Eine kleine Bank feiert ein grosses Jubiläum
Die Ersparniskasse Affoltern hat Geburtstag und das heuer zum 150. Mal. Trotz Fusionsanfragen und Übernahmeangeboten hat sich die Bank immer wieder für den Alleingang entschieden und dies bis heute nie bereut. Dank umsichtiger Führung und vorsichtiger Geschäftspolitik konnten wirtschaftliche Hochs und Tiefs, Kriege, Inflationen und Rezessionen überstanden werden. Eine Erfolgsgeschichte, die am 9. März 1873 begann und bis heute andauert.
Affoltern · Die Geschichte der Ersparniskasse Affoltern (EKA) begann vor 150 Jahren am 9. März 1873 mit der Gründungsversammlung im Gasthof Löwen in Affoltern. Dies noch vor der Erfindung des Telefons (Alexander Graham Bell 1876), der Elektrobeleuchtung (Thomas A. Edison 1880) und der Gründung der Nationalbank (1907). Die Entstehung der EKA kann dem damaligen Volksverein verdankt werden. Unter dessen Präsidenten Friedrich Rudolf Stucker zu Kirchbühl, Landwirt und Lehrer, wurde am 17. November 1872 die Frage über die Gründung einer daherigen Kasse im Schosse des Volksvereins besprochen. Das Projekt fand Anklang und eine eingesetzte Kommission veranstaltete eine Aktienzeichnung zur Beschaffung der nötigen Geldmittel.
An der Gründungsversammlung waren 35 Aktionäre persönlich anwesend und es wurde ein Aktienkapital von 11 000 Franken gezeichnet. Das erste Aktienbuch der EKA verzeichnete 65 Aktionäre (im Vergleich, heute sind es 1350). Welche Gründe und Motive hinter der Gründung der Ersparniskasse steckten, seien dem Gründungsprotokoll jedoch nicht zu entnehmen, schrieb der Historiker Jürg Rettenmund in einer Chronik, in welcher er die Gründungsära der Ersparniskasse Affoltern niederschrieb. Wahrscheinlich handelte es sich um eine politische Organisation. Ein weiterer Grund, so vermutete Rettenmund, könnte der Bau der Eisenbahn gewesen sein, der ab 1850 den Kreditmarkt in der Schweiz einer nachhaltigen Veränderung unterwarf.
Sparen und Ausleihen
Unter einer Ersparniskasse verstand man damals eine Anstalt, in welcher auch die kleinsten Summen sicher angelegt, unter gewissen Bedingungen zinsbar gemacht und nach einer Übereinkunft mit Zuschlag des Zinses wieder zurückgezogen werden konnten. Der Zweck der Ersparniskassen war neben der Sicherheit der Anlage die Sammlung eines Kapitals für den Einzelnen, den Kleinen und Geringen. Die Hauptsorge der Verwaltungen war, dem Einleger für seine Einlage eine möglichst grosse Sicherheit zu geben, vielleicht auch durch formelle Schwierigkeit den Aufbrauch des Kapitals zu verhindern. Vielen Kassen diente aber nicht nur das Sparen als Hauptzweck, ihr Schwerpunkt lag ebenfalls in der Befriedigung des Bedürfnisses der Geldsuchenden und sie bedienten sich der Ersparnisse der Kleinen. So nannten sie sich nicht nur Spar-, sondern auch Leihkassen.
Die Ersparniskasse Affoltern gehörte trotz ihres Namens von Anfang an zu den Spar- und Leihkassen. Das geht auch aus dem doppelten Zweckartikel in den Statuten der EKA hervor: Sie soll «die Ersparnisse und andere Gelder zur Beförderung von Fleiss und Sparsamkeit auf Zins annehmen und durch Gewährung von Barvorschüssen den Verkehr des Gewerbestandes erleichtern sowie Handel und Landwirtschaft nach Möglichkeit unterstützen». Affoltern zählte bereits damals rund 1060 Einwohnerinnen und Einwohner und somit etwa annähernd gleich viele wie heute.
Ein einfacher Verwaltungsapparat
Drei der insgesamt fünf Grossaktionäre, der Löwenwirt Samuel Grossenbacher, Gottfried Jegerlehner und Jakob Kneubühler werden anschliessend an die Gründungsversammlung in den Verwaltungsrat gewählt und Samuel Grossenbacher als dessen Präsident eingesetzt. Während Grossenbacher bereits nach zwei Jahren wieder aus der Liste der Funktionäre ausscheidet, wird Gottfried Jegerlehner zur prägenden Gestalt der jungen Kasse und übernimmt 1875 das Präsidium des Verwaltungsrates. Friedrich Rudolf Stucker zu Kirchbühl, der eigentliche Vater der Kasse, wird zum ersten Präsidenten der Aktionärsversammlung gewählt. Die Ersparniskasse Affoltern kam mit einem einfachen Verwaltungsapparat aus. Den eigentlichen Bankverkehr besorgten der Kassier und der Buchhalter. In den Statuten war die Möglichkeit vorgesehen, die Ämter von Kassier und Buchhalter in einer Person zu vereinigen. Davon wurde auch gleich nach der Gründung Gebrauch gemacht. Zum ersten Kassier und Buchhalter wurde Gemeindeschreiber Johannes Flückiger gewählt, der die Bank im Nebenamt zuhause im Schweikhof 4 in Weier führte. Sein Lohn stieg mit der Zunahme des Geschäftsverkehrs von 100 Franken im ersten Jahr auf 800 Franken im Jahr 1879 (für einen Franken konnte man im Gründungsjahr zwölf Kilogramm Kartoffeln kaufen, heute erhält man dafür noch knapp ein Kilogramm, wenn überhaupt). Als Johannes Flückiger als Kassier demissionierte, übernahm Gottlieb Schürch ab 1881 dieses Amt und die Kasse zog an die Dorfstrasse 51 in Häusernmoos um. Ein Jahr darauf legte Johannes Flückiger auch das Amt des Buchhalters nieder. Gottlieb Schürch wechselte in diese Charge und Gottfried Jegerlehner betreute fortan die Kasse.
Das schwarze Kapitel der EKA
Unangenehmes hatte der Präsident der Generalversammlung, Gottfried Glanzmann, den Mitgliedern des Verwaltungsrates am Stephanstag des Jahres 1907 mitzuteilen. Auslöser der Krisensitzung war der Tod des langjährigen Buchhalters der Ersparniskasse am 1. November zuvor. Der Verwaltungsrat musste rasch handeln und wählte als provisorischen Buchhalter Hektor Grossenbacher (der Ältere), Gemeindeschreiber im Lehn. Gleichzeitig sollte ein Ausschuss die Bücher und Zinsschriften untersuchen. Das Ergebnis ihrer Untersuchung war niederschmetternd: Der Buchhalter hatte sich Veruntreuungen zuschulden kommen lassen. Er hatte von einem Darlehen von 1200 Franken, das ihm die Ersparniskasse im Jahr 1884 gegen ein Faustpfand von 1500 Franken gewährt hatte, keinen Zins entrichtet. Weiter hatte er 1893 ein Kapital von 3500 Franken, das die Ersparniskasse im April 1892 bei der Hypothekarkasse Bern angelegt hatte, wieder abgehoben und für sich verwendet. Der für die Bank entstandene Schaden wurde schlussendlich durch die Auflösung von Reserven und einem Beitrag der Erben behoben.
Mit dem Wechsel des Kassenverwalters Hektor Grossenbacher, der Ältere, zog auch die EKA wieder um und hatte ihren Sitz fortan an der Affolternstrasse 23 in Weier. Im Jahr 1936 übernimmt Hektor Grossenbacher, der Jüngere, die Verwaltung der Affolterer Ersparniskasse und somit wechselte deren Standort an die Affolternstrasse 16 in Weier. 1972 bezieht die Kasse, nunmehr Bank, ihr eigenes Bankgebäude an der Affolternstrasse 14 in Weier, wo sie auch heute noch zu finden ist. Zwei Jahre später wurde die Bank erstmals vollamtlich durch den Verwalter Thomas Rychen geführt. 1988 wurde eine Zweigstelle in Schmidigen eröffnet und 2008 wurde Christoph Müller Bankleiter (bis heute). Im Jahr 2015 folgten Zweigstellen in Dürrenroth und Walterswil.
Einsatz für die Region
Schon in den Ausgangsjahren setzte sich die EKA für die regionale Entwicklung ein. So bewilligte der Verwaltungsrat 1889 beispielsweise einen Kredit an die Einwohnergemeinde zur Finanzierung der Kosten für die Grenzbereinigung mit Rüegsau. 1904 beteiligte sich die Bank an der Ramsei-Sumiswald-Huttwil-Bahn mit 88 000 Franken. Die Strecke wurde am 31. Mai 1908 eröffnet und rund 100 Jahre später wieder eingestellt. Ein Jahr nach der Eisenbahn, 1909, kam die Elektrizität in die Region und somit auch nach Affoltern. Im Jahr 1914 tritt die Ersparniskasse dem Revisionsverband bernischer Banken und Sparkassen bei. Im selben Jahr beschliesst die Generalversammlung die erste Aktienkapitalerhöhung auf neu 21 700 Franken (Bilanzsumme: 1 294 270). Mit den Jahren folgten fünf weitere Aktienkapitalerhöhungen. Das heutige Niveau beträgt 1 100 000 Franken (Bilanzsumme: 52 384 947).
Dass die EKA als kleine Bank so erfolgreich ist, hat wahrscheinlich viel mit der persönlichen Ebene zu tun. Zumindest sieht das Bankleiter Christoph Müller so: «Schwierige private Situationen können meist in einem persönlichen Gespräch erörtert und danach gemeinsam Lösungen gesucht werden, was beispielsweise bei einer Online-Bank nicht oder kaum möglich ist. Zudem sind wir regional verankert und uns ist das gesellschaftliche Leben im Dorf wichtig.» Durch diese Stärken kann die Ersparniskasse Affoltern heuer ihr beachtliches Jubiläum nach 150 Jahren feiern. Und das nicht nur mit den Mitarbeitenden oder Aktionärinnen und Aktionären, sondern auch mit ihren Kundinnen und Kunden und veranstaltet durchs Jahr hindurch verschiedene Feierabendbier-Anlässe und eine Jubiläumsfeier am 25. August. Zudem gewährt sie vier Prozent Jubiläumsdividende und plant verschiedene Vergabungen an wohltätige Organisationen sowie an die Schule und Vereine in der Gemeinde Affoltern. Sie erfüllt Herzenswünsche für die Kleinsten, für sie steht am Schalter auch ein Zwirbelrad bereit. Darüber hinaus werden sich im Jubiläumsjahr die Mitarbeitenden wie auch die Mitglieder des Verwaltungsrates bei einen sozialen Tag engagieren. Wahlweise werden sie im Altersheim in Sumiswald tatkräftig mit anpacken oder sich bei der Bekämpfung von Neophyten einbringen.
Von Marion Heiniger