• Handshake statt Verbissenheit: Markus Roth (links) und Ueli Werren treten am 21. Oktober gegeneinander an. · Bild: Patrick Bachmann

15.10.2018
Oberaargau

Eine Kampfwahl, die keine ist

Nach Vreni Flückiger wird am 21. Oktober wieder ein Mann zum Gemeindepräsidenten gewählt. Markus Roth (SVP) und Ueli Werren (Freie Wähler) stellen sich für das Amt zur Verfügung. Doch beide sperren sich gegen den Begriff Kampfwahl – sie wollen sich nicht bekämpfen und zeigen viel gegenseitigen Respekt. Das fällt auch im direkten Gespräch auf, wo die Gemeinsamkeiten überwiegen und sie sich mit gegenseitigen Komplimenten nicht zurückhalten.

Madiswil · Markus Roth wohnt in Madiswil, Ueli Werren ist in Kleindietwil zu Hause. Daher wählte ich für das Gesprächsduell die goldene Mitte: Das Restaurant Löwen in Lindenholz. Es ist herbstlich kühl und nass, als wir uns treffen. Die Kürbisse nebenan auf dem Bauernhof von Matthias Leuenberger bringen Farbe in den Tag. Die Gastgeber Daniel und Rebecca Etter vom Restaurant Löwen führen uns in den Saal im ersten Stock, wo wir das Interview führen. Die Atmosphäre ist entspannt und am Schluss des Gesprächs überreicht Ueli Werren seinem Gegenkandidaten sogar ein Glas Honig aus eigener Produktion. Diese Geste zeigt, wie gut sich die beiden Kandidaten kennen und wie sie sich schätzen.

Markus Roth, was qualifiziert deinen Konkurrenten zum Amt des Gemeindepräsidenten?
Markus Roth: Er ist interessiert und hat auf verschiedenen Ebenen bewiesen, dass er Verantwortung übernehmen und führen kann. So gesehen wäre es eine gute Lösung, wenn Ueli Gemeindepräsident würde.

Ueli Werren, wie sieht das umgekehrt aus? Was spricht für Markus Roth?
Ueli Werren: Er besetzte im Militär eine hohe Position und hat viel Führungserfahrung. Wir kennen uns schon lange und er wäre für dieses Amt sehr geeignet.

Wo liegen bei euch die grössten Unterschiede?
Ueli Werren: Ich bin eher grünliberal und denke etwas ökologischer als Markus. Zum Beispiel ist ein Auto für mich Mittel zum Zweck und es soll möglichst klein und sparsam sein. Das sieht Markus wohl etwas anders.
Markus Roth: Bezüglich Ökologie kann das stimmen. Ich habe einfach gerne ein Auto, wo ich auch genügend Platz habe. Und man sieht Ueli sicher öfter auf dem Velo. Davon abgesehen gibt es keine wesentlichen Unterschiede. Gemäss Parteimitgliedschaft vertreten wir zwar andere Meinungen. Doch wenn man mein Profil betrachtet, stehe ich am linken Rand der SVP – also eher in der der Mitte des politischen Spektrums. Wir sind zwei verschiedene Charaktere, Ueli ist sportlich interessiert und ich bin eher im musikalischen Bereich aktiv. Aber das hat auf die politische Tätigkeit keinen Einfluss.
Ueli Werren: In der Gemeindepolitik spielt die Parteizugehörigkeit kaum eine Rolle. Doch in der Frage der Schulsozialarbeit haben wir wohl eine andere Position. Ich bin da ein klarer Befürworter, Markus sieht das vermutlich eher kritisch.
Markus Roth: In der Schule werden für die Schwächeren bereits viele verschiedene Fachleute eingesetzt und jetzt kommt da noch eine weitere Fachperson dazu. Das sehe ich tatsächlich etwas kritisch. Doch mittlerweile habe ich nach über 22 Jahren wieder einige Wochen unterrichtet und diese Erfahrung zeigt, dass ich diese Frage nicht abschliessend beurteilen kann. Ich muss mich auf Personen wie Ueli Werren verlassen, er hat da die grösseren Erfahrungswerte. Was bleibt: Organisatorisch brauchen die nötigen Querabsprachen mit all den beteiligten Fachleuten sehr viel Zeit.
Ueli Werren: Wir haben gerade ein aktuelles Beispiel von einem schwierigen Jungen, bei dem die Eltern überfordert sind und bei dem wir ein Gewaltpotenzial befürchten. Nur ein Sozialarbeiter kann das beurteilen und entsprechende Massnahmen ergreifen. Genau für solche Fälle brauchen wir die Schulsozialarbeit. Wir haben vermehrt schwierige Fälle.
Markus Roth: Das ist sicher ein wesentlicher Punkt, dass man da als Lehrperson entlastet wird. Die Sozialarbeit hat gerade im juristischen Bereich mehr Kompetenzen. Verglichen mit anderen Gemeinden läuft es hier aber noch gut. In meiner Klasse sind mit einer Ausnahme alles einheimische Kinder.

Ueli Werren tritt als einziger bisheriger Gemeinderat zur Wiederwahl an und ist so bestens mit den laufenden Geschäften und Dossiers vertraut. In einem Radiointerview nannte er diese Tatsache auch eine Hauptmotivation für die Kandidatur. Markus Roth, ist das bezüglich Ihrer Wahlchancen ein Handicap?
Markus Roth: Das ist kein wesentlicher Nachteil, denn ich kenne die Gemeinde gut und habe Erfahrungswerte von meiner ersten Gemeinderatszeit von 1982 bis 1995. Falls ich Gemeindepräsident werden sollte, ist es mir aber wichtig, dass Ueli Werren auch wieder im Gemeinderat vertreten ist. Denn ich konnte in der gemeinsamen Arbeit in der Finanzkommission sehen, wie er vernetzt und über das Fachthema hinaus denkt. Es ist auch wertvoll, wenn da jemand die aktuellen Sachgeschäfte kennt. Falls die Stimmbürger ihn deshalb auf den Thron setzen wollen, wäre das für mich auch absolut in Ordnung und akzeptiert.

Ueli Werren, Sie leben im Ortsteil Kleindietwil, kommen also sozusagen aus der Peripherie von Madiswil. Ist das für die anstehende Wahl ein Nachteil?
Ueli Werren: Markus ist sicher viel besser vernetzt und bekannt in Madiswil. Er ist im Musikverein aktiv und spielt im Theater. Und er hat die SVP als wählerstärkste Partei im Rücken. Mich kennen noch längst nicht alle Leute, obwohl ich jetzt 4 Jahre Gemeinderat war. Daher schätze ich meine Wahlchance auf etwa 40 Prozent.

Stichworte Lebensqualität, Arbeitsplätze, Wachstum: In welche Richtung soll sich Madiswil in den nächsten Jahren entwickeln?
Ueli Werren: Ich bin gegen weiteres Wachstum auf Kosten des Kulturlands. Das Dorf ist gross genug. Wir haben aber noch Potenzial zur Verdichtung, man sollte zuerst die bestehenden Parzellen bebauen. Zudem gibt es diverse ältere oder sogar leerstehende Objekte. Und wir müssen vielleicht auch darüber reden, ob wir nicht höher bauen könnten. Die Einfamilienhaus-Strategie müssen wir nicht weiter pflegen. Die Frage der Arbeitsplätze ist schwierig, ich kann da keinen Zuwachs versprechen. Realistischerweise müssen wir froh sein, wenn wir die bestehenden Arbeitsplätze halten können. Entwicklungen wie in der Grossmatt sind nicht wünschenswert – da wurde in den 1980er-Jahren Land eingezont und jetzt haben wir da Lagerhallen. Man sieht es auch in Lotzwil, wo am Schluss Tennishallen in der Landschaft stehen. Das generiert keine Arbeitsplätze.
Markus Roth: Ich bin da ähnlicher Meinung. Es kann nicht die Lösung sein, Industrie auf Kosten der Landwirtschaft anzusiedeln. Neues Gewerbe braucht aber Land. Daher ist es wichtig, dass die Zonenplanung sorgfältig gemacht wird. Allgemein sehe ich neue Arbeitsplätze eher im Bereich bestehender KMU. Gutes Beispiel ist die Schreinerei Zulliger, die heute über 30 Angestellte zählt. Wenn man das bestehende Gewerbe unterstützen und Lösungen mitgestalten kann, lässt sich mehr erreichen.
Ueli Werren: Natürlich würde ich gerne eine Versicherung oder eine Firma aus der IT-Branche mit 200 Arbeitsplätzen hier ansiedeln. Doch man muss da auch realistisch bleiben.
 
Wie sehen eure Ziele für die anstehende Legislatur aus?
Markus Roth: Ein Schlagwort dazu: Behindertengerechtigkeit. Das Dorfzentrum oder auch die Schulanlage Neumatt könnten da sicher optimiert werden. Weiter werden auch Fussgängersicherheit, Schulwegsicherung oder Verkehrsberuhigungsmassnahmen thematisiert werden müssen.
Ueli Werren: Das würde ich sicher unterstützen, viele Sachen sind wünschenswert. Das ist natürlich auch eine finanzpolitische Frage. Was mir aber auch ein Anliegen ist: Wir haben in den letzten Jahren zu wenig in die Infrastruktur investiert. Die Gründe sind vielschichtig, doch das muss angegangen werden. Es ist wichtig, dass die Infrastruktur auf einem hohen Level bleibt. Dazu gehört auch schnelles Internet. Gerade in den Aussenbezirken ist das eine zentrale Frage. Die Wohnungen kann man teilweise nicht mehr vermieten, weil das schnelle Internet fehlt. Das ist heute ein Killerargument.
Markus Roth: Das ist ein wichtiges Thema, dass alle Ortsteile soweit möglich und finanzierbar berücksichtigt werden.

Apropos Investition und Zukunft: Soll Madiswil auch zur Energiestadt werden?
Markus Roth: Wenn damit die Alternativenergien gefördert und die Abhängigkeit von fossilen Energien reduziert werden kann, bin ich sicher interessiert.
Ueli Werren: In Sachen Energie ist ein Schritt in die Zukunft wünschenswert. Hier könnte man mehr forcieren – ob es dann ein Label wie Energiestadt braucht, lasse ich offen. Madiswil könnte längerfristig eigenen Strom produzieren und dank neuer Speichertechnologien oder Wasserstoffanlagen autark sein. Das ist Zukunft!
Markus Roth: Warum kann die Gemeinde zum Beispiel nicht auf den gemeindeeigenen Liegenschaften einen ersten Schritt mit Photovoltaik-Anlagen machen? Die Gemeinde hat doch einige Gebäude mit geeigneten Dächern.

Hattet ihr auch Zweifel an der eigenen Kandidatur oder Gründe, die euch zögern liessen?
Ueli Werren: Ich habe grossen Respekt vor dieser Aufgabe, auch weil Vreni Flückiger das gut gemacht hat. Sie war sehr präsent in diesen acht vergangenen Jahren. Und es bedeutet zeitlich ein hohes Pensum. Doch das lässt sich bewältigen, ich habe das mit meiner Frau abgesprochen und in der Schule kann ich das Pensum reduzieren.
Markus Roth: Ich befinde mich in der glücklichen Lage, dass ich mit 62 frühzeitig in Rente bin und für das Amt genügend Zeit habe. Ich stehe bereit. Was ich aber eigentlich nicht wollte ist eine Kampfwahl. Bisher hielt die SVP das Gemeindepräsidium besetzt und ich ging davon aus, dass die Entscheidung parteiintern gefällt wird. Eine SVP-interne Kampfwahl habe ich ausgeschlossen. Die Konstellation mit Ueli Werren als Gegenkandidat liess mich ehrlich gesagt kurz zweifeln. Doch weil es nicht sein kann, dass die SVP als ortsgrösste Partei keinen Kandidaten stellt, hielt ich der Partei die Treue und liess mich auf diese Wahl ein. Aber ich habe Mühe mit dem Begriff Kampfwahl. Ich möchte nicht in einen Kampf mit Ueli Werren. Wir zwei stellen uns zur Verfügung und die Wählenden sollen entscheiden. Ich bin nicht bereit, in die Arena zu steigen, um einander schlecht zu machen. Das brauchen wir hier nicht.

Von Patrick Bachmann