• Haben sich bis zuletzt mit viel Herzblut für den Samariterverein Ursenbach eingesetzt: Ehrenpräsidentin Elisabeth Leuenberger (links) und Meieli Blaser. · Bild: Walter Ryser

09.11.2017
Oberaargau

Eine 94-jährige Geschichte geht zu Ende

Eine gehörige Portion Wehmut schwingt mit, wenn heute Abend im Gasthof Löwen in Ursenbach die Hauptversammlung des Samaritervereins stattfinden wird. Es wird die letzte in der 94-jährigen Vereinsgeschichte sein. Acht Aktiv- und fünf Ehrenmitglieder sind übrig geblieben – zu wenig, damit der Verein weiter bestehen könnte. «Die Auflösung schmerzt, steckte doch bis zuletzt sehr viel Herzblut im Verein», sagt die letzte Präsidentin, Meieli Blaser.

Ursenbach · Für die beiden ist es kein einfacher Gang, sie blicken ihm jedoch realistisch entgegen. Meieli Blaser, Präsidentin des Samaritervereins Ursenbach und seit 1970 Mitglied, und Elisabeth Leuenberger, Ehrenpräsidentin und ebenfalls seit 1970 Mitglied, haben sich zum Interview mit dem  «Unter-Emmentaler» eingefunden.
Die beiden langjährigen Samariter-Frauen werden heute Abend den letzten Akt in der 94-jährigen Geschichte des Vereins vollziehen. Im Gasthof Löwen in Ursenbach wird der Verein aufgelöst. «In den letzten Jahren hat sich im Samariter- und Helferwesen sehr viel geändert», blickt die 64-jährige Präsidentin zurück und weist darauf hin, dass man heute in einer Notsituation mit dem Smartphone rasch Hilfe anfordern könne. «Dadurch hat die Popularität des Samariterwesens stark gelitten», fügt Elisabeth Leuenberger an. Die 69-jährige Ehrenpräsidentin, die den Verein während 25 Jahren leitete, macht sich nichts vor und stellt nüchtern fest: «Das Interesse in unserem Dorf am Samariterverein fehlt einfach.»

Alte Mitglieder, hohe Anforderungen
Dadurch habe in den letzten Jahren der Mitgliederbestand kontinuierlich abgenommen. Zu den besten Zeiten habe der Samariterverein Ursenbach gegen 50 Mitglieder gezählt, erinnert sich Elisabeth Leuenberger. Aktuell sind es gerade noch acht Aktiv- und fünf Ehrenmitglieder. Die meisten von ihnen befinden sich bereits im AHV-Alter. Lediglich ein Mitglied wird den Verein wechseln und sich den Samaritern in Walterswil anschliessen.
Der Mitgliederschwund habe aber nicht bloss mit fehlendem Interesse zu tun, macht Meieli Blaser noch auf ein anderes Thema aufmerksam: «Die Anforderungen an die Mitglieder eines Samaritervereins sind mittlerweile recht hoch, benötigt man doch diverse Ausbildungen und muss man einige Kurse absolvieren, damit man in der Lage ist, an einem Anlass einen Samariterposten zu betreiben.»
Die beiden Frauen geben zu, dass sie die Auflösung des Vereins schmerzt, habe doch bis zuletzt viel Herzblut in diesem Verein gesteckt. Elisabeth Leuenberger wird an der letzten Hauptversammlung diesem Punkt besondere Beachtung schenken und den Mitgliedern noch einmal vor Augen führen, was in den letzten 94 Jahren alles geleistet wurde und man gemeinsam erlebt habe.
 
Erster Einsatz beim Schwingfest
Am 10. April 1923 sei der Samariterverein Ursenbach von 13 Männern und 28 Frauen gegründet worden, hat Elisabeth Leuenberger aus den Protokollen entnommen. Aber nicht bloss Ursenbacher, sondern auch Leute aus Huttwil, Rohrbach und Kleindietwil seien bei der Gründung anwesend gewesen. Bereits wenige Tage später, im Mai, habe man einen «Blueschtbummel» in den Oberwald gemacht und die erste Hauptversammlung durchgeführt und dabei den Vorstand gewählt.
Im Oktober des gleichen Jahres absolvierte Hans Brand den ersten Hilfslehrerkurs und amtete anschliessend als Samariterlehrer, unter der Obhut von Dr. Wyssmann aus Kleindietwil, der zugleich Präsident des Samaritervereins Ursenbach war. Im darauffolgenden Januar sei der erste Samariterkurs durchgeführt worden, weiss Elisabeth Leuenberger weiter zu erzählen. Daraus habe man neue Mitglieder rekrutieren können. Im Mai 1931 wurde in Ursenbach zum ersten Mal ein Schwingfest durchgeführt. Natürlich seien da auch die Samariter im Einsatz gestanden, mit behelfsmässigem Material. Dank grosszügigen Spenden habe man ein Krankenmagazin einrichten können.
Dreimal sei dieses Magazin in der Folge gezügelt worden. Nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges wurde in Ursenbach eine Ortswehr ins Leben gerufen. 24 Frauen und Töchter seien damals in erster Hilfe ausgebildet und anschliessend auch eingesetzt worden. 1950 absolvierten die Ursenbacher Samariter ihre erste Reise zum Schwarzsee, an der sich 50 Personen beteiligten. Ab dem Jahr 1967 seien jedes Jahr zwei-, später sogar drei Blutspende-Aktionen durchgeführt worden. Diese Tradition habe man bis zum Jahr 2004 weitergeführt, bis der gesamte Blutspendedienst umstrukturiert worden sei. Danach habe es in Ursenbach keine solchen Veranstaltungen mehr gegeben, bemerkt Elisabeth Leuenberger.

Helferkreis als Pionierleistung
«Eine Lücke in der Altersbetreuung geschlossen.» So stehe es im Protokoll, weist die Ehrenpräsidentin auf den 29. Oktober 1981 hin, als an einer ausserordentlichen Hauptversammlung der Helferkreis ins Leben gerufen wurde. Für fünf Franken in der Stunde konnte man die Samariter engagieren. Unverschämt seien die Samariter, habe man sich damals anhören müssen, «doch kaum war der Helferkreis gegründet, waren auch schon die ersten Samariter im Einsatz», erinnert sich Elisabeth Leuenberger. Man sei stolz gewesen auf den Helferkreis, den man zweifellos als Pionierleistung bezeichnen könne, denn eine solche Institution habe es in der Region sonst keine gegeben. 1996 sei dann der Samariterverein von der Fürsorgedirektion des Kantons Bern aufgefordert worden, sich mit dem neuen Krankenpflegemodell zu befassen. Deshalb habe der Samariterverein zum Helferkreis hinzu auch noch die Krankenpflege übernommen. Daraus sei dann später die Spitex Ursenbach entstanden. Das Rad der Zeit habe sich aber rasant weiter gedreht und so habe man schon bald mit der Spitex oberes Langetenthal zusammenschliessen müssen.
Elisabeth Leuenberger stellt ernüchternd fest: «Blutspende-Aktionen sind weg, die Spitex ebenfalls und unsere Mitglieder sind älter und älter geworden, im Gegensatz dazu wurden die Anforderungen an die Samariter für den Postendienst immer anspruchsvoller.» Unter diesen Voraussetzungen sei es sehr schwierig geworden, neue Mitglieder zu finden – «und deshalb stehen wir nun hier und müssen den Verein auflösen», lautet das Fazit der Ehrenpräsidentin. Mit der Feststellung: «Das tuet scho chli weh, doch mir näh ou eh Huffe schöni Erinnerige mit hei», wird Elisabeth Leuenberger die letzte HV des Samaritervereins Ursenbach schliessen.

Von Walter Ryser