Eine Geschichte von Hindernissen, einem Streik und viel Fortschritt
Es war ein Jahrhundertprojekt mit zahlreichen Hindernissen, doch letztlich kam gut, was lange währte: Vor 130 Jahren wurde die Langenthal-Huttwyl-Bahn (LHB) eröffnet und erstmals deren Strecke befahren. Zeitdokumente unterstreichen den Kraftakt, der nötig war, um die Bahn in der Region zu verankern. Letztlich hat sie zur Entwicklung beigetragen und die Dörfer bis hin nach Wohlhusen und ins Emmental näher zusammengebracht. Die Entwicklung ist auch heute nicht fertig. Gerade in Langenthal, am ursprünglichen Ausgangspunkt der Strecke, werden in den nächsten Jahren rund 90 Millionen Franken auf dem Bahnhofareal investiert.
Oberaargau · Mittlerweile seit 130 Jahren besteht zwischen Huttwil und Langenthal eine Bahnverbindung. Zum 1. November 1889 wurde die Langenthal-Huttwyl-Bahn (LHB) eröffnet, deren Strecke heute von der BLS, der Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn, betrieben wird. Über dieses historische Ereignis finden sich viele Schriften und Zeitdokumente, welche diesen speziellen Tag und die Planung zuvor beleuchten. Der «Unter-Emmentaler» hat sich für Sie, liebe Leserinnen und Leser, ins Archiv gestürzt.
Viele Hindernisse überwunden
Die Ausgabe vom 2. November 1989 des Oberaargauer beispielsweise blickt in einem Frontartikel auf den Bau der Bahn zurück. «Es gab zwar keine Berge zu durchbohren und keine tiefen Abgründe zu überqueren; aber gleichwohl hatte die Bahn für ihren Verkehr viele grosse, harte Steine aus dem Wege zu räumen», steht in dieser Ausgabe geschrieben. Selten habe eine Bahneröffnung einen derartigen Einsatz von willigen Kräften benötigt, meinte der entsandte Berichteschreiber weiter.
Der erste Zug «dampfte» kurz vor neun Uhr von «Huttwyl» her in Richtung Langenthaler Bahnhof herein. Geladen hatte der Passagierzug diverse Festgäste, die dann um 11.15 Uhr mit weiteren Gästen aus Langenthal zur offiziellen Jungfernfahrt in die entgegengesetzte Richtung ansetzten. Unterwegs hielt der Zug an diversen Standorten und wurde jeweils feierlich begrüsst. In «Lotzwyl» hielt Pfarrer Ammann eine Rede, in der er die Wichtigkeit des neuen Betriebsmittels hervorhob, gleiche er doch Standesunterschiede aus und bringe Herzen näher zusammen. Dies gelang zwischen Lotzwil und Gutenburg damals für immerhin 10 Rappen. Gutenburg war dann auch der nächste Zwischenhalt, wo es beim Einfahren in die Station «knallte», die Menge jubelte. In «Madiswyl» sang und begrüsste dann der Männerchor den Tross, der für diesen Moment ein Lied komponiert hatte. Unterwegs ins Lindenholz wollte dann ein Leiterwagen der Bahn ihre Schnelligkeit streitig machen, begeistert schrieb der Berichterstatter aber davon, dass der Leiterwagen gegen die flinke Bahn doch deutlich den Kürzeren zog. In Lindenholz begrüsste die Schuljugend die Bahn, in «Kleindietwyl» sangen die Schüler von der Primar- und Sekundarstufe den Gästen ein Lied und in Rohrbach warteten zahlreiche Arbeiter mit Schaufel auf die erste Vorbeifahrt des Zuges.
Auch in «Huttwyl» enttäuschte dann nur gerade die Witterung. Stramm hätten die Kadetten gestanden und den Zug begrüsst, die Dekoration habe die Gäste selbst im November in den Frühling versetzt, obwohl es in Strömen regnete. Jung und Alt, reich und arm, sei derweil in «Huttwyl» zu dieser historischen Feier vor Ort gewesen, immerhin soll sie zu einem Wendepunkt in der Geschichte des Städtchens werden, waren die Anwesenden damals überzeugt. «Huttwyl darf stolz sein auf diesen Tag», meinte der Schreiberling im Bericht des Oberaargauers, immerhin habe man mit diesem Projekt bewiesen, dass man durch vereinigtes Handeln und unermüdliches Schaffen so einiges erreichen kann. «Es ist ein Triumpf der Beharrlichkeit», soll auch Dr. Pfarrer Lauterburg gesagt haben, «was lange währt wird endlich gut», hiess es derweil auf bedruckten Speiseservietten.
Später an diesem Tag kam es auch noch zu einem ersten Unfall: Ein fünf Tonnen schwerer Wagen ohne Bremsen entwischte in Rohrbach dem Personal, als er auf die Ausladegeleise umgestellt werden sollte. Glücklicherweise kam es aber unterwegs zu keinem Schaden und in Langenthal wurde der Wagen dann kontrolliert zum Entgleisen gebracht. Im Langenthaler Tagblatt, welches diese Geschichte Jahre später aufgriff, wurde Fritz Christen als erster Zugführer der LHB mit seinen Erinnerungen zitiert: «Beim Entgleisen wurde der Wagen erheblich beschädigt. Das Dach flog zum Beispiel mit der Asche noch ein Stück weiter, ebenso litten einige Säcke.»
Das Velo als Konkurrenz
Zu Beginn liess die Benutzerfrequenz der Bahn aber noch zu wünschen übrig. Im Jahr 1890, somit das erste vollständige Betriebsjahr, wurden 108 000 Personen, 234 Gepäcktonnen, 2363 Tiere und 16 000 Gütertonnen transportiert. Dies geht aus einem Bericht zum 50-Jahr-Jubiläum der Bahn im «Oberaargauer», dem späteren Langenthaler Tagblatt, hervor. Im Jahr 1939, also 49 Jahre später, wurden bereits 276 000 Personen, 504 Gepäcktonnen, fast 20 000 Tiere und 133 000 Gütertonnen hin und her gefahren. Im Jubiläumsjahr, liess der Berichterstatter verlauten, sei der wirtschaftliche Kampf zum Betreiben einer Bahn jedoch im Vergleich zu früheren Jahren härter geworden, weil das mittlerweile besser ausgebaute Strassennetz vermehrt zum Fahrradfahren animiere.
Zwischenzeitlich nahm dann auch die Sumiswald-Ramsei-Bahn ihren Betrieb auf, 1905 fuhr der erste Zug auf der heute bereits wieder geschlossenen Strecke von Huttwil ins Emmental. Ebenfalls eröffnet wurde zwischenzeitlich der Eriswiler «Schlitten». Alle drei Bahnen wurden im Jahr 1944 dann zu den Vereinigten Huttwil-Bahnen (VHB) zusammengeschlossen, um für die Elektrifizierung der Bahnen gemeinsam Bundeshilfe beantragen zu können. Ab dem 1. Januar nahm die VHB ihren Betrieb auf und bildete gemeinsam mit der Emmental-Burgdorf-Thun-Bahn (EBT) und der Solothurn-Münster-Bahn (SMB) eine Betriebsgemeinschaft, die EBT. Am 7. Juli 1945 fuhr dann der erste elektrisch fahrende Zug einer euphorisierten Festgemeinde entgegen, weiss der Huttwiler Beat Lanz in seinem Buch über die Huttwiler Bahngeschichte zu schreiben.
Entscheidender Septemberstreik
Jene Betriebsjahre führten aber nicht nur zu organisatorischen Veränderungen, sondern auch in arbeitsrechtlicher Hinsicht. Im Jahr 1918 streikten die Eisenbahner und verlangten von ihren Arbeitgebern mehr Lohn. Die Verantwortlichen hatten zuerst eine Teuerungszulage zugesichert und einen Vertrag abgemacht, den sie wegen schlechter Geschäftstätigkeiten in den Weltkriegsjahren nicht in dieser Höhe erfüllen wollten. Dies geht aus dem Jahrbuch des Oberaargaus aus dem Jahr 2018 hervor, wo dieser Streik mit einer Sonderbeilage thematisiert wird. Die Arbeitnehmer drohten unter der Führung von Johann Gosteli, ein Zugführer auf der Strecke von Langenthal-Huttwil und Direktor eines Personalverbandes, mit einem Streik, sollten die ausgemachten Bedingungen nicht eingehalten werden. Prompt kam es ab dem damaligen Montag, 9. September, dazu, dass die Eisenbahner streikten und ihre Arbeit vollends niederlegten. Am 10. September wandten sich die Streikenden dann im «Unter-Emmentaler» an die Bevölkerung, um auf die haarsträubende Ausgangslage hinzuweisen, ihren Streik begründeten und auf Unterstützung in ihrem «Existenzkampf» hofften. «Wir kämpfen nicht um des Kampfes willen», betonten sie, «sondern für unsere Frauen und unsere Kinder und gegen den lähmenden Druck der täglichen und stündlichen Nahrungssorgen.» Im «UE» vom darauffolgenden Donnerstag stand noch geschrieben, dass man auf das Ende gespannt sein dürfe, als die Leser das Blatt in den Händen hielten, war dies schon fast so weit. Am Mittag des 12. September war der Streik schon praktisch vorbei, um drei Uhr nahmen die Arbeiter ihre Tätigkeiten mit einem Erfolg auf kompletter Linie wieder auf.
Ein neues Bahnhofsgebäude
Ein weiterer Meilenstein trug sich dann im Jahr 1959 zu, als am 13. Juli der neue Bahnhof in Huttwil eröffnet wurde. Dieser Neubau wurde wegen der Elektrifizierung der Bahnen dringend nötig. Im Vordergrund für diesen Bau standen unter anderem die Erstellung der Geleise- und Perronanlagen, eine Personenunterführung und eine Verladerampe. Und weil das Aufnahmegebäude veraltet war, wurde dieses sogleich neugebaut – trotz finanziellen Bedenken, die damals vorhanden waren. Im Kellergeschoss des Gebäudes wurde ein Raum für zirka 50 Velos eingebaut, dazu kamen ein Wohnungsraum und eine Waschküche sowie ein Trocknungsraum für die Kleider des Dienstpersonals. Im Erdgeschoss war Platz geschaffen worden für einen Kiosk, daneben gab es Gepäckräume und die Schalterhalle. Büros wurden ebenfalls erstellt, im Obergeschoss des Gebäudes fanden sich Dienstwohnungen mit fünf Zimmern und Terrasse. Zudem wurde ein Perrondach in der Grösse von 340 Quadratmeter erbaut, das damals beinahe als Halle wahrgenommen werden konnte. «Die Halle war als reiner Zweckbau geplant», kommentierte ein damaliger Berichteverfasser des «Oberaargauers», die Formen seien schlicht, das Ganze neuzeitlich erfasst und in ästhetischer, städtebaulicher Hinsicht erstellt.
Grosser Sprung vor dem Jubiläum
Die Bahn entwickelte sich in der Folge stetig weiter, einen grossen Sprung verzeichnete sie dann kurz vor ihrem 100-Jahr-Jubiläum. Dies wusste der damalige Direktor Dr. Charles Kellerhals gegenüber dem «Unter-Emmentaler» zu berichten. «In den letzten Jahren war ein grosser Sprung zu verzeichnen, der die normalspurige Nebenbahn zu einer voll ausgewachsenen Eisenbahn mit grossem Güter- und Personenverkehr werden liess», so Kellerhals im Jahr 1989. Der VHB gehe es gut, meinte er weiter, auch wenn der grosse Wachstumsschub Nebenwirkungen mit sich bringe. Das nun stattfindende Jubiläum nehme er indes nicht zum Anlass, zurückzublicken, sondern in die Zukunft zu sehen, weil weitere Entwicklungen aufwarten.
Gefeiert wurde indes aber dennoch. Wie schon bei der Eröffnung wurde auch 100 Jahre später eine Dampffahrt von Langenthal nach Huttwil durchgeführt. Unterwegs hielt der Tross wie bei der Jungfernfahrt mehrmals. Es wurde gefeiert, musiziert und geredet. In Huttwil wurde der Festumzug schliesslich von der Stadtmusik empfangen und zum «Mohren» begleitet, wo auf das 100-jährige Bestehen angestossen wurde. Der damalige Gemeindepräsident von Huttwil, Jürg Schürch, hob in seiner Grussrede die Bedeutung der Bahn und den positiven Einfluss auf das Städtchen hervor, dies hatte diese Zeitung am 7. November 1989 berichtet. Durch die Entwicklung der Industrie entlang der Linie zwischen Langenthal und Wohlhusen werde nun die Weiterentwicklung der Bahn vorangetrieben, stellte Schürch bereits damals fest. «Ich hoffe, der Traum von VHB-Direktor Charles Kellerhals geht in Erfüllung, dass der Bahnhof nicht mehr nur ein Hindernis, sondern eine Attraktion wird», soll der Gemeindepräsident damals ebenfalls gesagt haben.
Neue Bahnhöfe für beide Standorte
Im Jahr 1997 fusionierte die VHB schliesslich mit den anderen Bahnen der Emmental-Burgdorf-Thun-Bahn-Gruppe (EBT) zum «Regionalverkehr Mittelland», dieser ging 2006 in der heutigen BLS auf. Seither ist noch einmal einiges passiert, vor allem bezüglich Aus- und Umbauten aller Bahnhöfe an dieser Strecke. Hauptprojekte waren dabei einmal mehr die beiden ursprünglichen Start- und Zielorte Langenthal und Huttwil. Im Blumenstädtchen wurde am 1. Dezember 2016 der neue Bahnhof feierlich eröffnet, weshalb die Wünsche von Jürg Schürch und Charles Kellerhals spät, aber dennoch in Erfüllung gingen. Dabei wurde innerhalb von zwei Jahren die gesamte Anlage und dazu auch die Geleise rund um den Bahnhof für gegen 50 Millionen Franken komplett erneuert und modernisiert. Seither müssen in Huttwil die Stellwerke nicht mehr von Hand bedient werden, allgemein steht hier ein topmoderner und mit neusten Technologien ausgerüsteter Bahnhof den Nutzern zur Verfügung. Einzig die Idee von «UE»-Journalistin Liselotte Jost-Zürcher, einen Wellness-Tempel gegenüber dem Bahnhof zu eröffnen, wurde bisher noch nicht aufgegriffen. Sie hatte sich im Jahr 2017 gemeinsam mit Gemeindepräsident Walter Rohrbach einen 1.-April-Scherz erlaubt, indem sie mitsamt Fotomontage berichtete, dass statt dem weiterhin nicht realisierten Einkaufszentrum von Coop, nun eine Wellness-Oase gebaut werden soll.
In Langenthal ist derweil die Planung für den Bahnhofumbau abgeschlossen, das Bauvorhaben aber noch nicht umgesetzt. «Entwicklungsschwerpunkt Bahnhof», oder abgekürzt «ESP Bahnhof», nennt sich das insgesamt rund 90 Millionen Franken schwere Projekt, welches zur Umgestaltung des kompletten Bahnhofareals führen soll. Bis 2026 soll der Verkehr neu geregelt werden, eine neue Unterführung die beiden Quartiere besser verbinden und neue Veloplätze und Busstationen angeboten werden. Ist das Projekt abgeschlossen, soll der Bahnhofplatz verkehrsfrei sein und zum Verweilen einladen. Auch deshalb wird das Projekt als künftigen Standortvorteil für Langenthal angesehen, so hofft man, dass auch Unternehmen künftig in diesem Gebiet investieren wollen.
Die Frankreich-Gotthard-Verbindung
Ursprünglich geplant wurde die Langenthal-Huttwyl-Bahn inmitten eines ehrgeizigen Projekts. Die Jura-Gotthard-Bahn hätte eine Transitachse sein sollen, die Frankreich von Delle über Délémont, Balsthal, Langenthal, Huttwil, Wolhusen, Luzern und Stans auf kürzestem Weg mit der Gotthardbahn bei Altdorf verbinden sollte. Das Projekt wurde aber in dieser Form nie gänzlich abgeschlossen. Heute gehört die Bahnverbindung zwischen Huttwil und Langenthal zur BLS, welche diese Strecke den Tag hindurch im Halbstundentakt befährt. Dieser wurde auf den Fahrplan 2010 hin ermöglicht, zuvor war «nur» eine stündliche Verbindung zwischen Langenthal, Huttwil, Wolhusen und Luzern angeboten. Alleine in den letzten zehn Jahren ist die Nutzung im Personenverkehr auf diesem Abschnitt bis zu 40 Prozent gestiegen, informiert die BLS. «Zwischen Langenthal und Huttwil nutzen wöchentlich 3500 Reisende unsere Verbindung. Im Jahr 2008 waren es noch 2500», erklärt Tamara Traxler, Mediensprecherin von der BLS. «Der Wunsch nach Taktverdichtung ist allgemein vorhanden und uns ist es wichtig, ein entsprechendes Angebot auf dieser Strecke zu ermöglichen.» Ausserdem sei diese Verbindung für das Luzerner Hinterland wichtig, welches sich dadurch Luzern oder eben dem Kanton Bern an-schliessen kann. Stark genutzt wird die Strecke aber nicht nur vom Personenverkehr, sondern auch vom Güterverkehr, insbesondere für den Transport von Holz und Kies ist die Strecke zwischen Luzern und Langenthal beliebt. Der unermüdliche Einsatz der Arbeiter und Projektplaner von damals hat sich deshalb bis hin zu heute, 130 Jahre später, gelohnt.
Von Leroy Ryser