Eine grenzenlose Enttäuschung
Géraldine Ruckstuhl, Siebenkämpferin aus Altbüron – Schluss, aus und vorbei: Das grosse Siebenkampf-Talent Géraldine Ruckstuhl aus Altbüron darf an den Olympischen Spielen in Tokio nicht starten. Sie wurde nicht selektioniert. Die Enttäuschung bei der im Formtief steckenden 23-Jährigen ist gewaltig.
Leichtathletik · «Die Enttäuschung ist riesig», sagt Daniela Gisler, die Managerin von Géraldine Ruckstuhl. Swiss Olympic hat am Montag die Selektionsliste für die Olympischen Spiele in Tokio bekannt gegeben. Darauf fehlt der Name Géraldine Ruckstuhl.
Beeindruckendes Palmarès
Damit ist jene Athletin in Japan nicht am Start, die seit Jahren als eines der grössten Schweizer Leichtathletik-Talente aller Zeiten galt. Die am 24. Februar 1998 geborene Allrounderin des STV Altbüron machte Jahr für Jahr gewaltige Fortschritte und wurde schliesslich 2015 in Cali U18-Weltmeisterin im Siebenkampf. 2017 folgte Silber an der U20-EM in Grosseto. 2018 stellte sie in Frankreich mit 6391 Punkten den noch heute gültigen Schweizerrekord im Siebenkampf auf. 2019 folgte der U23-EM-Titel in Gävle. Neben ihren Erfolgen im Siebenkampf ist Ruckstuhl auch die beste Speerwerferin des Landes. Seit Mai 2017 und dem Meeting in Götzis ist Ruckstuhl mit 58,31 m Inhaberin des Schweizer Rekords. An Schweizermeisterschaften hat Ruckstuhl unzählige Titel und Medaillen gewonnen. Nach der Zwangs-pause wegen Corona folgte eine ärgerliche Verletzung, welche die stets steil aufwärts zeigende Karriere von Ruckstuhl nun so jäh stoppte. Eine allergische Reaktion auf ein Tape führte zu einer Infektion, die mit Antibiotika behandelt werden musste. Durch die Schmerzen konnte Ruckstuhl kaum mehr laufen. Die Fehlbelastung führte zu einer Stressfraktur. Dies führte dazu, dass Ruckstuhl ihren Fuss sechs Wochen lang nicht belasten konnte. Der zuvor tadellos verlaufene Formaufbau war nichtig. Und Ruckstuhl bekundete bei den folgenden Trainings und Wettkämpfen grosse Probleme, kam besonders in den technischen Disziplinen überhaupt nicht auf Touren. In Götzis konnte sie nicht antreten, auf Teneriffa und an der Mehrkampf-SM in Langenthal brach die 23-Jährige den Wettkampf nach grösstenteils miserablen Leistungen vorzeitig ab.
Swiss Olympic handelte nach der Empfehlung von Swiss Athletics
Diese Formbaisse führte nun zur Nichtberücksichtigung für die Olympischen Spiele. Verantwortlich dafür zeichnete die Selektionskommission von Swiss Olympic. «Wir verlassen uns auf das Wissen der einzelnen Verbände. In der Leichtathletik haben wir nach den Anträgen von Swiss Athletics selektioniert», gibt Alexander Wäfler, Medienverantwortlicher bei Swiss Olympic, bekannt. «Bei den Anträgen zur Selektion der Leichtathleten für Tokio fehlte der Name Géraldine Ruckstuhl.» Der besagte Leichtathletik-Verband äusserte sich zur Nichtselektion einer der hoffnungsvollsten Athletinnen der letzten Jahre auf «UE»-Anfrage schriftlich. «Die Selektionskommission von Swiss Athletics und diejenige von Swiss Olympic müssen bei jeder Athletin und bei jedem Athleten entscheiden, ob diese so gut in Form sind, dass am Zielanlass eine Leistung möglich ist, die die Selektion rechtfertigt. Dafür sind der aktuelle Formstand beziehungsweise die Leistungen in der laufenden Saison von grosser Bedeutung», schrieb Swiss Athletics dem «Unter-Emmentaler». Weiter: «Die Selektionskriterien sind im Selektionskonzept unter dem Punkt 5.4 festgehalten. Im Fall von Géraldine Ruckstuhl ist die Selektionskommission zum Entschluss gekommen, dass weder das zu erwartende Leistungsvermögen am Zielanlass noch die Formkurve eine Selektion für die Olympischen Spiele in Tokio rechtfertigen. Deshalb konnte sie leider nicht für eine Selektion berücksichtigt werden.»
Zusatzkriterien sprachen gegen eine Olympianomination
Harte Worte, die aufzeigen, dass die achtköpfige Selektionskommission unter der Leitung von Jacky Dela-
pierre beim Entscheid gewichtete, dass Ruckstuhl zuletzt 2019 olympiawürdige Resultate lieferte. Fakt ist, dass Ruckstuhl die hoch angesetzte Olympia-Limite von 6420 Punkten nicht erfüllte. Dies gelang nur zwölf Athletinnen weltweit. Die restlichen zwölf Startplätze für den Siebenkampf-Wettkampf in Tokio wurden durch die Weltrangliste vergeben. In dieser belegte Ruckstuhl beim Stichtag den 24. Rang. Dieser hätte der Altbürerin als letzte Siebenkämpferin eine Teilnahme am Olympischen Siebenkampf erlaubt. Doch Swiss Athletics erwähnte im Selektionskonzept, dass bei Athleten, welche die Selektionskriterien ausschliesslich mit Leistungen aus dem Jahr 2019 erfüllen, zur Beurteilung der Selektion folgende Zusatzkriterien beigezogen werden. Erstens: Zu erwartendes Leistungsvermögen am Zielanlass. Zweitens: Keine Einschränkungen, welche die Vorbereitung des Zielanlasses und/oder die Zielsetzung beeinträchtigen. Drittens: Formkurve. Für Swiss Athletics war klar, dass Géraldine Ruckstuhl bei allen drei Punkten eine Nomination für die Olympischen Spiele nicht erfüllt. Und darum bleibt die Siebenkampf-Rekordhalterin daheim. Man hätte Géraldine Ruckstuhl aber durchaus selektionieren können, um ihr für die nächsten Olympischen Spiele Erfahrungswerte zu ermöglichen. Ruckstuhl gehört zu den Athletinnen, die mittelfristig Medaillen- bzw. Diplompotenzial für die Olympischen Spiele in Paris 2024 aufweisen und denen man gemäss «Leistungsrichtlinien für Selektionskonzepte» von Swiss Olympic eine spezifische Olympia-Erfahrung im Hinblick auf die nächsten Olympischen Spiele hätte ermöglichen können. Auch dazu kommt es nicht.
Die Enttäuschung sitzt
«Der Entscheid ist hart und ein Dämpfer, aber das gehört zum Sportlerleben», erklärt ihre Managerin Daniela Gisler. «Géraldine ist eine Kämpferin, sie wird ihren Weg finden und stärker zurückkehren», ist sich Gisler sicher.
Von Stefan Leuenberger