• Geschäftsführer Peter Hirschi feiert zwei Jubiläen: Vor 20 Jahren hat er die Lanz-Anliker AG übernommen. Das Unternehmen feiert in diesem Jahr den 100. Geburtstag. · Bild: ljw

07.06.2019
Oberaargau

«Ein Wort, eine Abmachung, ein Handschlag – das gilt»

Am letzten Mittwoch mit geladenen Gästen aus Behörden, Institutionen und Freundeskreisen und am Donnerstag mit Kundinnen und Kunden feierte das international tätige und sehr erfolgreiche Rohrbacher Textilunternehmen Lanz-Anliker AG den 100. Geburtstag. Am nächsten Samstag, 15. Juni, lädt die Firma zum Tag der offenen Tür ein.

Rohrbach · Mit viel Interesse folgten die zahlreichen Gäste den eindrücklichen Führungen durch den Betrieb, wo sich hochmoderne Technik und immer noch viel Handarbeit verbinden.
Einst ein Einmann-Betrieb, eine Sattlerei vorwiegend für die Herstellung und Reparaturen von Pferdegeschirr, heute ein Unternehmen mit 70 Mitarbeitenden in der Stammfirma und mit Kundinnen und Kunden in aller Welt: Die Lanz-Anliker AG in Rohrbach schreibt in diesem Jahr ihre 100-jährige Erfolgsgeschichte.
1996, nach dem Tod des damaligen Geschäftsführers Ueli Lanz, nahm Peter Hirschi das Geschick der Firma in seine Hände. Die Lanz-Anliker AG war in der Zwischenzeit von der Sattlerei zum anerkannten Textilunternehmen gewachsen, wobei die Sattlerei noch immer einen grossen Teil der Produktion einnahm, damals hauptsächlich für die Schweizerarmee.
Die Stelle, vorerst als Betriebsmechaniker, war dem jungen gelernten Mechaniker angeboten worden, «obwohl ich von Tuch und Sattlerei keine Ahnung hatte», stellte Peter Hirschi am Mittwochabend während dem offiziellen Jubiläumsakt fest (der «Unter-Emmentaler» berichtete).
Das bis anhin hervorragend geführte und finanziell auf solidem Boden stehende Unternehmen ging nach dem Tod von Ueli Lanz vorerst in die Hände der Scholer-Inhaber, die damals einen Teil der Aktien besassen. Später kaufte Peter Hirschi einen Teil der Aktien und vereinbarte auch das Vorkaufsrecht für die Firma. 1999 wollte Matthias Scholer die Firma verkaufen, hatte einen solventen Interessenten in Aussicht.
Mit viel Mut übernahm Peter Hirschi das Unternehmen. Die Militäraufträge gingen gegen Ende der 1990er-Jahre stetig zurück. Heute nehmen sie noch rund 6 % der gesamten Produktion ein. Peter Hirschi bewies ein sicheres Gespür und eine gute Hand für Aufträge aus anderen Bereichen. Wenn der immer noch sehr junge Geschäftsführer vor einer neuen Herausforderung stand und unsicher war, fragte er seine Mutter um Rat. «Auch sie hatte vom Metier als solches keine Ahnung. Aber wenn sie einen Ratschlag gab, funk-tionierte es hundertprozentig», blickte er dankbar zurück.
Jedesmal, wenn wieder ein Auftrag des Militärs wegblieb, erhielt die Lanz-Anliker AG in einem anderen Betriebszweig das doppelte Auftragsvolumen «zurück». «Ich glaube, es war mein grosser Vorteil, kein Sattler zu sein», stellt Peter Hirschi fest. «Sattler sind handwerkliche Spezialisten in ihrem Gebiet. Ich aber war offen für andere Optionen in verschiedenen textilen Bereichen.»
Bis heute hält er die Fäden der Firma in der Hand, weiss um jeden Auftrag Bescheid, ist 100-prozentig auf dem Laufenden, was und wie es die Firma verlässt. Obwohl er nach wie vor sagt: «Die Fachleute sind meine Leute in den Abteilungen. Ihnen gehört mein besonderer Dank.»

Individuelle Entwicklungen
Doch wenn es gilt, für Kunden eine Lösung zu finden, steht er mit seinem «Entwickler- und Erfindergeist» zuvorderst an der Front. Nicht selten werden im Rohrbacher Unternehmen Produkte, die individuell für Kunden entwickelt wurden, später standardisiert und weltweit eingesetzt, sei es im Armee-, im Lebensmittel-, im Industrie- und je länger je mehr auch im Medizinalbereich. So unter anderem die weltweit ersten Röntgenschürzen mit RFI-Chip. Dieser Chip speichert sämtliche Daten, die für den Benutzer nützlich sind.
Seit Oktober 2017 ist die Firma zu 100 % im Familienbesitz. Mit dem Wechsel wurde die Holding «Lanz-Anliker Holding AG» gegründet. Zu diesem Zeitpunkt stieg auch die zweite Generation Hirschi in das Unternehmen ein.
Der Verwaltungsrat setzt sich aus Peter Hirschi und seinem Sohn Pascal Hirschi sowie aus Madeleine Bracher, der langjährigen Buchhalterin, zusammen. Für Peter Hirschi war es ein sehr emotionaler Moment, vor seinen Gästen verkünden zu können: «24 Jahresabschlüsse der Lanz-Anliker AG habe ich ausgewiesen. Wir mussten niemals rote Zahlen schreiben, konnten jede Investition aus eigener Kraft tätigen.»
In den letzten 20 Jahren wurden insgesamt 15 Millionen in den Betrieb investiert. Daneben gründete Peter Hirschi seine Lanz-Anliker-Stiftung, die zahlreiche soziale Projekte im In- und Ausland unterstützt. Zudem ist die Lanz-Anliker AG Hauptsponsorin des Rohrbacher Motorradrennfahrers Dominique Aegerter, der das Signet und den Begriff für das Unternehmen auf seinen Rennmaschinen in die ganze Welt hinausträgt.

Wenn das Herzblut kocht
Grüsse und beste Wünsche für die Zukunft überbrachten am Mittwochabend Regierungsstatthalter Marc Häusler und die Rohrbacher Gemeindepräsidentin Elisabeth Spichiger.
«In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst» (Zitat des Heiligen Augustinus). Das müsse das Erfolgsgeheimnis von Peter Hirschi, von der Lanz-Anliker AG sein, stellte Elisabeth Spichiger fest: «Mit Überzeugung und Feuer im Herzen eine gute Gelegenheit beim ‹Schopf› packen, daran glauben, hart arbeiten, viel von sich selbst und anderen verlangen, diejenigen wertschätzen, die am Seil ziehen und dankbar sein für alles, was gelingt: Man spürt dein Feuer, wenn du, Peter, von deinen Projekten und Visionen erzählst. Es lodert in dir, das Herzblut kocht, wenn du am Planen und dann am Realisieren bist.» Nichts werde halb gemacht, alles müsse Hand und Fuss haben. «Ein Wort, eine Abmachung, ein Handschlag, das gilt. Punkt.» Das Feuer brenne bis hin zu den Verantwortlichen der Gemeinde. Die 70 Arbeitsplätze würden viel zu einem guten Leben im Dorf und in der Region beitragen.
Der Jodlerklub Rohrbach sorgte für die musikalische Umrahmung des Festakts, und für das kulinarische Wohl standen kompetent und speditiv die Wälchli Feste AG im Einsatz.

Tag der offenen Tür
Am Samstag, 15. Juni, von 9 bis 16 Uhr, lädt Lanz-Anliker AG im Rahmen ihres 100-jährigen Bestehens zum Tag der offenen Türe ein. Die Firma bietet Gelegenheit, den Mitarbeitenden über die Schultern zu schauen.

Gut zu wissen
100 Jahre Lanz-Anliker AG 1919 bis 2019, Tag der offenen Tür Samstag 15. Juni, 9 bis 16 Uhr. Festwirtschaft; gratis Bratwurst für alle.

Hochmodernes Textilunternehmen
Die in der technischen Textilverarbeitung sehr anspruchsvollen Wirkungsfelder der Lanz-Anliker AG umfassen insbesondere die sechs Linien Sattlerei, Medizin, Reitsport, Verkehrsmittelinterieurs und Militär. 2004 übernahm die Lanz-Anliker AG die Reitsportartikelmarke Gygax, Zofingen, 2016 den Bereich Röntgen- und Strahlenschutz des Geschäftspartners Wiroma AG. Beides prägt den Erfolg des Unternehmens entscheidend. Der Personalbestand von einst rund 30 Mitarbeitenden konnte in den letzten 20 Jahren auf 70 aufgestockt werden. Der Export der Lanz-Anliker AG liegt aktuell bei 65 bis 70 %. Das Unternehmen verfügt über Verkaufsniederlassungen in Deutschland, wo der Vertrieb mit dessen Firmennamen läuft. Weitere gibt es in Holland, Belgien und Italien, wo die Produkte durch Partnerfirmen unter deren Namen vertrieben werden. Produziert wird grösstenteils in Rohrbach. Entwickelt wird alles hundertprozentig in der Schweiz. Bei einigen Artikeln ist die Lanz-Anliker AG gezwungen, in China zu produzieren; dies in enger Zusammenarbeit mit einem südkoreanischen Partner. Ihre Aufträge lasten dort pro Jahr 40 bis 50 Leute aus, die unter sehr guten Bedingungen arbeiten können. Ein zweites Projekt besteht in Moldawien, wo einige Kleinstartikel für die Lanz-Anliker AG hergestellt werden, auf welche das Unternehmen nicht ausgerichtet ist. Ein überaus traditionelles «Markenzeichen» gehört nach wie vor ins Refugium der Lanz-Anliker AG: Die angestammten Schwingerhosen. Sie gehören zum Betrieb, sind Nostalgie und Kultur, obwohl sie nur gerade 0,3 % des Umsatzvolumens ausmachen.

Von Liselotte Jost-Zürcher