Eine lebendige Landkarte für das Luthertal entsteht
Eine riesige Erlebnis-Landkarte will dazu einladen, das Luthertal zu entdecken und dessen Schönheiten zu erleben – zu jeder Jahreszeit. Die Karte selbst ist ein einzigartiges Kunstwerk. In enger Zusammenarbeit mit dem Luthertaler Chronisten und Fotografen Pi Häfliger hat sie der Auswiler Kunstmaler und Zeichner Menel Rachdi geschaffen. Im Moment erhält das Werk, das im Herbst mit einer Vernissage präsentiert werden soll, viele leuchtende Pinselstriche.
Auswil · Mancher Liter Wasser ist durch das Luthertal hinuntergeflossen, seit der Verein «natürlich LUTHERTAL» mit Pi Häfliger im Jahre 2015 das Projekt Erlebniskarte initiiert und dazu Menel Rachdi als Illustrator angefragt hat. Entstanden ist daraus ein zeichnerisches Kulturprotokoll, ein geografisches Zeitzeugnis, ein geschichtliches Vermächtnis. Das Werk lässt durch alle vier Jahreszeiten hindurch in die periphere Wunderwelt der 37 Quadratkilometer grossen Gemeinde Luthern blicken, die kaum jemand vollständig mit eigenen Augen sehen kann. Die illustrierte Karte des Luthertals soll dazu einladen, die weitläufige Gemeinde im Luzerner Hinterland neu zu entdecken und mehr zur Lokalkultur zu erfahren. Dabei könnte es leicht geschehen, dass selbst Eingesessene auf dieser Karte plötzlich noch etwas Neues entdecken.
Ein Heli-Flug am Anfang
Mit einem ausgiebigen Helikopterflug über die Talschaft Luthern im Mai 2016 nahm die Idee für Pi Häfliger und Menel Rachdi konkrete Formen an. An dieses Erlebnis erinnern sich die beiden sichtlich gerne. Viel Zeit, den Heliflug zu geniessen, hatten sie allerdings nicht: Das hügelige Napfbergland in Luftaufnahmen festzuhalten, brachte Pi Häfliger und Menel Rachdi freudig ins Rotieren. Diese Luftbilder von Eggen und Gräben des Luthertales unterstützten die Erinnerung des Malers. Skizzen und Bilder im Gelände sowie Ansichten von Google-Maps dienten als weitere Quellen, um die Formen und Proportionen der Gebäude abschätzen zu können und auch abgelegene Gehöfte erkenntlich auf Papier zu bringen.
Zuerst mit Filzstift und Feder auf Format A4, welches später verkleinert auf den Kartenraster übertragen wurde. Planquadrate der Landestopografie bildeten die Basis des Ganzen. Als Grundstruktur dienten Strassen, Wege, Waldumrisse und Bäche. Alles weitere konnte nicht proportional übernommen werden: Die Häuser sind einzeln gezeichnet, ebenso Waldtiere, Kühe, Traktoren, Wanderer, Postautos und andere bewegliche Dinge, welche das Luthertal bevölkern. Laufend wurde die Karte mit den Hof- und Flurnamen beschriftet. Grosszügig zeichnete Menel Rachdi selbst entlegenste Höfe, um auch diese verkleinert in den Kartenraster einzufügen.
Auf dem Kopf oder nicht
Zu einer Knacknuss wurde die südliche Blickrichtung der Karte mit dem Napf im Hintergrund. Denn die kartografischen Grundlagen mussten eingehalten werden. Anderseits – wer hätte es dem Betrachter schon zumuten wollen, Zeichnungen und Schriften auf dem Kopf zu lesen und zu betrachten …? Nur gut, hatten die Macher im Vorfeld nebst dem Projekt auch das Vorgehen definiert und mehrmals durchgetestet.
Dabei wurde zeitweise Erstaunliches bewusst: So fiel Menel Rachdi während dem Zeichnen auf, dass die Linienführung der Kantonsgrenze vom Napf bis zum Höchänzi, die zugleich der Grenze von Luthern zu Trub entspricht, kartographisch von oben gesehen praktisch identisch ist mit deren Silhouetten-Linie am Horizont.
Der ganze Zeichen-Marathon verlangte viel Geduld und Ausdauer, sowohl vom Zeichner selbst als auch vom Projektbetreuer Pi Häfliger und den Auftraggebern. Ihnen allen ist es ein grosses Anliegen, dass das Werk der Geschichte, der Kultur, den Menschen, die das Tal beleben, der Topografie und nicht zuletzt auch der Nachbarschaft von Luthern gerecht wird.
Ein Puzzle
Nach und nach entstanden rund einhundert 20x20 cm grosse, minutiös von Hand illustrierte Kilometer-Quadranten. Für ihre anschliessende Kolorierung wurden sie von Pi Häfliger eingescannt, ausgefleckt und durch Dominik Pfister im Grafikatelier «unkonventionell» zu einem fertigen Puzzle digital zusammengefügt. Auch diese immense Arbeit hat viel Zeit und ungezählte Stunden in Anspruch genommen.
In seiner Originalgrösse wäre das von Details wimmelnde Werk über zweieinhalb Meter hoch geworden. Einmal zusammengefügt, entstanden verschiedene schwarz-weisse grosse Testdrucke, bevor Menel Rachdi nun im Luftschloss an seiner riesigen Tischplatte steht und in weissen Handschuhen mit Aquarellfarbe an der Kolorierung arbeitet.
«Handgelenk mal Pi»
Klar, dass er sich auch dabei einiges einfallen lassen musste, um die nasse Farbe nicht mit Händen oder Ärmeln zu touchieren. Lange Stäbe mit einem Stoffball am Ende helfen ihm, dass er das Handgelenk über der Arbeitsfläche abstützen kann.
Die illustrierte Landkarte des Luthertals hat zweifellos einen Wert, der nicht einfach mit einem Preisschild genannt werden kann. «Der Arbeitsaufwand, aber auch der Wert des Kunstwerks wurden bei der Auftragserteilung völlig unterschätzt», blickt Pi Häfliger im Gespräch mit dem «UE» zurück. Aber vielleicht liege genau in dieser unbekannten Grösse das Glück, das die Entstehung eines solchen Kunstwerks erst möglich gemacht habe, meinen die beiden Macher einhellig.
Niemand wird je wissen, wieviel Zeit in die Erlebniskarte gesteckt worden ist. «Bei 2000 Stunden habe ich aufgehört zu zählen», sagt Menel Rachdi gegenüber dem «UE». Dies sei schon eine ganze Weile her, sprich viele Monate. Dazu kommt das Engagement von Pi Häfliger. Auch dieses lässt sich niemals in Stunden rechnen. Es wäre vermessen, die investierten Stunden «Handgelenk mal Pi» zu schätzen – lassen wir es mit dem kreativen, konstruktiven und leidenschaftlichen Zusammenschaffen von Handgelenk (Menel Rachdi) und Pi (Häfliger) bewenden …
Hinter dem Kunstwerk steht das Versprechen des Künstlers, den Auftrag zur Zufriedenheit oder vielmehr zur Begeisterung der Auftraggeber auszuführen, verbunden mit Freude und Leidenschaft für das Luthertal und das Napfgebiet. So enthält die Karte auch ein Gedicht, das Menel Rachdi dieser Talschaft widmet. Durch Einheimische wurde es nun sogar in den Luthertaler Dialekt übersetzt.
Seit Jahren erforscht Menel Rachdi mit Staffelei, Stiften und Pinsel das Luthertal. Diverse Projekte, Künstlersymposien und Ausstellungen im Napfgebiet trugen ihm die Bezeichnung «Napfologe» ein. Ihm und seinen Künstlerkollegen begegnete man schon vor vielen Jahren im Luthertal bei Tag und Nacht, bei Wind und Wetter. Zuweilen installierten sie ihre Staffeleien bei entlegensten Höfen, in einem Kuhstall, bei einer Sägerei und auf dem Dorfplatz – oder sie malten die Menschen am Wirtshaustisch. Und stets engagierte sich Pi Häfliger bei diesen Projekten als Kultur(Pro)motor. Längst gehört der Anblick von Kunstschaffenden bei der Arbeit zum Bild der Talschaft Luthern.
Menel Rachdi – Der Künstler
Menel Rachdi wurde 1962 in Zürich geboren. Nach dem Schulbesuch in Wallisellen und Winterthur folgten Schulen für Gestaltung in Zürich und Bern und später Studienreisen durch Europa, Nordafrika, Lateinamerika und in 80 Tagen um den Napf. Mal-Aufenthalte, Symposien und Ausstellungen in der Schweiz und ausserhalb sowie sein Wirken als Initiant und Partner diverser geglückter Kulturprojekte mit Abbruchhäusern, Passagierschiff, Eisenbahnzug und «Retourkutschen» vermittelten Menel auch über die Landesgrenzen hinaus einen Namen. Zu seinen Tätigkeiten gehörten ausserdem Verwandlungen von Schulhäusern und Umgebungen in Partizipationsprojekten sowie unter anderem die Entwicklung und Realisation von optisch aktiven «AsphaltKinos» auf Radwegen. Menel arbeitet genauso gerne auf Papier, Leinwand und Holz wie auf Asphalt, Planken und Mauerwerk. Gemeinsam mit seiner Frau Regula, welche unter anderem Musik und Papier schöpft, ist er im Lebensraum «Luftschloss» in Auswil zuhause. Das Ehepaar freut sich an der Entwicklung der vier Töchter und deren Familien. Menels Erfahrung: «Es sind das Licht und die Farben, die ich suche. Die Farben entstehen durch das Licht, sagt man. Umgekehrt entsteht auch viel Licht durch Farben.»
«natürlich LUTHERTAL» – Der Verein
Kleine Berg- und Talgemeinden leiden unter einer geringen und abnehmenden Bevölkerungszahl. Die Erreichbarkeit ist aufgrund der Randlage und trotz einzelner Postautoverbindungen vielmals ungenügend. Mit dieser Ausgangslage war auch die Gemeinde Luthern konfrontiert. Aus diesem Grund beschlossen der Gemeinderat Luthern mit privaten Kreisen und der Region Luzern West 2008, das «Pilotprojekt Gemeindeentwicklung am Beispiel der Gemeinde Luthern» im Rahmen der Neuen Regionalpolitik (NRP) zu lancieren. 2014 wurde das erfolgreiche Projekt in den Verein «Natürlich LUTHERTAL» überführt. Ende 2017 entschied der Verein, gemeinsam mit der Gemeinde die Marke «natürlich LUTHERTAL» professionell zu vermarkten. Die Gemeinde hat dazu eine Funktion in Personalunion mit dem Verein geschaffen, um die professionelle Markenführung, die Unterstützung des lokalen Gewerbes sowie die touristische Vermarktung im Sinne des Vereins sicherzustellen. Ende 2019 wurde der Verein mit einem neu zusammengesetzten Vorstand verstärkt, der die strategische Ausrichtung der Marke überwacht. Der Verein arbeitet eng mit anderen Organisationen im Luthertal und in der Region zusammen. Die Koordination der vielen engagierten Organisationen liegt dabei im Fokus der Tätigkeit.
Infos: www.natuerlich-luthertal.ch
Von Liselotte Jost-Zürcher