• Schweizer Sportgeschichte: Im Dauerregen gewinnt Dominique Aegerter vor Tom Lüthi das Moto2-WM-Rennen von San Marino.

  • Gewaltige Freude im Kiefer-Team nach dem Husarenstreich von Aegerter. · Bilder: Keystone, zvg

  • Ausgelassene Freude bei der Siegerehrung. · Bilder: Keystone, zvg

11.09.2017
Sport

«Ein Schweizer Doppelsieg ist der Oberhammer»

Interview: Stefan Leuenberger im Gespräch mit Dominique Aegerter, Töffpilot aus Rohrbach – Mit seinem zweiten GP-Sieg nach 2014 auf dem Sachsenring in Deutschland hat der 26-jährige Rohrbacher Töffpilot Dominique Aegerter am WM-Rennen in Misano am Sonntag einen grossen Coup gelandet. Besonders ist dieser Erfolg, weil ihn die leuchtgelbe Nummer 77 auf unbeliebter nasser Fahrbahn erzielte. Der «UE» unterhielt sich mit dem Rohrbacher Töffpiloten kurz nach seiner Sternstunde.

Motorsport · Kaum stand Ihr Sieg fest, waren in der Heimat am «slowUp Emmental/Oberaargau» viele «Aegi»-Caps und an den Velos montierte Fahnen mit der Nummer 77 zu sehen. Stolz?
Sicher. Es ist wunderschön zu hören, dass die Heimat auch mitfieberte – und Freude über meinen Sieg zeigt.

Die Zahl 77 bedeutet Ihnen viel. Passenderweise feierten Sie im 177. Karrieren-WM-Rennen diesen Sieg.
Krass, dies war mir nicht bewusst. Dies passt aber wirklich wunderbar. Die Nummer 77 verfolgt mich einfach – und dies ist okay so. Ich hoffe allerdings, dass es nicht bis zum 277. Grand-Prix dauert, bis ich den nächsten Sieg feiern kann… (lacht herzhaft)

Wie fühlen Sie sich?
Sensationell, wenn auch sehr müde. Das Rennen mit der dauerhaften Höchstkonzentration hat sehr viel Kraft gekostet – und was darauf folgte, fast noch mehr.  Aber ich bin einfach glücklich, es endlich wieder gepackt zu haben.

Viele Familienmitglieder und Fans waren an der Strecke in der nicht sehr weit entfernten Republik San Marino dabei.
Dieser ungeheure Support hat mich extrem gepusht. Es waren derart viele Fans mit Fahnen mit der Nummer 77 und dem Schweizer Kreuz an der Strecke zu sehen. Dazu waren auch meine Mutter, mein Vater und mein Bruder vor Ort. Einfach perfekt.

Was ist anders als bei Ihrem Premierensieg im Sommer 2014 auf dem Sachsenring in Deutschland?
Damals hatte ich einen riesigen Fight mit dem Finnen Mika Kallio. Der erste Sieg ist immer etwas ganz Spezielles. Nun musste ich aber drei Jahre auf den nächsten Triumph warten. Und diesen bei Regen, wo ich bisher wirklich nie stark war, erzielt zu haben, hat auch einen ganz hohen Stellenwert.  

In der Tat war Regen während einem Rennen für Sie Horror. Bisher. Wie war diese Topleistung auf nasser Fahrbahn überhaupt möglich?

Ich bin am Sonntagmorgen aufgewacht und habe mir beim Blick aus dem Fenster mit Kopfschütteln gedacht, dass dies wieder nichts wird. Ich bin wirklich kein Regenfahrer. Umso glücklicher war ich, als es bereits im «warm up» gut und schliesslich im Rennen sogar optimal lief. Erklären kann ich es mir – trotz vorbildlicher Arbeit meines Kiefer-Teams, das mir eine perfekte Suter-Maschine hinstellte – aber bei bestem Willen nicht.

WM-Leader Morbidelli flog unmittelbar vor Ihnen von der Piste. Hatten Sie anschliessend nicht dauerhaft Angst davor, auch von der Strecke zu fliegen?
Natürlich war es sehr heikel. Die Fahrt war quasi wie auf Eiern, der Grip auf der nassen Unterlage praktisch gleich null. Trotzdem fand ich die passende Mischung aus Pushen und Kontrolle. Ich nahm mir fest vor, nicht zu übereifern und wäre auch mit dem zweiten oder dritten Platz zufrieden gewesen. Es gab zwei, drei heikle Momente, wo ich einen «Highsider» nur knapp verhindern konnte. Mit grosser Konzentration gelang es mir in der Schlussphase, als Hafizh Syahrin an dritter Stelle näher rückte, noch etwas zuzulegen.      

Noch nie in der fast 70-jährigen Geschichte der Strassen-WM hatte es einen Schweizer Doppelsieg gegeben.
Es ist der Oberhammer. Es war schon lange unser Traum und das Ziel zugleich, dies einmal zu realisieren. Es ist für eine kleine Nation wie die Schweiz, die nicht einmal über eine eigene Rennstrecke verfügt, eine grosse Sache.

Wie erlebten Sie den Zweikampf mit Landesgenosse Tom Lüthi?
Es war ein fairer Kampf. Ich habe Tom immer im Nacken gehört. Er hat sicher am Ende nicht mehr alles riskiert, um mit 20 statt ohne Punkte dazustehen, schliesslich kämpft er um den WM-Titel. Wir mögen den Erfolg einander gönnen, haben uns auch sofort nach dem Rennen unterhalten und uns mächtig über den grossen Coup – den Schweizer Doppelsieg – gefreut.

Trotz Triumph: Das Weekend begann miserabel. Ihnen wurde der Helm geklaut.
Er wurde am Freitagabend, als alle am arbeiten waren, einfach aus meiner Box geklaut. Dies ist wirklich traurig. Ich habe vier Helme. Einer für Sonnenschein, einer für Regen, einer mit Trinksystem und einer für Bewölkung. Weg kam jener für Sonnenschein, getragen habe ich am Sonntag jenen für Regen. Obwohl dieser Helm wieder nachproduziert werden kann, ist es ein Verlust. Jeder Helm ist mit einer Geschichte verbunden. Ausserdem verschenke ich Helme lieber an treue Fans, als sie mir von irgendwelchen Idioten, die wohl noch Geld damit machen, klauen zu lassen.

Widmen Sie diesen Sieg auch Ihrem ehemaligen Teamkameraden Shoya Tomizawa?
Shoya ist auf dieser Strecke in Misano 2010 ums Leben gekommen. Ja, dies tue ich. Er ist bei meinem Erfolg mitgefahren.

Welche Personen haben grossen Verdienst daran, dass Sie es nach einer langen Durststrecke, viel Frust und Enttäuschungen wieder ganz nach oben geschafft haben.  
Ach, es sind so viele. Meine Familie steht im Zentrum. Dann natürlich das Team mit allen Beteiligten rundherum. Und ohne Sponsoren könnte ich meinen Sport nicht ausüben. Auch mein Militärdienst und die Leute dort haben mir sehr geholfen.

Wie feiern Sie den Sieg?
Ich bin am Sonntag erst um 18.30 Uhr ins Hotel zurück, weil so viel los war. Die Beantwortung der Fangratulationen – es sind alleine 500 WhatsApp-Nachrichten eingetroffen – benötigt Zeit. Bei bestem Willen: Aus Zeitgründen kann ich nicht allen antworten, wofür ich mich an dieser Stelle entschuldigen möchte. Bei einem zufriedenen Abendessen im Teamrahmen wurde der Sieg schliesslich gefeiert.
 
Ist es im Töffsport üblich, dass bei der Siegerehrung die Nationalhymne abgewürgt wird?
Nein, gewöhnlich nicht. In Misano waren die Organisatoren aber im Stress, weil das MotoGP-Rennen kurz bevor stand.

Ist der Medienrummel gross?
Er ist gigantisch. Ich habe unzählige Interviews für Medienarbeitende aus verschiedensten Ländern gegeben.

Blick voraus: Was strebt Dominique Aegerter in den verbleibenden Rennen an?
Ich möchte in allen Rennen unter die Top-5.

In der WM rückten Sie auf den 8. Rang vor. Was ist im Gesamtklassement noch möglich?
Es verbleiben immer noch fünf Rennen. Noch viele Punkte sind zu vergeben. Mit guten Resultaten kann ich noch einige Positionen gutmachen.

In welchem Team und in welcher Klasse fahren Sie in der kommenden Saison?
Alles ist möglich. Die Verhandlungen sind voll im Gang. Natürlich würde ich am liebsten im Kiefer-Team weitermachen.

 

Gigant auf unbeliebter nasser Unterlage

Moto2-WM 2017, 13. Rennen, GP von San Marino in Misano – Ausgerechnet bei Regen-wetter feierte der bald 27-jährige Rohrbacher Töffpilot Dominique Aegerer mit dem Sieg im Moto2-Rennen von San Marino einer seiner grössten Erfolge seiner Karriere. Zusammen mit Tom Lüthi (2. Rang) schrieb er sogar Schweizer Motorsportgeschichte.

«Geil, anders kann ich das Gefühl nicht beschreiben», meinte Dominique Aegerter nach seinem Triumph in Misano. Kurz vor seinem 27. Geburtstag am 30. September machte sich der seit 2006 im weltweiten Töffzirkus aktive Rohrbacher das schönste Geburtstagsgeschenk gleich selber – wenn auch einige Tage zu früh. Nach den tollen Rängen 3, 4 und 5 in den Trainings deutete sich ein starkes Rennwochenende des Oberaargauers an. Prompt klappte auch das samstägliche Qualifying mit der dritten Startposition so gut, wie schon viele Rennen nicht mehr. Doch mit dem plötzlichen Wetterwechsel am Renntag schien sich auch Aegerters Gemütslage zu verfinstern. Es regnete am Sonntag. Und die Nummer 77 aus der Schweiz hat in der Vergangenheit unzählige Frustrennen bei nassem Untergrund abgeliefert. So waren die Erwartungen am trotz optimaler Startposition und vielen Aegerter-Fans auf der Tribüne im Keller.

Unerwartet souverän
Der Sport schreibt aber immer die schönsten, weil mitunter unerwartetsten Geschichten. So auch am Sonntag. Aegerter schnappte sich kurz nach dem Start den Italiener Mattia Pasini und kam nach der Startrunde als Zweiter hinter WM-Leader Franco Morbidelli vorbei. Dieser schien einem ungefährdeten Start-Ziel-Sieg entgegen zu steuern, lag der Italiener nach zwei Runden doch bereits 1,3 Sekunden vor Aegerter.
Dann passierte aber die rennentscheidende Szene. Der WM-Kronfavorit hatte mit dem eisglatten Terrain Probleme und rutschte – wie weitere 14 Konkurrenten – von der Strecke. Auf einmal lag Rohrbachs Töffhero mit 1,4 Sekunden vor seinem Landesgenossen und ehemaligen Teamkameraden Tom Lüthi an der Rennspitze. Und nach etlichen Runden war die Situation noch komfortabler: Der an dritter Stelle fahrende Malaysier Hafizh Syahrin lag mit vier Sekunden hinter dem Rohrbacher und der Rest des Feldes kam für einen Podestplatz schon gar nicht mehr in Frage. 23 Runden lang führte Aegerter das Nervenrennen von Misano an. Nur für fünf Sekunden musste er Tom Lüthi die Führung überlassen. Nach einem Beinahe-«Highsider» zog Lüthi kurz an Aegerter vorbei. Aber durch die clevere Linienwahl konnte Aegerter neun Runden vor Schluss gleich wieder an Lüthi vorbei.  In der Folge des Rennens versuchte es Lüthi einige Male, Pacemaker Aegerter zu überholen. Bis er kapitulierte. «Domi war auf der Bremse sehr stark. So war ein Vorbeikommen enorm schwierig. Zwei Runden vor Schluss habe ich dann die Sicherheit vorgezogen», äusserte der WM-Anwärter gegenüber dem Schweizer Fernsehen. Damit war der Weg frei für Dominique Aegerter, der auch den noch stark aufkommenden Syahrin auf Distanz hielt. In den letzten beiden Runden fuhr der Oberaargauer noch einen Vorsprung von 1,4 Sekunden auf Lüthi heraus.

Die grosse Genugtuung
Nach langen 52 Minuten löste sich bei Aegerter beim Überqueren der Ziellinie die Höchstanspannung und die ständige Angst, vom Rundkurs abgeworfen zu werden, in grösste Genugtuung und Glückseligkeit. Soeben ging für den Oberaargauer Töffgiganten eine lange und schwierige Durststrecke zu Ende. Soeben hatte er den zweiten Sieg und den siebten Podestplatz in seiner 11-jährigen Profikarriere geschafft. Und mit dem Doppelsieg mit Tom Lüthi sogar Schweizer Sportgeschichte geschrieben. Auf dem Podest und mit Champagner konnte das Duo den Triumph voll auskosten.    

Resultate: Moto2 (16 Klassierte): 1. Dominique Aegerter, Schweiz/Rohrbach, 51:39,709; 2. Tom Lüthi, Schweiz/Linden, 1,400 zurück; 3. Hafizh Syahrin, Malaysia, 7,875;  10. Jesko Raffin, Schweiz/Zürich, 1:20,192. – WM-Stand (13/18): 1. Morbidelli, 223 Punkte; 2. Lüthi, 214; 3. Alex Marquez, Spanien, 155; 4. Miguel Oliveira, Portugal, 141; 8. Aegerter, 88; 23. Raffin, 11.

Infos: www.domi77.com

Von Stefan Leuenberger