• Die Gesprächsteilnehmer des Wirtschaftsanlasses von links: Gian Kämpf, Rudolf Holzer, Moderator Joachim Huber, Walter Rohrbach und Marc Frühauf. · Bild: Marion Heiniger

  • Der Route des Städtlirundgangs in der Übersicht. · Bild: zvg

31.03.2022
Huttwil

Durch Dreiklang zum harmonischen Einklang

Viele Leerwohnungen, immer knapper werdendes Bauland und neue Wohnformen sind Themen, welche die Region seit geraumer Zeit beschäftigen. Beim vergangenen Wirtschaftsanlass «Verdichtetes Nebeneinander im Oberaargau» wurden während einer Podiumsdiskussion die damit verbundenen Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze diskutiert. Zuvor wurde zu einem Städtlirundgang geladen. Der Rundgang mit unterschiedlichen Themenfeldern zeigt Entwurfsergebnisse aus Studierendenarbeiten des Fachbereichs Architektur, welche sich mit der Zukunft Huttwil befassten. Die verschiedenen Plakate können noch bis zum 10. April besichtigt werden.

 

Huttwil · Bereits 2019 haben die Ergebnisse der Forschungseinheit «Dencity» der Berner Fachhochschule eine Binnenwanderung der Huttwiler Bevölkerung vom Ortskern in die Neubauten ausserhalb aufgezeigt. Die Ortsmitte droht zu zerfallen. Huttwil solle vom Donut (Loch in der Mitte) wieder zum Berliner (Herzstück in der Mitte) werden. Um dies zu erreichen, sei ein Perspektivenwechsel nötig. Fakt ist, seit Einführung der Negativzinsen hat der Winterschlaf bezüglich der Bautätigkeit ein Ende gefunden. Huttwil hat leere Wohnungen im Überfluss und es werden immer mehr. Jene Wohnungen, die unterdessen besetzt sind, hätten der Gemeinde aber nicht die erhofften Steuer-Mehreinnahmen beschert, sondern erreichten durch günstige Mieten eher das Gegenteil, gab der Huttwiler Gemeindepräsident Walter Rohrbach am vergangenen Wirtschaftsanlass zum Thema «Verdichtetes Nebeneinander im Oberaargau» zu erkennen. Aufgrund der Forschungsergebnisse von «Dencity» hat sich die Gemeinde Huttwil in den letzten Jahren viele Gedanken gemacht und bereits einiges umgesetzt. So wurde beispielsweise ein «Huttu-Macher» angestellt, der den Puls der Bevölkerung spüren und Projekte umsetzen soll. «Obwohl wir im Zentrum der Schweiz sind und eine gute Erreichbarkeit haben, reicht attraktiv zu sein nicht aus», erkannte Walter Rohrbach. Nach wie vor pendeln mehr Menschen nach Huttwil als von Huttwil weg. Das Stichwort hierzu ist: Dreiklang. Arbeiten, Wohnen und Freizeit soll in einen harmonischen Einklang gebracht werden können. Wie das zu bewerkstelligen ist, wurde am Wirtschaftsanlass während einer Podiumsdiskussion debattiert. Die Gesprächsteilnehmer neben Walter Rohrbach: Marc Frühauf (Co-Präsident Verein Porziareal Langenthal), Rudolf Holzer (Leiter Baudirektion Stadt Burgdorf) und Gian Kämpf (Ducksch Anliker Architekten Langenthal). Sie wurden dabei von Joachim Huber (BFH Kompetenzbereich «Dencity») moderiert. Rund 120 Interessierte hatten sich zum Anlass angemeldet und verfolgten gespannt die Diskussion.

Verdichten noch nicht erwünscht
«Entleerende Zentren finden sich im ganzen Berner Mittelland wieder. Die Siedlungsentwicklung nach innen muss deshalb überregional angegangen werden. Die immer knapper werdende Ressource ‹Boden› muss für eine zukünftige 10-Millionen-Schweiz ausreichen», gab Joachim Huber zu bedenken. Der Moderator gab damit ein weiteres Stichwort zur Diskussion frei: Die Verdichtung.
In Burgdorf habe es unterdessen kaum mehr Bauland, erklärte Rudolf Holzer. Somit ist die Emmentaler Stadt bereits mit dem Thema Verdichten konfrontiert. Für Walter Rohrbach hingegen ist ein proaktives Angehen zur inneren Verdichtung im Städtli Huttwil bei der momentanen Leerwohnungssituation noch nicht denkbar. Architekt Gian Kämpf sieht ein Potenzial beim energietechnischen Aufarbeiten, da die Wohnungen im Zentrum oft sehr alt seien. Auf die Frage des Moderators, ob man partizipativ (unter Beteiligung der Betroffenen) in ein Planungskonzept mit eingreifen solle, waren sich die Diskussionsteilnehmer einig. Die Bevölkerung solle zwingend mit in die Planung miteinbezogen werden. In Huttwil ist dies über den «Huttu-Macher» oder Mitwirkungen gewährleistet. «Bei der Schwimmbadfrage hat die Mitwirkung sehr gut funktioniert, doch es gibt auch Themen, welche die Bevölkerung weniger interessieren», erklärt Walter Rohrbach. Für Marc Frühauf ist ein partizipativer Prozess ein klarer Gewinn. Momentan sei das Porzi-Areal noch mehr Arbeits- als Wohnort. Doch in einem langfristigen Prozess solle dort wieder Leben entstehen und durch Erneuerung der Infrastruktur zu einem neuen Quartier für Langenthal heranwachsen.
Ein aktuelles Thema in Burgdorf ist zurzeit das Areal rund um den Bahnhof. «Hier läuft im Moment eine Umfrage. Wir wollen wissen, was die Bewohner und das Gewerbe bewegt», sagt Rudolf Holzer.

Huttwil möchte keine Hochhäuser
«Könnten auch Hochhäuser eine Antwort auf den Leerwohnungsbestand sein?», fragte der Moderator in die Runde. Ein Hochhauskonzept für Huttwil kann sich Walter Rohrbach nicht vorstellen. Man habe nach dem Städtlibrand 1834 die Verdichtung im Kern aufgegeben, um die Häuser zu schützen, deswegen sei auch der Brunnenplatz als Leerraum entstanden, begründete der Gemeindepräsident. Für Gian Kämpf könne es vielleicht eine Möglichkeit sein, es komme aber ganz darauf an, wo die nächsten Generationen in Zukunft wohnen möchten. Wichtig sei auch, was zwischen den Hochhäusern sei. Man müsse funktionale Räume stärker miteinander verweben, um einem Dreiklang gerecht zu werden, ergänzt Rudolf Holzer und erwähnte das Fischermätteli-Quartier in Burgdorf.
Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass alte Denkmuster schnell durchbrochen werden können. So fehlten während der Homeoffice-Pflicht häufig Rückzugsorte. Im Fischermätteli sei das mit einem Co-Working Space gelöst worden. Die Frage nach möblierten Büroräumen und Sitzungszimmern in unmittelbarer Nähe des Wohnortes tauche nun vermehrt auf, so Rudolf Holzer. Aus der Podiumsdiskussion zusammengefasst ist die Vernetzung, der Einbezug der Bevölkerung in Planungsprozesse sowie attraktive Wohn- und Arbeitsplätze regional wie überregional äusserst wichtig. Dabei sollen aber nicht nur Zentren und Subzentren, sondern auch die kleineren Gemeinden miteinbezogen werden.

Städtlirundgang zeigt bis am 10. April Visualisierungen der Ideen
Dem Wirtschaftsanlass voraus ging ein Städtlirundgang, welcher der Bevölkerung durch einen Flyer angekündigt wurde. Auf dem Rundgang werden noch bis zum 10. April ein Teil der Entwurfsergebnisse der Studierendenarbeiten des Fachbereichs Architektur der Fachhochschule Bern unter dem Titel «Zukunft Huttwil» an Plakatständern zu sehen sein. Diese wurden bereit letztes Jahr im März pandemiebedingt in einer virtueller Jahresausstellung vorgestellt. Es sind Bachelor­arbeiten, die sich unter den Themenfeldern «Zentralität», «Wohnformen» und «Ressourcen» den spezifischen räumlichen Qualitäten von Huttwil annähern. Das Grundprinzip heisst «Weiterbauen im Bestand». Dieser Bestand ist heute bedroht. Der Städtlirundgang lädt ein, neue Ideen zu entwickeln. Dabei gelte es, die hohe Wertschätzung, die ein historisches Zentrum in der Regel geniesse, für Huttwil wieder zu entdecken und neu zu interpretieren, wie Dieter Schnell, Professor für Kulturtheorie und Denkmalpflege, kürzlich darlegte.
Die Projekte auf dem Stadtspaziergang werden jeweils durch eine Visualisation repräsentiert. Scannt man den QR-Code auf den Plakaten mit dem Handy ein, wird man zudem auf die ausführliche virtuelle Jahresausstellung der BFH geleitet und findet ausgedehntes Material zum Projekt, aber auch zu den anderen Projekten des jeweiligen Standortes und Themenfeldes. Vielfältige Ideen im Umgang mit Bestand und Kontext für die Zukunft von Huttwil sind so zu entdecken.

Ideen für Industrieareal
Ein zweites wichtiges Element für die Siedlungsentwicklung nach innen stellt die Transformation von zentrumsnahen Industriearealen dar. Die Masterstudierenden der BFH haben sich mit dem Areal der Sägerei Schürch in Huttwil auseinandergesetzt: Stadträumliche Konfiguration (bestimmte Art der Gestaltung), Mischnutzungen, kontextuelle (dazugehörende) Spuren, typologische Reminiszenzen (Ähnlichkeiten) und Identitätsbildung. Während des Wirtschaftsanlasses wurden drei Plansätze von Masterarbeiten ausgestellt.

Von Marion Heiniger