Eine kräftige «Ohrfeige» für den Gemeinderat
Der Langenthaler Stadtrat hat den Gemeinderat im wahrsten Sinne des Wortes «abgewatscht». Der bürgerliche Block sorgte für einen unerwarteten Eklat, indem er das vom Gemeinderat vorgeschlagene Vorgehen zur Entwicklung des Areals «Alte Mühle» («wirtschaftliche Entwicklungsstrategie») ablehnte und damit mögliche Entwicklungsschritte auf dem Areal zum Stillstand brachte. Begründet haben die Bürgerlichen ihre Haltung mit dem Hinweis auf zu viele anstehende Grossprojekte in der Stadt, die prioritär zu behandeln seien, während beim Areal der «Alten Mühle» zu einem späteren Zeitpunkt ein totaler Neuanfang sinnvoller sei.
Ein Stadtpräsident, der konsterniert ist und nach Worten ringt, und ein linkes Lager, das sich entsetzt zeigt über das Vorgehen des bürgerlichen Lagers – wahrlich, die letzte Stadtratsitzung hatte es in sich. In der Tat: So etwas hat es wohl noch nie gegeben. Aber schön der Reihe nach. Einmal mehr stand auf der Traktandenliste des Langenthaler Stadtrates das Thema «Entwicklung Areal Alte Mühle» – eine «Never-ending Story», die den Stadtrat in regelmässigen Abständen beschäftigt und immer wieder zu hitzigen Diskussionen führt. Diese war auch für die bevorstehende Sitzung zu befürchten, wie Stadtratspräsidentin Béatrice Lüthi zu Beginn ausführte und angesichts dieses Geschäfts sowie weiterer schwergewichtiger Traktanden eine Sitzungspause ankündigte.
Stadt wollte Investoren anlocken
Was befürchtet wurde, trat dann auch ein – allerdings mit einem Ergebnis, das niemand erwartet hätte, und in Teilen des Rates, vor allem aber beim Gemeinderat, für Konsternation sorgte. Stadtpräsident Reto Müller stellte das vom Gemeinderat erarbeitete weitere Vorgehen bei der Entwicklung des Areals «Alte Mühle» vor. Er wies darauf hin, dass die bis zum heutigen Zeitpunkt erarbeiteten Grundlagendokumente eine gute Basis für das weitere Vorgehen bilden würden. «Es fehlt jedoch generell die wirtschaftliche Betrachtung der möglichen Nutzungskonzepte sowie eine Entwicklungsstrategie für das Gesamtareal», betonte er. Der Gemeinderat habe sich entschieden, das Areal nicht selber weiterzuentwickeln. Vielmehr wolle man dafür Investoren gewinnen. Offen sei zum jetzigen Zeitpunkt, ob das Areal im Baurecht zur Verfügung gestellt oder verkauft werde.
Es sei daher vorgesehen, in einem nächsten Schritt die erforderlichen Entscheidgrundlagen zu komplettieren. Zudem sei eine wirtschaftlich tragbare Entwicklungsstrategie in verschiedenen Szenarien zu erarbeiten. Danach soll ein Investorendossier zusammengestellt werden, welches die favorisierte Entwicklungsstrategie sowie eine Wirtschaftlichkeitsberechnung und eine Investorenbilanz für das Areal beinhalten wird. Für dieses Vorgehen soll eine Areal- und Immobilienentwicklerfirma zugezogen werden.
SVP lässt «Bombe» platzen
Zwei Firmen haben sich um das Mandat bemüht, wovon eine später wieder ausstieg. Übrig blieb die Vistonia AG in Bern. Der Gemeinderat beantragte deshalb dem Stadtrat einen Investitionskredit in der Höhe von 250 000 Franken. Es sei wahrlich ein grosses Projekt, wies Reto Müller noch einmal auf die Bedeutung des Areals hin. «Die ‹Alte Mühle› weckt Begehrlichkeiten und verleitet zum Träumen. Es ist wegweisend, welchen Weg wir hier einschlagen», sagte er abschliessend.
Die Richtung gab danach der bürgerliche Block im Stadtrat unmissverständlich vor, zur Überraschung aller Anwesenden. Stadtrat Stefan Grossenbacher liess im Namen der SVP-Fraktion die «Bombe» platzen. Er mahnte den Stadtrat und den Gemeinderat, in der aktuellen Situation die finanziellen und personellen Kräfte zu bündeln und das Geld nicht mit dem «Giesskannen-Prinzip» zu verteilen. «Wir dürfen uns nicht verzetteln, zu viele Projekte stehen in der Pipeline, diese gilt es zu priorisieren», betonte er und machte klar, wo die SVP die Schwerpunkte setzen will. «Diese Stadt benötigt jetzt erst einmal ein Eisstadion, dieses muss oberste Priorität haben. Würde uns das Areal der Alten Mühle so sehr am Herzen liegen, wäre hier schon lange etwas geschehen. Es ist deshalb kein Unglück, wenn dieses Projekt noch einige Jahre in der Warteschlaufe bleibt. Deshalb sagen wir nein zur vom Gemeinderat vorgeschlagenen Entwicklungsstrategie des Areals Alte Mühle.»
Zu viele Projekte, kein Geld und Personal
Unterstützung erhielt Grossenbacher anschliessend von der FDP-/jll-Fraktion. Stadträtin Stefanie Barben (FDP) kritisierte, dass selbst eine weitere Studie dem Gemeinderat den Entscheid, was genau auf diesem Areal in Zukunft passieren soll, nicht abnehmen könne. «Bei diesem Vorgehen ist die Gefahr gross, dass weitere Zeit verloren geht, ohne dass ein befriedigendes Resultat herausschaut. Das haben wir bei der ‹Alten Mühle› schon oft durchgespielt und übrigens auch bei anderen Projekten», kritisierte sie.
Auch Stadtrat Dyami Häfliger (EVP) von der EVP-/glp-Fraktion bemängelte, dass das vom Gemeinderat vorgeschlagene Vorgehen zu teuer und nicht zielführend sei. «Vielleicht sollte man das ganze Projekt vorerst ruhen lassen und dann mit komplett neuen Leuten und mit neuen Kräften wieder angehen.»
Pascal Dietrich (parteilos) listete die anstehenden Projekte in der Stadt auf, erwähnte das Grossprojekt Umbau Bahnhof und die 14 Strassenabschnitte in der Stadt, die bis 2027 saniert sein müssen, um Bundesgelder dafür zu erhalten. Für beide Vorhaben habe er vollstes Verständnis, auch den Bau einer neuen Eissport-Arena befürworte er. «Und denken Sie daran, seit der letzten Sanierung unserer Badi sind bereits wieder 30 Jahre vergangen, hier besteht ebenfalls dringender Handlungsbedarf», gab er den Anwesenden zu verstehen. Deshalb sei es jetzt an der Zeit, einmal stopp zu sagen. «Wir können nicht alles auf einmal realisieren, die Alte Mühle kann getrost noch weitere fünf Jahre warten.»
Entsetzen auf linker Seite
Auf der linken Seite des Stadtrates herrschte blankes Entsetzen. Stadtrat Paul Bayard (SP) sagte: «Ich glaube, ich höre nicht recht oder träume ich vielleicht sogar. Jetzt hat sich der Gemeinderat entschieden, Bewegung in das Projekt ‹Alte Mühle› zu bringen und offeriert uns eine Chance, hier einen entscheidenden Schritt vorwärts zu machen und nun wollen die Bürgerlichen nichts mehr machen. Das verstehe ich überhaupt nicht.» Auch Stadtrat Georg Cap (Grüne) zeigte sein Unverständnis für die Haltung der Bürgerlichen. «Ich kann nicht verstehen, dass man hier nichts machen will und stattdessen lieber das gesamte Areal weitere zehn Jahre leer und ungenutzt stehen lässt.»
Auch Stadtpräsident Reto Müller war sichtlich konsterniert und rang nach Worten. «Ich bin froh, dass der gesamte Gemeinderat heute anwesend ist und dazu die Projektleitung, denn ich wüsste nicht, wie ich diesen Gremien am anderen Morgen erklären sollte, was sich hier abgespielt hat. Müller erinnerte daran, dass man sich schon lange mit diesem Geschäft herumschlage und alle bisherigen Bemühungen gescheitert seien, auch unter seinem Vorgänger. Müller teilte aber auch aus, gab dem Stadtrat zu verstehen, wenn der Gemeinderat mit dem Areal ähnlich destruktiv umgehen würde wie der bürgerliche Stadtrats-Block, dann würde das Areal tatsächlich komplett brach liegen. Zudem erinnerte er daran, dass es noch gar nicht lange her sei, als der Stadtrat mächtig Druck auf den Gemeinderat ausgeübt und explizit gefordert habe, beim Areal der «Alten Mühle» endlich etwas zu unternehmen. «Und nun tönt alles ganz anders, aber wir werden uns selbstverständlich anpassen», erwähnte er. Es störe ihn jedoch, dass man immer davon spreche, dass der vorgeschlagene Weg nicht zielführend sei, «aber aus diesen Reihen hier habe ich noch keinen konkreten Vorschlag gehört, was auf dem Areal tatsächlich geschehen soll.»
Es half alles nichts, der Stadtrat lehnte den Vorschlag des Gemeinderates zur weiteren Entwicklung des Areals «Alte Mühle» klar ab, mit 24 Nein-Stimmen gegen 12 Ja-Stimmen, bei einer Enthaltung. Gleichzeitig wurden auch ein Postulat sowie zwei Motionen zu diesem Thema abgeschrieben. Damit machte der Stadtrat bei der «Alte Mühle» reinen Tisch und setzte alles wieder auf null.
Geld für Ferienheim und ToKJO
Einig war sich dafür der Stadtrat, die Stiftung Ferienheim Oberwald auch die nächsten vier Jahre finanziell zu unterstützen. Dafür sprach er einen jährlichen Beitrag von 46 000 Franken. Dieser fällt aufgrund der angespannten finanziellen Lage der Stadt Langenthal um 4500 Franken pro Jahr kleiner aus als bisher. Fortgesetzt wird auch die Zusammenarbeit mit dem Trägerverein offene Kinder- und Jugendarbeit (ToKJO). Dafür sprach der Stadtrat sogar mehr Geld, nämlich 3.15 Franken (total neu 33.15 Franken) pro Kind/Jugendlichen sowie weitere 2 Franken pro Kind/Jugendlichen für den Jugendtreff. Gesamthaft entrichtet die Stadt Langenthal jährlich 109 000 Franken an ToKJO. Ja sagte der Stadtrat auch zur Jahresrechnung 2021, die ein Defizit von 2,453 Millionen Franken aufweist (der «Unter-Emmentaler» berichtete).
Von Walter Ryser