«Die Schweiz hat gewonnen»
Nach über 60 Jahren am Standort Huttwil wird die Afag nach Zell LU ziehen. Die Entscheidung der Verantwortlichen fiel hauchdünn zugunsten der Hinterländer Nachbargemeinde. Aber es gehen keine Arbeitsplätze verloren; im Gegenteil: Das Unternehmen ist auf Erfolgskurs, will in die Zukunft investieren und auch weitere Stellen generieren.
Der Afag geht es gut, sehr gut sogar. Dies war die erste und wichtigste Nachricht, die der «Unter-Emmentaler» im Gespräch mit dem CEO Markus Werro erfuhr. Und dass er sehr sehr froh sei über die Gewissheit, dass die Afag blosse sieben Kilometer vom jetzigen Standort entfernt zukunftsgerichtet den Neubau planen könne. «Es sind gute News, denn sie sind ein Bekenntnis zum Afag-Standort Schweiz.» Für die Zukunft von Afag Schweiz sei dieser Entscheid essentiell.
Aufstrebendes Marktsegment
Die Afag ist ein internationales Technologieunternehmen im Automationssektor mit Niederlassungen in Huttwil (seit über 60 Jahren), in Amberg (Deutschland), Hardt (Deutschland), Nashville (USA) und Shanghai (China).
Das Unternehmen hat sich hohe Ziele gesetzt – und ist auf Kurs. Seit 2012 hat die Afag ihren Umsatz praktisch verdoppelt. 2016 ist das Umsatzvolumen um 15 % gewachsen. Die Auftragsbücher sind mehr als voll; mittelfristig besteht sogar Arbeitsvorrat. In Huttwil ist die Mitarbeiterzahl seit 2012 um jährlich fünf bis sechs Leute auf 100 Mitarbeitende gestiegen; im deutschen Amberg konnten die 60 Arbeitsplätze auf 90 und im ebenfalls deutschen Hardt von 12 auf 30 ausgebaut werden. Die Standorte in den USA und in China sind im Aufbau.
Der Bereich Automationen wächst. Es sei nur eine Frage des Managements und der Kommunikation, wieviel die Anbieter auf dem Markt gewinnen –oder wieviel sie verlieren. Das ist die feste Überzeugung des deutschen Afag-Eigentümers, des Verwaltungsrats und der Firmenleitung.
Mit dem Frankenschock 2015 geriet der Standort Huttwil allerdings ins Wanken. «Uns wurde bewusst, wie risikoreich für unseren Standort Schweiz die Wechselkurse sind. Wir sind ein Spielball der Mächte», sagt Markus Werro. Dieser Erschütterung aber hielten die Willenskraft, Disziplin und Ausdauer der Mitarbeitenden und der Betriebsleitung einerseits, deren Kompetenz und Wissen anderseits stand. «Es gelang unseren Leuten, auf die Kursschwankungen zu reagieren und auf der Schiene zu bleiben. Sie haben etwas geschafft, was unter diesen Bedingungen sonst wohl nirgends möglich gewesen wäre», stellt der CEO fest. Die Crew mochte damals allerdings kaum geahnt haben, dass sie für Afag Schweiz entscheidend die Weichen gestellt hat. «Die Mitarbeitenden waren der Grund für das Bekenntnis zum Standort Schweiz.» Sie hätten dem Verwaltungsrat quasi den Tatbeweis erbracht, «dass der Produktionsort Huttwil eine gute Sache ist.»
Suche nach neuer Liegenschaft
Das änderte allerdings nichts an der Tatsache, dass bezüglich der Liegenschaft etwas ändern muss. Das Gebäude, einst eine Textilfabrik, wurde über Jahrzehnte hinweg immer wieder an- und umgebaut, lässt effiziente Abläufe kaum noch zu. Seit Jahren steht die Liegenschaft zum Verkauf; die Afag schaute sich nach andern Möglichkeiten um, sei dies in Miete oder mit einem Neubau. Im Zuge dieser voraussichtlichen Veränderung wurde auch in die Infrastruktur nur noch das Nötigste investiert.
So stand die Firmenleitung – nebst dem enormen Druck auf den Markt und dem Erfüllen der Umsatzziele –vor der Entscheidung was mit dem Standort Huttwil laufen soll, aber auch wie die Kurs-Risiken abgeschwächt werden können. Letzteres soll mit den inzwischen neu eröffneten Standorten in Amerika und China erreicht werden. Diese stecken aber noch in den «Kinderschuhen» und sind zurzeit recht arbeitsintensiv bezüglich des Personalaufbaus. Denn die Tätigkeiten in den jeweiligen Ländern sollen den dortigen Bedürfnissen und Mentalitäten angepasst werden.
In Huttwil aber begannen vorerst interne Abklärungen unter den Mitarbeitenden, in welchem Umkreis sie sich einen neuen Arbeitsort vorstellen können. «20 km, wie wir es uns zuerst dachten, erwies sich für viele unter ihnen als zu weit», so Markus Werro. Es wurden Möglichkeiten in Langenthal, Huttwil und Zell geprüft. Aus Zell kam zusätzlich eine mentale Motivation; dies vom CEO der Rommelag Unternehmung, Bernd Hansen, ein Geschäftsfreund des Firmeninhabers Alexander Schaeff. Bernd Hansen ist seit über 30 Jahren in der Schweiz tätig, glaubt an den Standort Schweiz und ermutigte die Afag-Inhaber dazu, ihren Schweizer Betrieb zu festigen und ihn keinesfalls aufzugeben.
Besserer Baugrund
Für die weiteren Standortabklärungen wurden dann neutrale, externe Fachleute zur Beurteilung beigezogen. Prüfungspunkte waren nach der Mitarbeiterbefragung die zur Verfügung stehenden Parzellen in den erwähnten Ortschaften, wobei Langenthal schon bezüglich der Mitarbeiter-Meinungen ausschied. Huttwil und Zell blieben im Kopf-an-Kopf-Rennen, auch hinsichtlich der Steuern und der Emotionen. «Wir waren nach jeder weiteren Abklärung wieder gleichweit», beschreibt Markus Werro.
Ausschlaggebend für das luzernische Zell seien schliesslich der etwas vorteilhaftere Baugrund, die fixeren und damit zuverlässigeren Fiskus-Bestimmungen im Kanton Luzern und nicht zuletzt die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Alexander Schaeff und Bernd Hansen gewesen.
Aber, und dies ist Markus Werro sehr wichtig, festzuhalten: «Wo immer wir hinkamen wurden wir hervorragend unterstützt; niemand hat uns Steine in den Weg gelegt. Dafür danken wir allen Beteiligten.»
Der CEO und seine ganze grosse Schweizer-Crew können nach Monaten der Zweifel und der Ungewissheit aufatmen. Bis im April 2018 soll das Baukonzept erstellt und 80 bis 90 % der Kosten für den Neubau bekannt sein. Die anschliessende Detailplanung und das Einholen der Bewilligungen dürfte vier bis sechs Monate in Anspruch nehmen. Geht alles nach
Plan der Inhaber, des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung, erfolgt der Baubeginn im Winter 2018/19. In der zweiten Hälfte des Jahres 2019 dürfte in diesem Fall der Neubau der Afag in Zell bezugsbereit sein.
Trotz der anspruchsvollen Pläne – die Afag bleibt auch in ihrem Kerngebiet nicht stehen. Im Gegenteil.
Mehr Dienstleistungen
Grosses Potential gebe es in der Handhabung Technik, erwähnt Markus Werro. Riesenchancen sieht die Geschäftsleitung deshalb in der Entwicklung von Komponenten und ebenso in der Digitalisierung. Dabei sei klar: Parallel zur Entwicklung von Produkten liege die Zukunft im Angebot und Ausbau von Dienstleistungen. Und schlussendlich müsse auch die Kommunikation grundlegend revolutioniert werden, «denn der Kunde muss unsere Angebote kennen, er muss ein Gesamtpaket erhalten können wenn er es wünscht, und wir müssen ihn von unseren Produkten und Dienstleistungen überzeugen können.»
Ebenso klar sei, «dass jedes der erwähnten Projekte Millionen-Investitionen benötigt.» Doch wenn die Afag auf dem angestrebten Kurs bleibe könne der nächsten Generation ein Werk überlassen werden, das «Hände und Füsse» habe.
Von Liselotte Jost-Zürcher