«Die Schüler haben sich nicht verändert, die Schule aber schon»
Es war ihm nicht bloss ein Anliegen, sondern vielmehr sogar eine Herzensangelegenheit: Bis zuletzt stand Thomas Multerer im Schulzimmer und unterrichtete. Für den Rektor des Gymnasiums Oberaargau war das immer «eine schöne Sache», wie er sagt. Das habe für ihn einfach dazu gehört. Dadurch sei er stets im engen Kontakt mit den Schülern gestanden und damit nah am Puls des Gymnasiums, erwähnte er. «Das Unterrichten hat mir sehr viel gebracht», deshalb werde er die Schülerschar vermissen, gab er an seinem letzten Arbeitstag zu verstehen.
Von Thomas Multerer sind kaum schlechte oder negative Worte zu hören, wenn er in den Erinnerungen seiner 22-jährigen Zeit als Rektor am Gymnasium Oberaargau kramt. Dreimal habe er während dieser Zeit die Schule völlig neu organisiert und strukturiert, von der ehemaligen Gemeindeschule zum heutigen Gymnasium Oberaargau. Gewisse Sparmassnahmen hätten das «gymo» getroffen, berichtet er. «Das hatte zwar Auswirkungen auf die Pensen der Lehrkräfte und gewisse Angebote, aber im Gros-sen und Ganzen war unsere Situation immer komfortabel.» Nicht zuletzt der Spardruck habe dazu geführt, dass man die Zusammenarbeit mit dem Bildungszentrum Langenthal (bzl) vertieft habe. Rückblickend bezeichnet Multerer dies als wichtigen Entwicklungsschritt.
«gymo» hatte immer wahnsinnig gute Schüler
Die Schule habe sich während seiner Zeit stark gewandelt, berichtete der gymo-Rektor weiter. Vor allem auf der organisatorisch-administrativen Ebene habe sich das bemerkbar gemacht. «Doch was ein Gymnasium oder eine Schule ausmacht, findet nicht hier, sondern auf der menschlichen Ebene statt», fügte der 64-jährige Langenthaler Stadtrat hinzu. Diesbezüglich verlässt Thomas Multerer das Gymnasium mit einem ganz besonders guten Gefühl. «Wir hatten immer wahnsinnig gute Schüler und eine tolle Zusammenarbeit mit ihnen», sagt er. Natürlich habe es auch Konflikte gegeben, was bei 600 Personen, die täglich beim Gymnasium ein- und ausgehen würden, durchaus verständlich sei. Bei näherem Hinschauen sei er nicht selten zur Erkenntnis gelangt, «dass ich unter diesen Umständen, die ich teilweise angetroffen habe, auch ‹blöd› getan hätte», gibt er zu verstehen.
Der Rektor sagt denn auch, dass sich die Schüler während seiner 22-jährigen Tätigkeit als Rektor nicht gross verändert hätten. Smartphones und Social Media hätten auch am «gymo» Einzug gehalten, «aber die Leute, die das Gymnasium besuchen, sind die gleichen geblieben.» Die meisten wüssten ganz genau, weshalb sie hierher kämen. «Auch konnten wir in all den Jahren mit den Gymnasiasten Auslandreisen absolvieren, ohne dass wir eine Polizei-Eskorte benötigt hätten.» Es sei für ihn eine gute Zeit gewesen, die eigentlich viel zu schnell vorbeigegangen sei, zieht der Vater von vier erwachsenen Kindern ein überaus positives Gesamtfazit.
Beim Blick in die Zukunft werde ihm ganz bestimmt nicht bange, winkt er bei der Frage nach allfälliger Langeweile, die nach den Sommerferien aufkommen könnte, entschieden ab. «Im Gegenteil, ich muss mich bereits wieder wehren, damit ich nicht zu viel Arbeit habe», erwähnt er lachend und verweist auf einige Engagements, die ihn beschäftigen werden, wie etwa das Gotthelf-Zentrum in Lützelflüh, das er mithalf aufzubauen und bei dem er sich nach wie vor engagiert. Aber auch als Langenthaler Stadtrat wird er weiter gefordert sein, dazu ist er Mitglied der Theaterkommission und sitzt im Vorstand der Langenthaler Gartenoper. Und dann wären da noch zwei Buchprojekte, die der Realisierung harren. Das eine befasst sich mit der Frage: «Welche Bedeutung Literaturunterricht am Gymnasium hat», und beim andern möchte er sich dem Thema «Deutsche Literatur im Tessin» widmen.
Blick auf die Bildungslandschaft
Emotionell wurde es ganz zum Schluss dann doch noch, als Thomas Multerer aufgefordert wurde, einen Blick auf die künftige Bildungslandschaft der Schweiz zu werfen. «Hier stehen wir vor einem grossen Problem», zeigt er sich besorgt. «Im Moment macht es den Anschein, als würden sich alle Beteiligten fast ausschliesslich auf die Berufsbildung fokussieren. Unser wirtschaftlicher Erfolg gründet aber nicht alleine auf der Berufsbildung, er ist nicht zuletzt auch ein Produkt einer erstklassigen akademischen Ausbildung vieler Leute hier.» Das duale Bildungssystem, das immer wieder als wichtigster wirtschaftlicher Erfolgsfaktor unseres Landes genannt werde, müsse eine Einheit zwischen praktischer und akademischer Arbeit bilden, mahnte Thomas Multerer, der jedoch der Meinung ist, das dies aktuell nicht der Fall ist. Die allgemein herrschende Meinung, dass heute fast alle Schulabgänger den Weg Richtung Gymnasium wählten, stimme überhaupt nicht, betonte er und wies darauf hin, dass die Gymnasien in den letzten zwölf Jahren tendenziell eher abnehmende Schülerzahlen verzeichnen würden. Für den abtretenden «gymo»-Rektor ist deshalb klar: «Damit das Erfolgsmodell Schweiz weiter bestand haben kann, darf sich die künftige Ausbildung der Schulabgänger nicht bloss an der Praxis orientieren, denn gerade in der digitalisierten Zukunft wird ein breites Allgemeinwissen noch viel wichtiger sein.»
Von Walter Ryser