und mit Hilfe von herkömmlichen Vergrämungsmethoden können viele Tiere gerettet werden. Um die kostspieligen Drohnen finanzieren zu können, bittet eine Drohnengruppe, die im ehemaligen Amt Trachselwald ehrenamtlich tätig ist, um finanzielle Hilfe.
Emmental · Ein unschuldiges kleines Bündel liegt im hohen Gras, gut getarnt mit seinem bräunlichen Fell und den weissen Flecken. Droht Gefahr, legt es sich instinktiv flach auf den Boden. Das kleine Bündel ist ein Rehkitz. Sie werden in der Regel im Mai und Juni geboren. Ihre Mütter setzen sie oft ins hohe Gras. In Kombination mit dem noch fehlenden Eigengeruch ist das die perfekte Überlebensstrategie – wenn die Mähmaschine nicht wäre. Denn während der Mahd fallen ihr viele Jungtiere zum Opfer. Gegen die Maschinen haben die Kitze keine Chance. Sie werden von ihnen erfasst und grausam getötet oder verstümmelt – der Anblick ist kaum zu ertragen. Rund 1700 Rehkitze fallen laut Jagdstatistik pro Jahr in der Schweiz dem Mäher zum Opfer. Allein im Kanton Bern waren es im vergangenen Jahr 367 Kitze.
Verblenden und Verwittern
Um sogenanntes Fallwild möglichst zu verhindern, gibt es verschiedene Vergrämungsmethoden (kurzfristige Abschreckung). Damit soll bezweckt werden, dass die Mutter ihr Junges aus der Gefahrenzone holt. Beim Verblenden werden am Vorabend vor der Mahd Tücher, Futtersäcke oder Folienstreifen aus Aluminium in der zu mähenden Wiese aufgehängt. Beim Verwittern werden durch mitgeführte Hunde oder Duftstoffe fremde Gerüche in die Wiese eingebracht. Die Muttertiere reagieren auf die Veränderung beunruhigt und bringen deshalb ihren Nachwuchs in der Nacht in sicherere Gebiete. «Doch das klappt nicht immer, denn es gibt auch scheue Rehe, die sich nach dem Verblenden nicht mehr in die Wiese trauen. Oder aber die Rehe haben sich durch Velofahrer und Wanderer bereits so an Störungen gewöhnt, dass sie das Verblenden und Verwittern nicht mehr als Gefahr ansehen und deshalb keinen Grund sehen, ihre Jungen nachts aus der hohen Wiese zu holen», weiss Claudia Burkhard aus Sumiswald aus Erfahrung. Sie ist Hegeobfrau des Jagd- und Wildschutzvereins Trachselwald. Aus diesem Grund werden seit einigen Jahren am frühen Morgen vor der Mahd zusätzlich Drohnen eingesetzt. Ausgerüstet mit einer Wärmebildkamera fliegen diese in etwa 50 bis 60 Metern Höhe systematisch eine zuvor eingegebene Route ab. Damit die Kitze gefunden werden können, ist ein möglichst grosser Temperaturunterschied nötig. Die Bildaufnahmen der Wärmebildkamera werden in Echtzeit über Funk an Bildschirme am Boden übertragen, von wo aus das Geschehen verfolgt wird. Wird ein Wärmepunkt erkannt wie beispielsweise ein Rehkitz, lotst der Drohnenpilot die Helfenden zum Rehkitz. Diese decken das Kitz mit einer Harasse zu, markieren den Standort, damit der Landwirt zeitnah drumherum mähen kann. Wenn das Feld abgemäht ist, wird das Kitz von den Helfenden freigelassen und die Rehgeiss nimmt sich seiner wieder an.
Kostspielige Drohnen
Mittlerweile gibt es im ehemaligen Amt Trachselwald sieben Drohnenpiloten, die in der kurzen Zeit der Mahd eingesetzt werden können. Die teure technische Ausrüstung und die dazugehörige Ausbildung bezahlen sie aus der eigenen Tasche. Die Drohnenpiloten, Jäger und Nichtjäger, haben sich vor rund einem Jahr zusammengetan und die Pilotengruppe Region Trachselwald gebildet. Sie alle verfolgen das gleiche Ziel: Jedes Jahr so viele Rehkitze wie möglich zu retten. «Eine Drohne, die zur Rehkitzrettung eingesetzt werden kann, kostet mit allem nötigen Zusatzequipment rund 8000 Franken», erklärt Jäger und Drohnenpilot Samuel Schüpbach aus Lützelflüh, «nach etwa fünf Jahren muss sie ersetzt werden, weil dann in der Regel die Firmware nicht mehr unterstützt wird und keine Ersatzteile mehr erhältlich sind, weshalb die Drohne nicht mehr abheben kann.» Ein teures Hobby zu Gunsten der Natur, das gehörig ins Geld geht. Deshalb machte sich die Drohnengruppe auf die Suche nach finanzieller Unterstützung und ist damit bei vielen auf offene Ohren gestossen. So wird die Gruppe in diesem Jahr bereits von allen Gemeinden aus dem ehemaligen Amt Trachselwald und von Firmen und Privatpersonen aus der Region unterstützt. Um den administrativen Aufwand innerhalb der Gruppe gering halten zu können, haben die Mitglieder entschieden, sich der Rehkitzrettung Kanton Bern anzuschliessen, die für einen verschwindend kleinen Beitrag die Administration übernimmt. Die Investition der Sponsoren lohnt sich zumindest emotional. Die Drohnenpiloten und ihre Helfer sind Jahr für Jahr erfolgreich unterwegs. «Letztes Jahr haben die sieben Drohnenpilotenteams an 103 Einsatztagen 1279 Stunden in die Rehkitzrettung investiert, dabei wurden 619 Felder mit gesamthaft 877 Hektaren abgeflogen und dadurch 215 Rehkitze und 25 Feldhasen gerettet», erzählt Samuel Schüpbach stolz. Claudia Burkhard ergänzt mit Blick auf ihre Statistik, die sie als Hegeobfrau für den Kanton Bern führt: «Ohne Hilfe der Drohnen, alleine durch die Vergrämungsmethoden, haben wir im vergangenen Jahr 90 Rehkitze gerettet und dabei rund 2000 ehrenamtliche Stunden aufgewendet.»
Landwirte in der Pflicht
Die Rehkitzrettung erfolgt immer in enger Zusammenarbeit von Landwirten, der Jägerschaft, Drohnenpiloten und allenfalls weiteren helfenden Händen. Die Verantwortung jedoch liegt bei den Landwirten. Vernachlässigen die Landwirte ihre Sorgfaltspflicht und vermähen ein Rehkitz, können sie mit einer Geldbusse bestraft werden. Insbesondere dann, wenn sie es zu vertuschen versuchen. Der Umgang mit Tieren ist im Tierschutzgesetz genau definiert. Unter anderem ist bei Artikel 4 festgehalten, dass niemand ungerechtfertigt einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen, es in Angst versetzen oder in einer anderen Weise seine Würde missachten darf. Soweit muss es aber nicht kommen, denn: «Eigentlich ist es ganz einfach. Die Landwirte melden sich bei uns Jägern mindestens einen Tag vor dem Mähen, so dass wir Massnahmen zur Rehkitzrettung ergreifen können, oder sie verblenden die Felder selber. Wir helfen gerne – ehrenamtlich und kostenlos.» Durch die gute Zusammenarbeit aller Beteiligten sowie den ehrenhaften Geldspenden der zahlreichen Sponsoren werden auch in Zukunft viele Tiere vor dem Mähtod gerettet werden können.
Von Marion Heiniger