Eine Portion Superpower für WVO-Mitglieder
Der erste Anlass des Wirtschaftsverbandes Oberaargau im Jahr 2022 hatte es in sich: Die rund 90 Teilnehmer erhielten von Referentin Anitra Eggler Superpower geschenkt. Die Bestsellerautorin gab den WVO-Mitgliedern in einem Crashkurs eine Anleitung, wie sie sich vor der digitalen Dauerablenkung schützen können.
Langenthal · «Endlich können wir uns wieder treffen», freute sich Béatrice Lüthi, Präsidentin des Wirtschaftsverbandes Oberaargau, über die zahlreich aufmarschierten Mitglieder, die sich in der Alten Mühle in Langenthal zum Frühlingsanlass einfanden. Die Corona-Pandemie sei aber keineswegs ausgestanden, betonte Lüthi und verwies auf die Anmeldeliste, die 105 Personen umfasste, von denen aber lediglich 90 erschienen. «Das Virus schlägt in diesen Tagen erneut kräftig zu», begründete Lüthi die vielen kurzfristigen Absagen, zu denen auch Regierungsratskandidatin Astrid Bärtschi (Die Mitte) zählte, die sich den WVO-Mitgliedern gerne vorgestellt hätte.
Nächste Krise hat uns bereits erfasst
Kaum sei eine Krise knapp ausgestanden, «hat uns die nächste bereits erfasst und wird uns vermutlich noch über Jahre hinweg beschäftigen», sagte die WVO-Präsidentin mit Vermerk auf den Ukraine-Krieg. Niemand wisse heute, wohin sich die Energie- und Lebensmittelpreise entwickeln würden. «Mit dieser Unsicherheit müssen wir momentan leben und versuchen, eine gewisse Normalität herzustellen», sagte Lüthi. Weitgehend Normalität herrscht mittlerweile auch wieder in den Alterszentren, wie Hansjörg Lüthi, Geschäftsführer der Haslibrunnen AG in Langenthal, bestätigte. Den Anwesenden stellte er das Angebot sowie den Neubau des Alterszentrums vor (der «Unter-Emmentaler» berichtete bereits mehrfach darüber).
Danach ging es mit viel Power weiter. Verantwortlich dafür war Referentin Anitra Eggler. Die 49-jährige Deutsche mit Schweizer Wurzeln arbeitet seit über 25 Jahren an der Digitalisierungsfront und bezeichnet sich deshalb als Web-Veteranin und mittlerweile auch als Digital-Detox-Pionierin. Zudem ist sie zweifache Bestsellerautorin. Die Referentin versprach gleich zu Beginn, dass sie allen Teilnehmern Zeit schenken möchte, Zeit, die sie künftig sinnvoller und erfüllender nutzen könnten. Dazu wollte sie als erstes von den WVO-Mitgliedern wissen, wer heute bereits geküsst habe. «Da hat es doch einige unter euch», zeigte sie sich erstaunt über die stattliche Anzahl Hände, die in die Höhe schnellten. Als sie dann aber fragte, wer heute schon eine E-Mail gelöscht habe, war sie nicht mehr erstaunt, denn praktisch sämtliche Hände im Saal wurden hochgestreckt. «Ihr müsst unbedingt an eurer Kussbilanz arbeiten», kommentierte sie lachen das Ergebnis.
62 Prozent unserer Wachzeit verbringen wir vor einem Bildschirm
Anitra Eggler zeigte sich besorgt über die Auswirkungen der Corona-Pandemie. «Die Bildschirmzeit ging während dieser Krise exorbitant nach oben», stellte sie fest. Ihre 86-jährige Mutter realisiere innerhalb von zwei Minuten, wenn ihr Handy keinen Strom mehr habe, «wenn jedoch ihre Kreditkarte gesperrt würde, dann würde sie das längere Zeit gar nicht merken», fügte sie hinzu und fragte in den Saal hinein: «Weshalb stellt kaum noch jemand sein Handy für längere Zeit komplett ab?» Sie rüttelte die Teilnehmer des WVO-Frühlingsanlass auf und gab ihnen zu verstehen, dass der Mensch heute durchschnittlich 62 Prozent seiner Wachzeit vor einem Bildschirm verbringt.
Eggler hielt den Zuhörern schonungslos den Spiegel vor: «Wer entscheidet, was Sie als Nächstes tun: Ihr Handy? Eine neue Mail? Ihre eigene Agenda? Millennials switchen alle zwei Minuten ihren Aufmerksamkeitsfokus. Ernstzunehmende Eltern schenken ihrem Handy mehr Aufmerksamkeit als ihren Kindern. Digitale Dauerablenkung stresst; sie verhindert Ergebnisse, zermürbt die Gesundheit und belastet Beziehungen. Wenn wir sterben, hinterlassen wir eine riesige Datenspur, aber welche Spuren sonst noch», fragte sie ins Publikum.
Die Lüge «Multitasking»
«Bürokrieger» verfügten heute an ihrem Arbeitsplatz nur noch über 24 Minuten ungestörte Arbeitszeit pro Tag. Das sei vergleichbar mit einem Marathonläufer, dem alle zwei Minuten ein Schnürsenkel aufgehe. Anitra Egglers Schlussfolgerung lautet deshalb: «Jede zweite Mail und jede zweite Sitzung sind verzichtbar. 50 Prozent der Mail- und Meetingzeit sind unproduktiv. Aber alle haben Angst, etwas zu verpassen, dabei verpassen sie ihre eigene Priorität.» Doch die Referentin hatte auch eine gute Botschaft und versicherte den Anwesenden, dass jeder hier im Saal diesem Übel einfach begegnen könne, mit der «Superpower des 21. Jahrhunderts», die jedem zur Verfügung stehe. Unablenkbarkeit sei ein wahrer Produktivitätsturbo sowie ein Work-Life-Balance-Garant. Wir müssten uns von der Lüge des Multitasking befreien. «Unser Hirn kann nicht multitasken, weil mehrere Beschäftigungen gleichzeitig das Hirn überfordert, das ist wissenschaftlich erwiesen», räumte sie mit einem Klischee auf. Doch wie kommen wir aus dieser Falle wieder raus, fragte die Referentin und lieferte gleich den Schlüssel dazu, der in zwei Sätzen und drei Taten enthalten sei. «Nur Sklaven sind ständig erreichbar», nannte sie als ersten Schlüsselsatz und ermahnte die Zuhörer: «Wir müssen nicht ständig in Nanosekunden auf alles reagieren.» Der zweite Schlüsselsatz lautet: «Entweder volle Aufmerksamkeit oder keine. «Wenn ich einen Film schauen möchte, dann lege ich das Handy weg, nicht vor mir auf den Salontisch, nein, weit weg, dass ich es weder sehe noch höre.»
Kombiniert werden diese zwei Sätze mit drei Taten. «Schaffen Sie in ihren Räumlichkeiten handyfreie Zonen. Sie werden feststellen, dass deswegen die Welt nicht untergeht.» In einem zweiten Schritt solle man täglich für eine bestimmte Zeit sämtliche Push-Nachrichten ausschalten. Auf den meisten Smartphones gebe es dafür bereits einen «Nicht-Stören-Modus», den man aktivieren und zeitlich limitieren könne. Und als letzte Massnahme empfahl Anitra Eggler, den 3-Mail-Check pro Tag einzuführen. «Checken sie ihre Mails dreimal am Tag am Stück und lassen sie daneben ihr Mail-Konto ruhen.» Die Referentin forderte deshalb alle Anwesenden auf, ab sofort gegen den digitalen Strom zu schwimmen. «Sie werden feststellen, dass sie dabei gewinnen werden.»
Von Walter Ryser