• Ein nachdenklicher Erwin Aeschlimann. Schweren Herzens musste die Wyssacher Fussball-ikone die Auflösung «seines» SC Wyssachen bekanntgeben. · Bild: Leroy Ryser

24.10.2018
Sport

Eine Institution des Lokalsportes verschwindet

Sportclub Wyssachen – Welch eine Ironie der Geschichte: Erwin Aeschlimann (58), der als Spieler und als Trainer mehr für den SC Wyssachen getan hat als jede andere Einzelperson, löscht das Licht. Er sagt: «Wir haben im Vorstand eine Auslegeordnung gemacht. Es geht nicht mehr. Wir lösen den Verein auf.»

Fussball · Mit diesem Satz geht eines der interessantesten Kapitel unseres Lokalsportes zu Ende. Der SC Wyssachen ist vor 64 Jahren, am 1. Mai 1954, im Roggengrat-Bad zuhinterst im Manns-hausgraben gegründet worden.
In der Saison 1955/56 beteiligen sich die Wyssacher erstmals an der offiziellen Fussballmeisterschaft in der 4. Liga. Sie verlieren 19 von 20 Spielen (Torverhältnis 17:155) und kassieren gegen den SC Huttwil mit 1:17 die höchste Niederlage ihrer Geschichte. Bis 1964 tragen sie ihre Heimspiele in Rohrbach aus.

Faszination «Koranten»
Die Wende bringt der eigene Platz in Wyssachen. Die «Koranten-Matte». Bereits in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre wird Wyssachen ein Spitzenteam in der 4. Liga und in den 1970er Jahren gelingt erstmals der Aufstieg in die 3. Liga. Die Derbys gegen den SC Huttwil bleiben in ewiger Erinnerung. Spiele voller Intensität und Dramatik, befeuert durch die Rivalität zwischen den zwei Vereinen. Zwischen 1969 und 1977 blieben die Wyssacher in Meisterschaftsspielen der 4. Liga gegen die Huttwiler unbesiegt. Die «Koranten-Matte», der kleinste Platz im Kanton Bern, hat Kultstatus und ist so schmal, dass Huttwils Ballzauberer Thomas Blatter 1975 im Derby einen Corner direkt verwandelt. Er hat den Ball an der Ecke des Strafraumes gesetzt – und der Schiedsrichter anerkennt den Treffer. In ihren besten Zeiten zelebrieren die Wyssacher pro Heimspiel mehr als sechs Tore.
In den 1990er Jahren steht der SC Wyssachen nach dem zweiten Aufstieg in die 3. Liga eine Saison lang auf dem Höhepunkt des Ruhmes. Der SC Huttwil darbt in der 4. Liga. Es ist die einzige Saison in der lokalen Fussballgeschichte, in der die Wyssacher eine Liga höher über den Rasen fegten als die Huttwiler.
Damals wird von der Führung des SC Huttwil eine Fusion mit den Wyssachern erwogen. Um auf diesem Weg in die 3. Liga zurückzukehren. Daraus wird nichts. Die Wyssacher haben keinen Grund, ihre Eigenständigkeit ausgerechnet für den Erzrivalen aufzugeben. Und die Huttwiler steigen aus eigener Kraft wieder in die 3. Liga auf. Interessanterweise wird später der Versuch einer Fusion der Gemeinden Huttwil und Wyssachen scheitern – am «Nein» der Huttwiler.

Platz und Seele verloren
Wie kann es sein, dass der SC Wyss-achen nun Geschichte wird? Der Anfang vom Ende kommt zu Beginn dieses Jahrhunderts: Die Gemeinde Wyssachen findet mit den beiden Besitzern der Koranten-Matte keine Lösung mehr. Mit den zwei Grundeigentümern eine Lösung zu finden ist schwieriger als einst die Einigung des Deutschen Reiches und einen Bismarck haben die Wyssacher nicht.
Der SC Wyssachen findet im Nationalen Sportcenter in Schwarzenbach eine neue Heimat. Aber Jahr für Jahr geht nach und nach Identifikation mit Wyssachen, mit dem SC Wyssachen verloren. Erwin Aeschlimann sagt: «Mit mir sind heute im SC Wyssachen noch gerade drei Wyssacher aktiv. Der Verein hat mit Wyssachen eigentlich nichts mehr zu tun. Diese Entfremdung hat mit dem Verlust der Koranten-Matte begonnen.» Wir können es pathetisch auch so sagen: Der SC Wyssachen hat mit der Koranten-Matte seine Seele verloren. Erwin Aeschlimann prägte auf dem Rasen die legendären 3. Liga-Teams der Wyssacher. Er personifiziert diesen Klub über Jahre als Spieler, inzwischen als Trainer. Ausgerechnet er zieht nun den Stecker. Er sagt: «Das tut sehr weh. Ich habe nach unserer Vorstandssitzung am Montagabend die ganze Nacht nicht geschlafen. Aber es geht einfach nicht mehr. Wir können den Verein nicht mehr finanzieren. Es nützt uns auch nichts, wenn jetzt jemand kommt und uns 10 000 Franken schenkt. In einem Jahr wären wir wieder gleich weit.»

Bloss drei Spieler zahlen den Beitrag
Das Problem ist die Finanzierung des Vereins. Eine Saison kostet selbst in der 5. Liga (der tiefsten) etwas mehr als 10 000 Franken. Für die Platzmiete, Material und die Entschädigung für die Schiedsrichter. «Wir haben den Verein über die Mitgliederbeiträge finanziert, andere Einnahmen hatten wir nicht mehr und die Spieler mussten bei uns auch keine Fronarbeit bei Anlässen leisten», sagt Erwin Aeschlimann. Der Mitgliederbeitrag für Aktive beträgt 400 Franken, für Lehrlinge 200 Franken und Schüler und Studenten ohne Einkommen 100 Franken. «Wir haben mehr als genug Spieler. Im letzten Training waren wir 31. Aber gerade drei davon haben den Mitgliederbeitrag noch bezahlt. Was wollen wir da machen? Wir können ja die Spieler nicht wegen eines Mitgliederbeitrages betreiben. Spielen will jeder, aber die Identifikation mit dem Verein fehlt. Das hat mit dem Fehlen eines eigenen Platzes, aber auch mit dem gesellschaftlichen Wandel zu tun. Es bleibt uns unter diesen Umständen nur die Auflösung des Vereins.»

Ende Rückrunde ist Schluss
Bereits vor einem Jahr haben die Wyss-acher einen Teil ihrer Eigenständigkeit aufgegeben und mit dem SC Huttwil gruppiert. Das bedeutet: Sie bilden ihre zwei Mannschaften in der 5. Liga gemeinsam mit dem SC Huttwil. Die Spieler können beliebig zwischen Wyssachen und Huttwil wechseln, die beiden Vereine bleiben jedoch eigenständig. Erwin Aeschlimann: «Aber das hat unser Finanzproblem nicht gelöst.» Erwin Aeschlimann sagt, man könne bei einem geordneten Rückzug nun noch alle Rechnungen bezahlen. «Ich verzichte sowieso schon seit zwei Jahren auf jede Entschädigung als Trainer.» Er habe mit dem Verband die Sache besprochen. Vorgesehen ist per Ende der Rückrunde ein stiller, leiser Rückzug aus der Fussballgeschichte. Der SC Wyssachen beteiligt sich aktuell mit zwei Mannschaften (Wyss-achen a und Wyssachen b) an der Meisterschaft der 5. Liga. Diese Teams werden im Rahmen der Gruppierung bereits in der zweiten Saison gemeinsam mit dem SC Huttwil geführt.
Nun wird eine dieser beiden Mannschaften unter der Bezeichnung SC Huttwil als dritte Mannschaft des SC Huttwil (die beiden anderen spielen aktuell in der 4. Liga) weitergeführt und die andere aus der Meisterschaft zurückgezogen und aufgelöst. Die Resultate der bisherigen Saison werden annulliert. Die Spieler, die für den SC Wyssachen lizenziert sind, können zum SC Huttwil wechseln.

Von Klaus Zaugg