«Ein Amerikaner in Paris» beglückt Publikum
Mit einer hinreissenden, faszinierenden, ballettreichen und aufwendigen Inszenierung des Gershwin-Tanzmusicals «Ein Amerikaner in Paris» sorgt das Euro-Studio Landgraf Titisee-Neustadt im Stadttheater Langenthal für beste Unterhaltung und Standing Ovations.
Wer «Ein Amerikaner in Paris» hört, denkt womöglich an den gleichnamigen romantischen Musicalfilm aus dem Jahr 1951 mit Gene Kelly und Leslie Caron. Musik und Liedertexte stammen von George Gershwin und dessen ältestem Bruder Ira Gershwin, das Buch von Craig Lucas. Das Gershwin-Tanzmusical blickt zurück ins Jahr 1945, nach Paris, in die noch vom Zweiten Weltkrieg gezeichnete Stadt der Liebe. Vorbei sind jetzt hier die vier schrecklichen Jahre der Nazi-Besetzungszeit. «Es geht nach Hause», lautet die Devise.
Nicht sofort zurück in die Heimat zieht es den jungen US-Soldaten Jerry Mulligan (Tobias Joch), der von Paris fasziniert ist und durch die französische Hauptstadt schlendert, die langsam aus ihrer Schockstarre erwacht. Unterwegs trifft Jerry die junge Pariserin Lise Dassin (Mariana Hidemi), von der er hingerissen ist. Jerry, von Beruf Kunstmaler, ist hungrig und wohnungslos. Er setzt sich im Café Dutois an einen Tisch, um einen Kaffee zu trinken. «Es ist zu früh für Kaffee. Champagner?», wird er gefragt. Im Café Dutois trifft Jerry den ehemaligen US-Soldaten Adam Hochberg (Robert David Marx), der als erfolgloser Komponist in Paris lebt. Als dieser erfährt, dass Jerry ein aufstrebender Maler ist, stellt er ihm ein kleines Dachzimmer bei den Dutois in Aussicht, die ein Herz für brotlose Künstler haben.
Wiedersehen von Jerry und Lise
Wohl aus Freude über den nun beendeten Zweiten Weltkrieg wird im Café Dutois ausgelassen getanzt. Chic gekleidete Damen sorgen für Action. Zwischenzeitlich wird es im Café finster. «Es ist nur die Sicherung», kommt die beruhigende Meldung. In den Hinterköpfen steckt den Parisern wohl immer noch die Angst vor Luftangriffen mit angeordneter Verdunkelung in den Knochen.
Jerry lernt den aus gutem Hause stammenden Henri Baurel (Nico Schweers) kennen, der – statt das Geschäft seiner Eltern zu übernehmen – lieber als Nachtclubsänger Karriere machen möchte. Henri und Adam proben gemeinsam den neuen Song von Adam «I Got Rhythm». Aus den drei Männern Jerry, Adam und Henri werden Freunde. Bald nimmt Adam Jerry mit zu einem Ballettvortanzen, das er am Klavier begleitet. Vor dem Ballettstudio trifft Jerry auf die reiche Amerikanerin und Kunstmäzenin Milo Davenport (Kira Primke), die von Jerry ebenso begeistert ist, wie von dessen zeichnerischem Talent. Sie lädt Jerry spontan zu einer kleinen Abendgesellschaft ins Ritz ein. Dort dabei ist auch Madame Baurel (Michaela Hanser), Kuratoriumsmitglied des Theaters und Mutter von Jerry-Freund Henri.
Zu Jerrys Freude taucht bei diesem noblen Anlass auch Lise auf – als Vortänzerin. Alle sind begeistert. Die steinreiche Milo gar so sehr, dass sie sich bereit erklärt, die ganze Ballettsaison zu finanzieren – vorausgesetzt, dass Lise in diesem neuen Ballett Primaballerina, Adam Komponist und Jerry Ausstatter sein wird. Wie Jerry («Ich hab nicht gewusst, dass es Engel gibt»), ist auch Adam von Lise hingerissen und macht sich sofort ans Komponieren. Ans Briefschreiben hingegen macht sich Henri, Sohn von Madame Baurel, der auf deren Geheiss endlich vorwärts machen und Lise einen Heiratsantrag machen soll – ob mündlich oder schriftlich.
An der Seine – was ist mit Lise los?
Jerry wartet wie vereinbart an der Seine auf Lise. Diese erscheint zwar kurz, will aber gleich wieder weg und sagt: «Natürlich liebe ich dich, aber ich bin nicht frei.» Jerry merkt, dass Lise etwas bedrückt, das mit dem Krieg zu tun hat. Es stellt sich heraus, dass Lise Jüdin ist. Als die Deutschen in Frankreich einmarschierten, haben die Baurels Lise bei sich versteckt.
Lises Eltern sollten nachkommen, haben es aber nicht mehr rechtzeitig nach Paris geschafft und wurden verhaftet. Seither fehlt jede Spur von Lises Eltern. Wenn Lise jeweils Jerry an der kurzen Leine hält, tut sie dies schweren Herzens und begründet ihr Verhalten mit «Verpflichtungen», die sie davon abhalte, ihrem Herzen zu folgen und bei Jerry zu sein. Es sind die «Verpflichtungen» der Dankbarkeit zur Familie Baurel, weil diese Jüdin Lise vor den Nazis bei sich daheim versteckten. Es ist nicht nur Henri, der sich über beide Ohren in Lise verliebt hat, sondern eben auch Henris Freunde Jerry und Adam, die nicht wissen, dass es sich bei ihrer jeweiligen Angebeteten um ein und dieselbe Person handelt: Lise.
Das Tanzmusical ist geprägt von tollen Balletteinlagen und unvergesslichen Gershwin-Melodien. Auch zu lachen gibt es. So wird aus «Auf nimmer Wiedersehn» das Gegenteil: «Ich möchte dich immer wieder sehn.» Ein Augenschmaus sind die Kulissen, die kunstvollen Laternen und die Einspielungen Pariser Sehenswürdigkeiten, über denen weisse Wolken über dem blauen Himmel hinwegziehen. Lises Lachen wird eingeblendet, wenn Jerry von ihr schwärmt.
Auch Mäzenin Milo hat sich in Jerry verguckt: «Ich hab es nicht geplant, mich in dich zu verlieben.» Milo will von Jerry wissen, ob er sich eine Beziehung mit ihr vorstellen kann. Im Gegensatz zu Lise, die sich in Henris Heiratspläne fügt, trennt sich Jerry im Guten von Milo. «Unser Sohn Henri und Lise werden heiraten», verkündet derweil Madame Baurel.
Ein Happy End der besonderen Art
Die Ballettpremiere mit Lise als Primaballerina ist ein Vollerfolg, das Publikum hell begeistert. Tänzerin Lise und Komponist Adam sind in Paris Gesprächsthema Nummer 1. Als Jerry Lise gratuliert, gesteht sie ihm, beim Tanzen nur an ihn gedacht zu haben. Henri kommen derweil Zweifel, ob er Lise wirklich heiraten soll. Adam versucht, Lise ins Gewissen zu reden. Wahre Liebe sei noch wichtiger als Kunst – und letztlich das einzige, was zähle. Lise verlässt die Feier in Begleitung von Henri, der sie um ein Gespräch gebeten hat. Henri kehrt allein zurück. Alle drei Lise-Verehrer glauben, Lise endgültig verloren zu haben und hängen – jeder für sich – schönen Erinnerungen nach: «They Can’t Take That Away From Me.» Jerry ist nun allein und am Boden zerstört. Da taucht an der Seine – dort, wo sie sich jeweils trafen – plötzlich Lise auf. Die beiden Liebenden Lise und Jerry fallen sich in die Arme und schlendern eng umschlungen in die Nacht.
Das Publikum – 88 Prozent der 400 Plätze sind besetzt – erhebt sich sofort zu Standing Ovations. Wo man hinhört: Das Ensemble und das von Heiko Lippmann dirigierte Orchester erhalten von überall Bestnoten. Chapeau für diese grossartige Vorstellung. Standing Ovations gab es drei Tage zuvor auch im Theater 49 (Untergeschoss Stadttheater), wo Andrea Zogg – kommenden Sommer erneut Regisseur der Gartenoper Langenthal (mit der Oper «Carmen») – brillierte. Es trafen sich in einer fiktiven Welt Stefan Zweig und Georg Friedrich Händel. Händel geriet hier nochmals in den Rausch jener 23 Tage, in welchen er den «Messias» komponiert hat.
Von Hans Mathys