«Die Sprache anpassen schafft Sichtbarkeit»
Sofia Fisch ist nicht-binär/queer und setzt sich stark für die Gleichberechtigung auf allen Ebenen ein. Dazu gehört auch die «Ehe für alle». Aufgewachsen ist Sofia Fisch in Madiswil und studiert zur Zeit Jura in Bern.
Madiswil / Bern · «Queer ist ein Anglizismus und ein Überbegriff für Personen, die durch die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität von der gesellschaftlichen Norm abweichen», erklärt Sofia Fisch zu Beginn des Gesprächs und fügt an: «Grundsätzlich haben die sexuelle Orientierung und die Geschlechteridentität nichts miteinander zu tun. Ersteres ist, zu wem ich mich hingezogen fühle, das zweite, welchem Geschlecht ich angehöre.» Sofia Fisch geht mit dem Thema offen um. «Je mehr Aufklärung und Vorbilder es gibt, desto einfacher ist das Leben für queere Menschen», so Sofia Fisch.
Sofia Fisch wurde 1996 geboren und wuchs in Madiswil auf. «Ich wollte eigentlich nie ein Mädchen sein, aber auch kein Knabe», blickt der 25-jährige Queer-Mensch auf die Kindheit zurück. «Da es kaum queere Personen als Vorbilder in der Öffentlichkeit gab, habe ich mich lange angepasst. Ich dachte, ich muss ein Mädchen sein. Erst so um die 20 habe ich realisiert, dass ich nicht ins gängige Bild passen muss und mich damit befasst.»
Im Umfeld verstanden worden
Vom Elternhaus politisch geprägt, trat Sofia Fisch schon früh den Jungsozialisten, der Juso, bei. «In diesem Umfeld habe ich verschiedene queere Menschen getroffen und festgestellt, dass ich nicht alleine bin.» Denn vorher sei immer der Gedanke dagewesen, dass etwas nicht stimme. «In den Kreisen, in denen ich verkehrte, musste ich mich nicht lange erklären, sondern wurde verstanden.» Diese Akzeptanz sei sehr wichtig gewesen, sagt Sofia Fisch im Nachhinein. Von der Mutter kommt ebenfalls die volle Unterstützung, «auch wenn es für sie vielleicht nicht immer einfach ist», wie Sofia Fisch ahnt. Im Alltag gebe es kaum gefährliche Anfeindungen, aber einige Unsicherheiten. «Zum Beispiel nachts im Bahnhof in Bern, wenn grössere Gruppen Männer auf mich zukommen. Aber das ergeht ja vielen Frauen auch so», weiss Sofia Fisch. Auch im beruflichen Umfeld wurde Sofia Fisch bisher nie benachteiligt. «Ich war vor allem für Nicht-Regierungsorganisationen tätig, wo die geschlechtliche Identität eh keine Rolle spielt.» Sofia Fisch studiert Rechtswissenschaften und steht kurz vor dem Abschluss.
Kein Zwangsouting durch Zivilstand
Auch wenn Sofia Fisch selbst kaum negative Erfahrungen gemacht hat und macht, so wünscht sich der queere Mensch doch mehr Akzeptanz in der Gesellschaft. Der Zivilstand «in einer eingetragenen Partnerschaft» macht beispielsweise die sexuelle Orientierung zwangsläufig sichtbar. «Das kommt einem Zwangsouting gleich, was nicht alle wollen.» Obwohl Sofia Fisch sich derzeit nicht vorstellen kann, einmal eine Familie zu gründen, gleich in welcher Form, ist das Engagement für die «Ehe für alle», über die am 26. September abgestimmt wird, gross. «Für viele ist diese sehr wichtig. Eine Studie aus den USA belegt, dass in Ländern, in denen die ‹Ehe für alle› schon länger eingeführt worden ist, die Suizidversuchsrate bei den queeren Jugendlichen massiv zurückgeht.»
Und noch etwas wünscht sich Sofia Fisch neben einer guten Aufklärung: «Dass die Sprache angepasst wird und in Referenz zu mir keine Pronomen mehr verwendet werden.» Das ist herausfordernd, aber möglich, wie an diesem Artikel zu erkennen ist.
Begriffe: queer, LGBT....
Früher war queer (sprich: kwier), was übersetzt «seltsam, komisch» bedeutet, ein Schimpfwort für Lesben, Schwule oder Bisexuelle. Heute wird «queer» als Sammelbegriff für alle Personen verwendet, die nicht der heterosexuellen Geschlechternorm entsprechen.
In diesem Zusammenhang wird oft von LGBT gesprochen. Hierbei handelt es sich um eine aus dem englischen Sprachraum übernommene Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender, also lesbisch, schwul, bisexuell und transgender.
Mit der «Ehe für alle» sollen gleichgeschlechtliche Paare die gleichen Rechte erhalten wie heterosexuelle Paare. Bundesrat und Parlament sprechen sich für ein Ja aus. Das Referendumskomitee will die Ehe als Verbindung von Mann und Frau schützen, weil nur aus dieser Verbindung auf natürliche Weise Kinder entstehen können, und empfiehlt ein Nein.
Von Irmgard Bayard