Eine himmlische Bescherung
Fantastisch – die Schauspieler Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl haben mit «Eine Weihnachtsgeschichte» von Charles Dickens ein Programm präsentiert, welches das Potenzial zum Bühnenklassiker hat. Kurz vor der Eröffnung des Stadttheaters Langenthal wird das musikalische Märchen in der vollbesetzen Klosterkirche St. Urban aufgeführt.
St. Urban · Vor der imposanten Klosterkirche in St. Urban erstrahlt der frisch verschneite Weihnachtsbaum und am Himmelszelt glitzern Sterne. Die roten Kuppeln der Doppeltürme sind von einer Schneehaube bedeckt. Märchenhaft. Leise hört man Glöcklein klingeln. Sie gehören den langhaarigen Jakobsschafen, die auf dem Klostergelände gehalten werden. Diese Kulisse bietet den Rahmen für einen ebenso besonderen Abend.
Dabei lassen sich zahlreiche Besucher mit Dickens’ Weihnachtsgeschichte auf die kommenden Feiertage einstimmen. Vielleicht aus Sehnsucht nach Geborgenheit oder Innehalten im hektischen Alltag. Ausserdem ist die sozialkritische Erzählung über den alten Geizhals Scrooge eine der meist vorgelesenen, aufgeführten und verfilmten Geschichten in der Adventszeit: Sie erzählt, wie der geizige und verbitterte Scrooge am Vorabend des Weihnachtsfestes von vier Geistern heimgesucht wird und dank einer Reise in die Vergangenheit seine Menschlichkeit wiederentdeckt.
Bis heute bringt der zeitlose Text das Publikum zum Lachen und Weinen, zum Staunen und Mitfühlen. Und ist dabei aktueller denn je.
Grandioses Schauspiel
Rund 400 Personen finden durch die Zusatzbestuhlung in der Klosterkirche Platz. Fünf Musizierende betreten die Bühne. Sie tragen weisse Engelsflügel, die zuweilen dramatisch lodern. Gemeinsam mit den Akteuren haben Komponist Libor Síma und Regisseur Martin Mühleis eine geniale zweistündige Produktion inszeniert. Die Schauspieler Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl, bestens bekannt als Tatort-Kommissare, setzen ihre Mimik, Gestik und Stimme mit absoluter Professionalität ein.
Mit Sprachwitz und bildhafter Erzählweise gelingt es ihnen, die Zuhörer in der vollbesetzten Kirche vom ersten Moment an zu packen, ja, zu begeistern. Spannend und emotional erzählen die beiden Dickens' Geschichte, nicht ohne den skurrilen britischen Humor einfliessen zu lassen. Die Akteure ziehen alle Register ihrer Schauspielkunst und demonstrieren, wie sie ihr Handwerk auch mit vergleichsweise wenigen Effekten beherrschen.
Brillant wird die szenische Darstellung durch das Zusammenspiel mit dem Streichquintett, das auf Podesten sitzt, welche je nach Verlauf der Geschichte die Farben wechseln.
Perfekt aufeinander abgestimmt verleihen Schauspieler und Musiker der 1843 erstmals veröffentlichten Geschichte eine völlig neue, seelenvolle Interpretation. In einer Zeit der Egozentrik und virtuellen Kommunikation wird der Wert der Nächstenliebe und des einfühlsamen Umgangs miteinander hervorgehoben.
Musik und Stimmungsbilder
Neben dem effektvollen Lichtdesign wird die Handlung mit Musik untermalt; Stimmungsbilder wie die Stras-sen und der dichte Nebel Londons oder die Charaktere der agierenden Personen werden filmähnlich betont.
Es ist kalt in der Kirche, aber zuweilen lässt einem die Handlung auch innerlich frösteln. Etwa wenn die Celli das Kettenrasseln der Geister imitieren, welche den Geizhals nachts heimsuchen und ihn zurückführen in seine Vergangenheit. Erinnerungen an unbeschwerte Kindertage, an seine Freundin, die ihn damals verlassen hat, aus Liebe zu dem der er einmal war oder an seinen Neffen, den einzigen Sohn seiner früh verstorbenen Schwester, werden wach.
Scrooge wird bewusst, wie kaltherzig und rücksichtslos er unglückliche Schuldner behandelt hat, seinen unterbezahlten Sekretär demütigt und seinen Mitmenschen mit Misstrauen und Verachtung begegnet. Zum ersten Mal empfindet Scrooge Mitleid und Reue. Mit der Wandlung des Geizhalses zum Menschenfreund erzeugt die Geschichte auch beim Publikum ein Gefühl von Zufriedenheit, ein Gefühl von Wärme und verbreitet Weihnachtsstimmung in vielen Herzen.
Von Brigitte Meier