«Die zunehmende Abgehobenheit in der Politik stört mich»
Patrick Freudiger ist erst 34 Jahre alt, aber schon 14 Jahre aktiv im Langenthaler Stadtrat tätig. Dieses Jahr amtet der Rechtsanwalt sogar als Stadtratspräsident. Im Monatsinterview mit dem «Unter-Emmentaler» verrät er, wie schwer es ihm fällt, ein Jahr lang bei allen politischen Geschäften zu schweigen, und er gibt zu verstehen, dass ihn eine zunehmende Abgehobenheit in der Politik störe. «Der Sachverstand und die Lebenserfahrung der Bürger sind das wahre Potenzial unseres Staates», ist Freudiger überzeugt.
Walter Ryser im Gespräch mit Langenthals Stadtratspräsident Patrick Freudiger
Patrick Freudiger, Sie sind seit Anfang Jahr Stadtratspräsident von Langenthal und haben die ersten Stadtratssitzungen geleitet. Wie fühlt sich das an?
Man sollte dieses Amt nicht überbewerten. Meine Aufgabe ist es, die Sitzungen des Parlamentes zu leiten und zu führen, nicht mehr und nicht weniger. Deswegen fühle ich mich nicht als König von Langenthal. Aber ich habe gemerkt, dass die Vorbereitungen auf die Stadtratssitzungen etwas intensiver ausfallen als zuvor.
Sie sind als Stadtrat bekannt dafür, dass Sie im Parlament etwas zu sagen haben und sich gerne einbringen. Nun müssen Sie ein ganzes Jahr lang schweigen und können sich zu keinem politischen Geschäft in Langenthal äussern. Das muss für Sie mindestens so schlimm sein, wie mit Juso-Chefin Tamara Funinciello auf einer einsamen Insel gefangen zu sein?
(Lacht herzhaft). Glauben Sie mir, mit Tamara Funinciello kann man durchaus gute Gespräche führen, aber klar, auf einer einsamen Insel möchte ich dann doch lieber meine Familie um mich haben. Ich gebe zu, dass es mich manchmal schon ein wenig «chribelet» und ich mich zu gewissen Themen gerne äussern würde, aber ich kann mich den Gegebenheiten fügen. Ich habe mich für dieses Amt zur Verfügung gestellt im Bewusstsein der Bedingungen. Zudem bin ich ja noch Grossrat und schreibe politische Kolumnen. Mir stehen also genügend Kanäle zur Verfügung, über die ich mich einbringen kann. Im Übrigen möchte ich noch darauf hinweisen, dass der Begriff Parlament ja das Wort reden und nicht schweigen beinhaltet. In diesem Gremium geht es also darum, mit Worten Position zu beziehen.
Wir geben Ihnen jetzt die Gelegenheit. Sie können sich hier zum jüngsten, heftig umstrittenen Geschäft im Stadtrat äussern, der Erhöhung des Unterstützungsbeitrages an die Kosten der Eismiete der SC Langenthal Nachwuchs AG von 125 000 Franken auf 250 000 Franken, die der Stadtrat knapp bewilligt hat?
Ich habe bei diesem Geschäft sehr wohl Stellung bezogen und der Erhöhung des Unterstützungsbeitrags zugestimmt. Ich gebe zu, dass man bei diesem Geschäft die ordnungspolitischen Grundvoraussetzungen etwas strapaziert hat, aber man darf nicht verkennen, dass der SC Langenthal eine Sonderstellung in dieser Stadt einnimmt und mit ihm auch die gesamte Nachwuchsförderung. Zudem sollte man nicht vergessen, dass der SCL nun schon sehr lange auf ein neues Stadion wartet, und damit verfügt der Klub nicht über das entsprechende Potenzial zur Generierung von zusätzlichen Einnahmen. Auch aus diesem Blickwinkel betrachtet ist der Entscheid, den Unterstützungsbeitrag zu erhöhen, richtig.
Sie sind bereits seit 2005 Mitglied des Langenthaler Stadtrates und obwohl erst 34 Jahre alt, sind Sie schon ein altgedienter Stadtpolitiker. Was ist ihre Motivation, sich weiterhin aktiv in der städtischen Politik zu engagieren?
Mein politisches Engagement begann schon sehr früh. Bereits als 14-Jähriger habe ich mich mit Themen wie dem möglichen Beitritt der Schweiz zur EU befasst. Ich habe früh gemerkt, dass man in einer Gemeinde politische Aktivitäten entfalten kann, und dabei habe ich festgestellt, dass man da, wo man wohnt, tatsächlich etwas bewirken kann. Das macht ein politisches Engagement ja so spannend, dass man mitgestalten und als Einzelner einen Beitrag zu Entwicklungen leisten kann. Deshalb ist mein Interesse an der politischen Arbeit in der Gemeinde nach wie vor ungebrochen gross, nicht zuletzt auch deshalb, weil wir uns in Langenthal aktuell mit sehr vielen spannenden Themen beschäftigen dürfen.
Wo liegen Ihre politischen Wurzeln?
Politik war in unserer Familie immer ein Thema. Mein Vater (Adolf Freudiger, Anmerkung der Redaktion) war unter anderem SVP-Parteipräsident und auch einmal Stadtratspräsident. Aber er hat mich nie dazu gedrängt, politisch aktiv zu werden. Das Interesse an der Politik wurde bei mir in der Schule geweckt, beim Behandeln von staatspolitischen Themen. Das liess mich nicht mehr los, bis heute.
Wo liegen Ihre politischen Schwerpunkte, was bewegt Patrick Freudiger oder was möchte er bewegen?
Ich bin ein Mensch, der konservativ geprägt ist. Ich bin der Meinung, dass die Schweiz ein Erfolgsmodell ist. Wir haben zweifellos nicht immer alles richtig gemacht, trotzdem bin ich überzeugt, dass wir mit unseren Errungenschaften nicht fahrlässig umgehen sollten. Bei meiner politischen Arbeit ist es mir ein grosses Anliegen, dass wir die bewährten Volksrechte respektieren und ernst nehmen. Doch genau hier nehme ich eine gefährliche Tendenz wahr: In der Politik ist eine zunehmend snobistische Haltung spürbar, ein Trend hin zum Elitismus. Dabei verkennt man den Sachverstand und die Lebenserfahrung unserer Bürger. Hier schlummert ein gros-ses Potenzial, das wir nutzen sollten. Doch die heutige Politik tendiert dazu, die Lösung von Problemen an Fachgremien zu delegieren. Das führt dazu, dass man versucht, Recht und Unrecht am Volk vorbei durchzusetzen. Doch dagegen wehre ich mich. Erst recht darf nicht sein, dass der Schweiz jemand von aussen die Rechtsprechung diktiert. Aber auch im Innern ist dieser Trend spürbar, versuchen die Kantone den Handlungsspielraum der Gemeinden laufend einzuschränken. Dabei gibt es auch auf dieser Stufe fähige und kompetente Leute, die über das nötige Potenzial verfügen, um Probleme vor Ort lösen zu können.
Sie sind Mitglied der SVP, der wählerstärksten Partei im Land, aber auch jener Partei, die im Herbst bei den nationalen Wahlen mit Verlusten rechnen muss. Wie betrachten Sie die Arbeit Ihrer Partei, entspricht Sie dem, was Sie sich persönlich vorstellen?
Wahlen sind stets gewissen Wellenbewegungen unterworfen. In Bezug auf unsere Partei habe ich aber schon ein bisschen das Gefühl, dass die SVP nach den letzten Erfolgen etwas bequem geworden ist. Gewinnen ist für unsere Partei fast schon zur Normalität geworden. Vermutlich sind wir deshalb bei der Mobilisierung der Wähler nicht mehr ganz so erfolgreich wie in der Vergangenheit. Weiter stelle ich fest, dass es heute Mode ist, über das Klima zu debattieren. Aber man muss als Partei nicht auf jeden Hype aufspringen, vielmehr sollten wir – gerade bei diesem Thema – mehr Pragmatismus walten lassen, etwa bei der Raumplanung oder bei Baugesetzen. Das würde uns allen und auch der Umwelt viel mehr dienen.
Was gefällt Ihnen an Langenthal?
Fast alles. Langenthal schafft es in fast einzigartiger Weise, ein Dorf zu sein, wo man sich kennt. Gleichzeitig verfügt der Ort aber auch über urbane Züge, ist mit einer erstklassigen Infrastruktur und guten Bildungsangeboten ausgestattet.
Was stört Sie an Langenthal, wo sehen Sie dringenden Handlungsbedarf?
Langenthal schlägt sich mit einem strukturellen Defizit herum, das ist sicher nicht gut. Auch wird Langenthal oft, vorab in den Medien, als Schweizer Durchschnittsstadt bezeichnet. Das hat einen etwas negativen Touch, weil man damit auf eine gewisse Mittelmässigkeit anspielt. Doch diese Stadt hat Potenzial in vielen Bereichen, das darf man mit einem gesunden Selbstbewusstsein vertreten, ohne dass man dabei auf andere arrogant wirkt.
Mit einer gewissen Überraschung hat man zur Kenntnis genommen, dass sich Patrick Freudiger nicht als Kandidat für die Nationalratswahlen im Herbst zur Verfügung stellt.
Patrick Freudiger ist verheiratet und hat eine zweijährige Tochter und einen acht Monate alten Sohn. Ich wäre ein schlechter Politiker, wenn ich nun als Nationalratskandidat viele Wahlversprechen abgeben würde, aber das Versprechen gegenüber meiner Familie nicht einhalten könnte. Neben meinem Beruf als Rechtsanwalt bin ich noch Stadtrat von Langenthal und Grossrat des Kantons Bern. Aktuell bin ich damit gut ausgelastet.
Haben Sie denn keine höheren politischen Ambitionen?
Vielleicht klingt es abgedroschen, es ist aber so: Eine politische Karriere lässt sich nicht planen. Ich habe viele politische Karrieren verfolgt und festgestellt, dass sich darunter eine Menge «Eintagsfliegen» befanden. Wer von Anfang an mit allzu viel Ehrgeiz auf eine grosse politische Karriere setzt, wird oft enttäuscht. Deshalb versuche ich meine politische Karriere nicht zu planen, vielmehr steht bei mir im Vordergrund, dass ich das, was ich tue, mit Freude tun möchte.
Als eines Ihrer Hobbys bezeichnen Sie das Schreiben von Kolumnen. Was fasziniert Sie am Schreiben?
Ich mache es einfach gerne. Schon als Kind habe ich gerne Aufsätze geschrieben. Ich erhalte auch immer wieder schöne Reaktionen auf meine Kolumnen, was mich darin bestärkt, weiterzuschreiben. Es muss sich dabei nicht zwingend nur um politische Themen handeln, über die ich gerne schreibe.
Wenn Sie genügend Zeit zur Verfügung hätten, über was würden Sie ausführlich schreiben?
Vielleicht würde ich dann gar nicht schreiben, sondern eher zeichnen. Wenn ich aber einmal ausreichend Zeit zum Schreiben hätte, dann würde sich mein Thema wohl um die Schnittstelle Politik/Recht drehen. Es wäre durchaus interessant, sich einmal etwas vertiefter mit diesem Bereich befassen zu können.
Weil Sie als Stadtratspräsident dieses Jahr nicht mitdiskutieren dürfen, gewähren wir Ihnen zum Schluss noch einen politischen Wunsch für das Jahr 2019.
Ich mache nun daraus drei Wünsche für die Schweiz, den Kanton Bern und Langenthal. Kurzfristig wünsche ich mir, dass im Kanton Bern das neue Sozialhilfegesetz vom Volk angenommen wird. Auf nationaler Ebene hoffe ich, dass man bei der EU-Rahmenabkommens-Debatte einen Weg finden wird, der uns nicht der europäischen Gerichtsbarkeit ausliefert. Und für Langenthal wünsche ich mir, dass wir im Jahr 2020 über ein neues Wahl- und Abstimmungsreglement verfügen, damit bei den nächsten «Stapi»-Wahlen der Wahlmechanismus von Anfang an klar ist und keine Diskussionen mehr aufkommen.