• Der 33-jährige Rohrbacher Töffpilot Dominique Aegerter mit seinen Trophäen für die beiden ersten Podestplätze in der Superbike-WM Ende Oktober in Jerez. · Bild: Stefan Leuenberger

16.11.2023
Sport

«Die Weihnachtszeit wird etwas ruhiger»

Der Rohrbacher Töffpilot Dominique Aegerter blickt im «UE»-Interview auf seine erste Saison in der Superbike-WM, die mit zwei

Podestplätzen in Jerez glanzvoll endete. Ausserdem blickt der 33-Jährige bereits auf die Superbike-WM 2024, welche er in den Top-6 beenden will.

Motorsport · Interview: Stefan Leuenberger im Gespräch mit Dominique Aegerter, Töffpilot aus Rohrbach

Wie verrückt ist das: Ihre allererste Superbike-WM 2023 umfasste 36 Rennen (12 Superpole- und 24 Normaldistanzrennen) an zwölf Rennorten. Ausgerechnet in den Rennen 35 und 36 – also ganz am Schluss – fuhren Sie Ende Oktober mit den Rängen 2 und 3 erstmals überhaupt, dafür gleich doppelt, auf das Podest.
Das Timing spielt nicht so eine Rolle. Die Hauptsache ist, dass es mit dem Podest noch geklappt hat. Die Saison hat stark begonnen. In Assen und auch in Barcelona war ich nicht weit weg von den Podestplätzen. Mitte Saison hatte ich dann eine Durststrecke mit Stürzen und daraus resultierenden Verletzungen sowie den operativen Eingriffen am Unterarm. Hinzu kamen Strecken, auf denen ich noch kaum Erfahrungen sammeln konnte. Ich musste in der Superbike-Startsaison sicher etwas Lehrgeld bezahlen. Umso schöner war es, ganz am Ende diese beiden Erfolge feiern zu können.   

Haben diese beiden Podestplätze aus einer guten eine sehr gute Rookie-Saison in der Superbike-WM gemacht, immerhin rückten Sie damit noch auf den 8. WM-Gesamtrang vor?
Genau. Allerdings war ich nicht ganz der beste Rookie. Danilo Petrucci, der ebenfalls seine erste Superbike-WM-Saison absolvierte, klassierte sich einen Rang vor mir. Ich konnte aber in etlichen Rennen zeigen, dass ich mit den besten Fahrern mithalten kann.    

Absolut verrückt am letzten Rennwochenende in Jerez war die Tatsache, wie Ihre beiden ersten Podestfahrten zu Stande kamen. Nach einem Motorschaden und Neustart im Superpole-Rennen haben Sie die Erfolge mit Ihrem Ersatztöff geschafft.
Ich hatte während der gesamten Saison öfters Pech. In Jerez war ich für einmal auf der glücklichen Seite. Das Superpole-Rennen musste wegen mir und meinem Motorenschaden aus Sicherheitsgründen abgebrochen werden, weil mein Töff Öl verlor. Das mir entgegenkommende  Reglement besagte, dass ich beim Neustart ebenfalls mit dabei sein kann. In einer Blitzaktion wurde mein Ersatztöff innerhalb von zehn Minuten für den Neustart bereit gemacht. Und der Ersatztöff lief super.    

Einem Normalsterblichen müssen Sie dies präziser erklären: Warum fahren Sie während 34 Superbike-Rennen mit der während unzähligen Tests und Arbeitsstunden absolut auf Ihre Bedürfnisse abgestimmten Originalmaschine nie und mit einem Töff, dem jegliches Finetuning fehlt zweimal nacheinander in die Top-3?
Die Unterschiede der beiden Maschinen sind nicht so gross, wie angenommen wird. Die beiden Motorräder verfügen über identisches Material. Anfang Saison habe ich nach Tests einfach den Beschluss gefasst, welches für mich Töff Nummer 1 und  welches Töff Nummer 2 ist. Tatsache ist, dass die präzisen Feineinstellungen zeitlich für das Superpole-Rennen in Jerez nicht mehr reichten. Aber wie gesagt: Es kann durchaus sein, dass der aktuelle Töff Nummer 2 nächste Saison mein Töff Nummer 1 wird.   

Was brachten die beiden Podestfahrten finanziell?
Die Beträge sind nicht riesig. Die Podest-Prämien werden lediglich vom Yamaha-Rennstall bezahlt. Für die beiden Jerez-Podestplätze habe ich unter 10 000 Franken erhalten. Finanziell richtig einschenken würde es nur, wenn ich einen Sieg einfahre.

Und wie verlief die Startsaison in der höchsten der drei Rennklassen (Supersport 300, Supersport und Superbike) finanziell? Mussten Sie drauflegen?
Nein. Die letzten drei Saisons konnte ich den Töffpiloten-Beruf so ausüben, wie es eigentlich sein sollte. Ich habe immer etwas verdient. Allerdings stammen die Haupteinnahmen nicht von den nicht sehr hohen Podestplatz-Prämien oder dem Lohn, den ich von Yamaha erhalte, sondern von den Beträgen der Privatsponsoren.

Reicht das verdiente Geld, um Ihren Bruder und Manager Kevin sowie die mithelfenden Eltern Fere und Béatrice zu entlöhnen?
Jawohl. Wobei: Papa und Mama arbeiten eigentlich gratis für mich (schmunzelt). Ich bin extrem dankbar dafür.

Nach den tollen Podestplätzen endete die Saison 2023 doch noch mit einer leisen Enttäuschung. Zu Ihrer traditionellen Domi Fighters Party im Campus Perspektiven in Huttwil kamen «nur» 1000 Besuchende – und damit deutlich weniger als bei den vorherigen Austragungen.
Vorneweg: Die Party war super und ich hatte es mit den Besuchenden toll. Fakt ist aber natürlich, dass der Aufwand und die Kosten für diesen Grossanlass sehr hoch sind. Ich habe zwei bis drei Wochen Arbeit damit, benötige 50 Mithelfende. Natürlich wünsche ich mir möglichst viele Leute. Es wäre schön, einmal 2000 bis 2500 Leute begrüssen zu können. Ich warte jetzt einmal die Abrechnung ab, damit ich eine Bilanz ziehen kann. Natürlich ist es schön, wenn etwas raus schaut. Aber alleine der Austausch mit meinen Fans macht die Party immer wertvoll.

Ihr Wechsel von der Supersport-WM, wo sie 2021 und 2022 zwei WM-Titel holten, in die Superbike-WM war eine grosse Umstellung. Wie sind Sie mit dem 100 PS kräftigeren und bis zu 330 km/h schnellen Motorrad klar gekommen?
Der zeitliche Engpass war mein Hauptproblem. Ich fuhr bis im November Supersport-WM-Rennen und bereits im Februar ging es mit der Superbike-WM los. Ich hatte praktisch keine Zeit, mich an die Umstellung zu gewöhnen. Während den ersten Rennen in Australien bekam ich dann erstmals so richtig zu spüren, was es heisst, konstant mit 300 km/h über die Piste zu donnern. Mein Körper benötigte Zeit, sich wirklich daran zu gewöhnen. Und die Belastung war mit drei Rennen am gleichen Wochenende hoch. Meine Augen mussten mit dem viel höheren Tempo erst klar kommen. Die Ernstkämpfe waren für mich eigentlich eine Übungsplattform. Mit jeder Fahrt passte  es besser.

Mehr Probleme als der Töff bereitete Ihnen das sogenannte Armpump, das bei Töffpiloten oft vorkommt. Sie liessen sich deshalb im Mai in San Marino am Unterarm operieren. Ist das Problem behoben?
Tatsächlich verspürte ich in den letzten Rennen nichts mehr. Darüber bin ich sehr froh, da mir der Eingriff nervlich einiges abverlangte. Mit der ersten Operation wurde nicht die erhoffte Wirkung erzielt, womit ein zweiter Eingriff notwendig wurde. Bei der zweiten OP kam es zu einem Infekt. Dadurch wurde ein dritter Eingriff nötig.   

Stört Sie die grosse Narbe am rechten Unterarm?
Überhaupt nicht. Das ist eine Kampfspur mehr an meinem Körper.

Sind Sie eitel?
Nein. Aber ich schaue schon darauf, dass ich gepflegt ausschaue und auftrete.

Wie lange betrachten Sie sich täglich im Spiegel?
Ich schätze eine halbe Stunde täglich: Dreimal Zähne putzen, Tages- oder Nachtcrème auftragen und die Haare machen.

Sie gelten als Sonnyboy im Töffzirkus und kommen beim weiblichen Geschlecht sehr gut an. Hat es immer noch nicht geklappt mit einer festen Bindung?
Nein, leider nicht.

Der Wunsch nach einer eigenen Familie ist immer noch da?
Auf jeden Fall. Klar werde ich nicht jünger. Zeitlich lasse ich mich aber trotzdem nicht stressen. Es wird passieren, wenn der Moment dafür da ist.

Sportlich geht es 2024 in der Superbike-WM weiter. Ihr Vertrag mit dem  privaten GRT-Yamaha-Rennstall wurde um ein Jahr verlängert. Was kann mit dem Töff getan werden, damit er noch wettbewerbsfähiger und vor allem weniger anfällig auf Defekte ist?
Das Material, welches wir im Privatteam zur Verfügung gestellt kriegen, ist praktisch identisch mit jenem des Werkteams. Ich denke, dass einfach ganz viel Pech zusammen kam. Die Kräfte, welche auf diese Motorräder wirken, sind extrem. So kann es halt zu Aussetzern kommen. Dass ich gleich viele davon abbekam, werte ich einfach als dummen Zufall. Weltmeister Alvaro Bautista zum Vergleich blieb die gesamte Saison über davon verschont. Es braucht auch Glück, um erfolgreich zu sein.

Absolutes Topmaterial hätten Sie im Yamaha-Werksteam. Durch den Weggang von Vize-Weltmeister Toprak Razgatlioglu wurde da ein Platz frei. Wie stehen aktuell Ihre Chancen, diesen einzunehmen?
Das hat sich mittlerweile erledigt. Neben dem gesetzten Andrea Locatelli wurde der zweite Platz im Werksteam an den sechsfachen Superbike-Weltmeister  Jonathan Rea vergeben. Ich werde wie in meiner ersten Saison fix mit Remy Gardner im GRT-Yamaha-Team fahren. Hätte Rea nicht zugesagt, wären meine Chancen nicht schlecht gestanden, den Platz im Werksteam zu erhalten.

Schade. Mit einem Wechsel ins Werksteam wären Sie mit dem Topmaterial automatisch ein Kandidat für den Superbike-WM-Titel gewesen. 
Nein, das denke ich nicht. Wie erwähnt fahre ich beim GRT-Team mit fast identischem Yamaha-Material wie die Piloten im Werksteam.     

Aber dann können Sie Ihre Ziele für die WM 2024 sowieso höher ansetzen.
Richtig. Ich konnte mich nun eine Saison lang an diese für mich neue Rennklasse gewöhnen. Nun will ich einen Schritt vorwärts machen. Mein erster Sieg sowie weitere Podestplätze sollen 2024 folgen. Ausserdem möchte ich meine zweite Superbike-WM in den Top-6 beenden. Bester Yamaha- und bester Privatfahrer zu sein, sind weitere Ziele von mir.

Der Vertrag gilt bis Ende 2024. Sie sind jetzt 33 Jahre alt. Machen Sie sich Gedanken, wie lange es im Töffzirkus für Sie als Rennpilot noch weiter gehen soll – oder, besser ausgedrückt, kann?
So lange ich Spass daran habe, ein gutes Team mit gutem Material habe, gesund bleibe und die nötige Motivation aufbringe, werde ich Jahr für Jahr weiter fahren. Ich habe noch nicht genug vom Töffsport.

Bereits Ende Februar 2024 beginnt die Superbike-WM in Australien. Es bleibt wenig Zeit für Freizeit. Trotzdem: Was gönnen Sie sich in den nächsten Tagen?
Die Weihnachtszeit wird auf jeden Fall etwas ruhiger. Ich werde auch körperlich etwas herunterfahren, sprich mein Training stark reduzieren.

Planen Sie Ferien?
Ich habe tatsächlich im Dezember zehn Tage eingeplant, in welchen ich keine Sponsorentermine annehmen werde. Ich plane, für ein paar Tage an die Wärme zu reisen. Ich habe bis jetzt aber noch keine Begleitung gefunden.

Wie sieht es mit Skifahren aus?
Liebend gerne. Letzten Winter bin ich nur ein einziges Mal auf den Skis gestanden. Ich hoffe darum auf ganz viel Schneefall jetzt, damit ich dann fahren gehen kann. Ich habe allerdings nur im Dezember die Möglichkeit dazu.  Ab Januar steht schon wieder das Töfffahren im Zentrum.

Wo und wie verbringen Sie Weihnachten?
Wie jedes Jahr mit meiner Familie am 24. Dezember bei meinem Cousin in Langenthal.

Haben Sie schon eine Geschenkidee für Ihre Mutter, die für Sie kocht und wäscht sowie Ihren florierenden Fanshop betreut?
Nein, leider noch nicht. Ich bin sowieso immer ein bisschen spät dran mit den Weihnachtsgeschenken. Meistens schaffe ich es erst am 23. oder 24. Dezember, noch etwas zu posten.

Schlussrangliste: Superbike-WM 2023 (36 Rennen/26 Klassierte): 1. Alvaro Bautista, Spanien, 628 Punkte; 2. Toprak Razgatlioglu, Türkei, 552; 3. Jonathan Rea, Grossbritannien, 370; 4. Andrea Locatelli, Italien, 327; 5. Michael Rinaldi, Italien, 251; 6. Axel Bassani, Italien, 249; 7. Danilo Petrucci, Italien, 228; 8. Dominique Aegerter, Schweiz/Rohrbach, 163; 9. Remy Gardner, Australien, 145; 10. Xavi Vierge, Spanien, 149.