• Produktionsleiter Janos Horak (links) und Entwicklungsleiter Hansjörg Rohrer präsentieren die bekannte SBB-Bahnhofsuhr. Links stehen Gehäuse für eine auf Kundenwunsch angepasste Bahnuhr für die spanischen Bahnen. · Bilder: Thomas Peter

  • Christian Ruch, Produktionsleiter Medizintechnik, in regem Austausch mit Geschäftsführer Reto Reist.

  • Sarah Held bespricht ein Formular mit Romano Geninazzi, Polymechaniker im 2. Lehrjahr. Mit der eigenen Lehrlingsausbildung will Moser-Baer dem Fachkräftemangel begegnen.

10.11.2023
Emmental

Ein Familienbetrieb mit Zukunftsvisionen

Vor 85 Jahren wurde die Moser-Baer AG gegründet. Ein Jubiläum, das die Sumiswalder Firma bewusst nicht mit einem Tag der

offenen Tür, sondern einem Fest als «Dankeschön» für die Mitarbeitenden feierte. «Sie sind unser wertvollstes Gut, sie machen das aus, was die Firma ist», erklärt Geschäftsführer Reto Reist. Ein Konzept, das offensichtlich aufgeht. Denn trotz Fachkräftemangel und globalen Wirren behauptet und entwickelt sich das Unternehmen im weltweiten Markt weiter und ist auf aktuell rund 560 Mitarbeitende – 160 davon in Sumiswald – «gewachsen». «Wir sind als Firma gut unterwegs. Wir haben interessante Produkte und Ideen, mit denen wir uns weiter etablieren wollen und werden», so Reto Reist.

Sumiswald · Wer von der Firma Moser-Baer AG spricht, denkt unweigerlich an die SBB-Bahnhofs-Uhr. Ein Marken-Zeichen, auf das das Unternehmen selbstverständlich noch immer stolz ist. «Doch wir machen noch viel mehr. Wir sind ein Emmentaler Technikunternehmen, das global tätig ist und nicht ‹nur› Bahnhofsuhren herstellt», betont Reto Reist. 80 Prozent der Produkte gehen in den Export. «Wir entwickeln und produzieren Hightech-Zeitsysteme und die entsprechende Software dazu im eigenen Haus. Wir sind seit über 40 Jahren in der Medizintechnik tätig und stellen Implantat- und Operationsinstrumente her. Und seit rund fünf Jahren unterstützen wir als drittes Firmenstandbein Start-ups mit unseren Kernkompetenzen in Supply Chain Management, mechanische Bearbeitung, Elektronik Fertigung und Logistik. Wir sind ein Emmentaler Familienbetrieb in der dritten Generation, der nach 85 Jahren nicht einfach zurück-, sondern vor allem vorwärtsschaut und sich weiterentwickelt», zeigt der Geschäftsführer die Zielrichtung auf.

Entwicklung und Produktion: Alles im eigenen Haus
Wie schafft es aber die Moser-Baer AG, ihre drei Standbeine vorwärts zu bringen, während andere Schweizer Firmen, die in der Hochkonjunkturzeit diversifiziert haben, sich im Zeitalter der Spezifizierungen und einer technisch immer komplexeren Welt wieder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren? «Wir sind bei unseren drei Standbeinen in ganz klar definierten Bereichen tätig. Wir haben unsere Nischenprodukte entwickelt, auf die wir uns fokussieren und mit denen wir uns aus dem Emmental hinaus im globalen Markt behaupten können. Wir produzieren mehr als 95 Prozent im eigenen Haus und exportieren weltweit», umschreibt der 39-jährige Geschäftsführer die Firmen-Strategie.
«Die Stärke von Moser-Baer ist, dass wir den Kunden bei sich abholen und wir im intensiven Kontakt flexibel und individuell auf dessen Wünsche und Ideen eingehen können. Damit erhält der Kunde von uns genau das, was er braucht und muss sich nicht mit irgendeinem Standard-Produkt abfinden, das entweder preislich oder technisch nicht auf seine Anwendung angepasst ist», ergänzt Hansjörg Rohrer. Der 53-Jährige ist als Entwicklungsleiter primär für MOBATIME-Produkte zuständig und ist insgesamt schon 24 Jahre bei der Moser-Baer AG tätig. «Wir können im Vergleich zu unseren Mitbewerbern für uns beanspruchen, dass Moser-Baer die einzige Firma ist, die eine so breite Produkte-Palette von analogen und digitalen Innen- und Aussenuhren bis hin zu Hightech-Zeitsystemen anbietet, die alle im eigenen Haus entwickelt und produziert werden.» So konnte zum Beispiel in Spanien ein System für die Zeitsynchronisation der Luftraumüberwachung mit sehr spezifischen Kundenwünschen geliefert werden, das eine Präzision im Nano-Sekundenbereich bietet. «Unser Ziel ist es, auf den Markt und seine Bedürfnisse so flexibel reagieren zu können, dass wir als Moser-Baer immer vorne dabei sind», erklärt Reto Reist. «Und das kann man nur, wenn man die Entwicklung und Produktion von der einfachen Elektronik für eine Innenuhr bis zum komplexen Zeitserver inklusive der zugehörigen Software im eigenen Haus hat», ist Hansjörg Rohrer überzeugt.
Das Eingehen auf Kundenbedürfnisse gehört auch bei der Medizintechnik zur Maxime, bestätigt Produktionsleiter Christian Ruch. In diesem Bereich macht Moser-Baer zwar keine Eigenentwicklungen, sondern produziert im Auftragsverhältnis Operationsinstrumente. Ein spezieller Fokus unserer Arbeit liegt in der Fertigung chirurgischer Instrumente wie Bohrschablonen, Extraktionsinstrumente, Reibahlen, aber auch diverse Instrumente, welche zum Einsetzen von Implantaten benötigt werden. Diese sind dann weltweit bei chirurgischen Eingriffen im Einsatz. «Da wir bereits seit rund 40 Jahren in der Medizintechnik tätig sind, bieten wir in diesem Bereich einen umfassenden Kundensupport, das heisst, wir suchen im Austausch mit den Kunden nach Lösungen, um eine Kostenminimierung bei der Produktion zu erreichen», erklärt der 36-Jährige und nennt ein Beispiel. «Nicht jedes Design ist unter gleich optimalen Bedingungen herstellbar. Wenn wir aber leichte Änderungen am Design vornehmen, können wir die Produktionszeit und damit auch die Kosten deutlich verringern.»

Mitarbeitende tragen zu Problemlösungen bei
Doch Erfolg und Misserfolg hängt in erster Linie mit dem Team zusammen, betont Geschäftsführer Reto Reist. «Die Mitarbeitenden sind der wertvollste Part in unserer Firma.» Eine Wertschätzung, die nicht ein Lippenbekenntnis ist, sondern im Betrieb auf allen Ebenen Eingang findet. «Wir pflegen eine offene, direkte und verständliche Firmenkommunikation. Bei uns gibt es kein Projekt, das von Oben nach Unten delegiert wird, bei dem die Mitarbeitenden nicht wissen, warum wir was wie angehen wollen. Es ist wichtig, dass sie verstehen, weshalb wir einen Extrakilometer fahren, auch wenn es sich finanziell oder vom Aufwand her nicht zu lohnen scheint.» Zudem erhalten die Mitarbeiten die Möglichkeit, eigene Ideen und Verbesserungsvorschläge einzubringen, weshalb bei Moser-Baer die sogenannte «Lean Six Sigma»-Methode Eingang gefunden hat. «Mitarbeitende können damit Problemstellungen, die ihnen im Arbeitsalltag begegnen, aufzeigen. Wir Abteilungsleiter besprechen das Problem mit ihnen und geben ihnen die Möglichkeit, ein eigenes Verbesserungsprojekt auszuarbeiten. Sie können so ihre eigenen Ideen einbringen. Wir unterstützen sie dabei und schaffen Freiräume, so dass sie das Projekt selber umsetzen können», erklärt Janos Horak, der seit 2013 bei Moser-Baer arbeitet. Der 30-Jährige ist Produktionsleiter für den Uhrenbereich und zuständig für den Bereich Start-ups.

Ausbildung eigener Fachkräfte
Doch nicht nur das Fördern der Eigenverantwortung, sondern auch des Betriebsklimas ist bei Moser-Baer zentral. So werden nicht nur Schulungen angeboten, sondern auch gemeinsame Betriebsausflüge unternommen oder eben das Jubiläumsfest für die Mitarbeitenden und deren Angehörigen organisiert als «dickes Merci» für die Belegschaft, erklärt die 30-jährige Sarah Held, die seit 14 Jahren bei Moser-Baer arbeitet und Leiterin Personal und Finanzen ist. Sie hat somit auch die Lehre als Kauffrau hier absolviert und weiss aus eigener Erfahrung, wie zunehmend wichtiger das Lehrlingswesen für die Firma ist, die Ausbildungen in der Logistik, Konstruktion, Polymechanik, Elektronik, KV und Informatik anbietet. «Wir haben zwischen 15 bis 20 Lernende im Haus. Unser Ziel ist es, dass wir unsere eigenen Fachkräfte ausbilden und sie in der Folge auch für ein Bleiben in der Firma gewinnen können.»

Keine Alters-Guillotine
Durch die grosse Zahl der Lernenden ist das Durchschnittsalter im Betrieb mit 37 Jahren vergleichsweise tief. Haben Ältere bei Moser-Baer keine Chance? «Das Alter unserer Mitarbeitenden liegt zwischen 15 Jahren bis hin zum Pensionsalter. Eine Alters-Guillotine gibt es bei uns grundsätzlich nicht. Wir geben bei Bewerbungen allen die gleiche Chance und erwähnen bei Stelleninseraten auch nie ein Alter», kontert Sarah Held auf den Hinweis auf eine kürzlich veröffentlichte Studie, die feststellte, dass viele Schweizer Firmen mitverantwortlich sind für den Fachkräftemangel, weil sie über 55-Jährige vom Bewerbungsprozess grundsätzlich ausschliessen.
Bei Moser-Baer scheint die regionale Verbundenheit deutlich wichtiger. «Wir suchen neue Mitarbeitende vorwiegend in unserer Region. 35 Prozent der Belegschaft wohnt in Sumiswald und in angrenzenden Dörfern. 60 Prozent stammen aus dem Raum Huttwil-Langnau-Burgdorf. Und nur 5 Prozent kommen von weiter weg zu uns», bestätigt Sarah Held diese Einschätzung. So präsentiere sich Moser-Baer an Messen in der Region oder am
SlowUp und motiviert die Angestellten mit einer Vermittlungsprämie, sich aktiv an der Rekrutierung von neuen Leuten zu beteiligen. «Die Mund-zu-Mund-Propaganda ist immer noch das, was uns am meisten nützt.» Reto Reist erwähnte in diesem Zusammenhang: «Wir sind ein international tätiges Technologie-Unternehmen, in dem der Begriff ‹Familienbetrieb› nicht einfach eine Floskel ist, sondern im Alltag gelebt wird.»

Unterstützung von Start-ups
Vor rund fünf Jahren hat Moser-Baer die Unterstützung von Start-ups intensiviert und so ein drittes Firmenstandbein geschaffen. Jungunternehmer können somit mit ihren guten Ideen und Weiterentwicklungen an die Moser-Baer AG gelangen, die dann den für Jungunternehmer zumeist kostspieligsten Teil – die Fertigung und die Logistik – übernimmt. Janos Horak betont: «Wir investieren dabei nicht in die Jungunternehmen, sondern bieten ihnen unsere Kernkompetenzen an, also den Einkauf der Rohware, die Produktion und den Versand im Namen des Start-ups. Die Entwicklung und der Verkauf bleibt bei dem Start-up, wir bleiben im Hintergrund.» Gegenwärtig produziert Moser-Baer für acht Start-ups und ist mit 15 bis 20 weiteren im Austausch. Als Beispiel nennt Janos Horak ein Unternehmen aus Bern, das ein intelligentes System entwickelt hat, mit dem der Energieverbrauch in Gebäuden gesenkt werden kann. «Wir produzieren seit vier Jahren für dieses Start-up und haben inzwischen eine Stückzahl von 10 000 erreicht.»

«Wir platzen aus allen Nähten»
Bei allen drei Standbeinen konnte Moser-Baer seine Geschäftstätigkeit erweitern. Doch Wachstum hat zumeist Ausbaupläne zur Folge, auch bei Moser-Baer?
«Ja, wir platzen fast aus den Nähten, es existieren Erweiterungsprojekte in allen Bereichen unserer Firma», bestätigt Reto Reist. «Wir versuchen, uns zu organisieren, so gut es geht, indem wir auch Teile der Produktion in unsere Schwester- und Tochterfirmen verlegen, weil wir sie hier in Sumiswald nicht stemmen können.» Der zweite Standort mit Produktion und Lager im ehemaligen Mewag-Gebäude in Wasen habe eine gewisse Entlastung gebracht, aber auch einen hohen logistischen Aufwand. «Wir wollen deshalb alles in Sumiswald konzentrieren und haben das Projekt vor sechs Jahren in Angriff genommen.» Doch durch Einsprachen gegen die Umzonung einer von Moser-Baer erworbenen angrenzenden Fruchtfolgefläche in eine Arbeitszone ist im vergangenen Jahr alles ins Stocken geraten. «Für uns ist es zum jetzigen Zeitpunkt nicht klar, wann und wie es mit der Ortsplanung in Sumiswald weitergeht.» Reto Reist betont, dass er von der Gemeinde wie dem Kanton sehr gut unterstützt werde, «doch wären wir schon dankbar, wenn es hier vorwärts gehen könnte.» Eine Deadline will Reto Reist nicht nennen, aber: «Wenn wir die Umzonung nicht vollziehen können, besteht die Möglichkeit, dass wir uns neu organisieren und Teile der Produktion definitiv auslagern müssen. Ich gehe aber nicht davon aus, dass dies nötig sein wird», gibt sich Reto Reist zuversichtlich.

Von Thomas Peter