Ein Schmuckstück voller Überraschungen
Vom «Härpfli» zum Schwyzerörgeli, so entstand die Geschichte der Oergelibau-Firma Reist in Wasen. Die Weiterentwicklung sowie die zunehmenden Spielarten des Instrumentes sorgen für eine gute Nachfrage nach dem Schwyzerörgeli, das der Volkstümlichkeit treu geblieben ist.
Wasen · Vor der Werkstatt der Schwyzerörgeli-Manufaktur in Wasen, die als erstes Haus der Bahnhofstrasse auch an die ehemalige Eisenbahnverbindung erinnert, steht ein aus Holz geschnitzter Örgelispieler. Ihm gefällt wohl das Wetter mit Schneefall nicht, man kann es an seinem grimmigen Gesicht ablesen. Die Hände halten geradezu erstarrt an seinem Örgeli fest, ohne ein paar Begrüssungstöne erklingen zu lassen. Das Stimmungsbild wandelt sich beim Betreten der Werkstatt abrupt. Es herrscht eine fröhliche und ruhige Stimmung.
Drei wichtige Hauptteile
Samuel Reist, Sohn von Hansruedi Reist und Zwillingsbruder von Richard Reist, der ebenfalls im Betrieb mitarbeitet, präsentiert die drei Hauptteile des Schwyzerörgelis. Der mittlere Teil wird als Balg bezeichnet, rechts angebaut der Diskant, auf dem die Melodie gespielt wird, und links der Bassteil, welcher die Begleit- und Rhythmusfunktion übernimmt. Der Schwyzerörgelibau hat sich in der Schweiz seit der Jahrtausendwende auf die kleinformatigen, leichteren und somit auch handlicheren Instrumente spezialisiert.
Umso erstaunlicher ist es, dass beispielsweise in einem 3-chörigen Instrument der Firma Reist-Örgeli AG mit einer Höhe von lediglich 26,5 Zentimetern die dazu notwendige innere Technik und die vielen Stimmzungen Platz finden und darauf bis zu hoher Virtuosität gespielt werden kann.
Charakteristisch für das «Härpfli» aus dem Emmental (der Name geht auf den Begriff Harfenmacher zurück) und den Instrumenten aus dem Kanton Schwyz, die zum Schwyzerörgeli führten, zeichnen sich seit dem Langnauerörgeli aus dem Jahre 1836 durch Besonderheiten aus, die das Instrument noch heute prägen und sich klar vom Akkordeonbau unterscheiden. Die Bässe sind chromatischer Natur, während die Melodieseite mit der Diatonik arbeitet. Das Örgeli verfügt über keine Register. Ersetzt werden sie durch die «Chöre», welche der Melodie den wohlbekannten Schwyzerörgeliklang verleihen.
Klänge, die faszinieren
Woher die wunderschönen Klänge des Instrumentes kommen, wollte schon Rudolf Reist, der heute 94-jährige Vater von Hansruedi Reist und Gründer der Örgelibaufirma, als Primarschüler wissen. So begann sein Instrumentenbau mit dem genauen Studieren des Innenlebens eines Eichhornörgelis. Das Musizieren lernte Rudolf Reist mit einem Instrument von Salvisberg. Er nutzte seine musikalischen Fähigkeiten später auch bei der Hausmusik, etwa zusammen mit der einheimischen Hanottere, einer Halszitter.
Bis zum Alter von 20 Jahren war Rudolf Reist Senior als Melker tätig. Anschliessend arbeitete er gut 20 Jahre bei der Firma Paul Baumann (heute PB Swiss Tools), wo er sich grosse Erfahrungen in der Metallverarbeitung aneignete. Erst im Jahr 1966, als 40-Jähriger, wurde er Schwyzerörgelibauer und spezialisierte sich mit Erfolg auf die Produktion der Instrumente im Berner Stil. 1984 kam Hansruedi Reist in den Betrieb seines Vaters und machte sich später zusammen mit seiner Frau als Örgelibauer selbständig. Vom Engagement seines Vaters zeigt sich Hansruedi Reist noch heute begeistert. In bester Erinnerung bleibt ihm die Leidenschaft seines Vaters beim Bau und der Optimierung der Instrumente insbesondere des Klanges, der ständigen Verfeinerung der Spielfähigkeit und den äusseren Schönheiten. Er erinnert sich daran, dass sein Vater lange ohne Pläne arbeitete und so auch unterschiedliche Schwyzerörgeli aus seinen Händen kamen. «Mein Vater war ein Künstler», fasst Hansruedi Reist es in Worte.
Zukunft der Reist-Örgeli AG gesichert
«Die Schwyzerörgelimusik hat sich verändert und erfreulich erweitert, es ist unglaublich, was man mit diesem Instrument fertigbringt», schwärmt Hansruedi Reist. Diese Begeisterung für das einmalige volkstümliche Instrument prägt auch die Arbeit seiner Söhne Samuel und Richard Reist sowie die seiner langjährigen Mitarbeiter Roland Gerber, Daniel Röthlisberger und Andreas Liechti, die, wenn sie Zeit finden, sich am Musizieren mit den eigenen gebauten Örgeli erfreuen können.
Nun geht Hansruedi Reist langsam seiner Pensionierung entgegen. Mit seinen beiden Söhnen und dem Verkaufsberater Adrian Gehri hat er schon heute drei «örgelibegeisterte» Nachfolger gefunden.
Von Rolf Bleisch