Er hat die Eine-Million-Marke geknackt
Chris Böhm hat mit seinem BMX-Rad nicht nur mehrere Weltrekorde aufgestellt, er begeistert damit auch in den sozialen Medien eine immer grösser werdende Community. Letzte Woche hat der Langenthaler auf «TikTok» die magische Marke von einer Million Followern erreicht. Er gehört damit zu den berühmtesten Schweizer Influencern – und das will er auch für gute Zwecke ausnutzen.
Der Oberaargau hat ein Einzugsgebiet von 80 000 Einwohnern, etwa gleich viele Menschen, wie der Fussballclub BSC Young Boys Instagram-Follower hat. Der Sport-Account vom Schweizer Fernsehen SRF hat auf Facebook sogar 125 000 «Gefällt mir», das Online-Portal Watson schafft es indes auf über 177 000 Likes und Fussballstar Stephan Lichtsteiner kommt auf 778 000 Instagram-Follower. Insbesondere bei der jüngsten Generation kommt «TikTok» aber längst viel besser an und ausgerechnet dort ist ein Langenthaler ganz besonders präsent: Der 37-jährige Chris Böhm hat als «chris_boehm» auf «TikTok» vor einer Woche die magische Zahl von einer Million Followern erreicht und gehört damit laut mehreren Online-Rankings zu den Top-Ten der TikTok-Berühmtheiten in der Schweiz.
Und das zeigt sich dann auch beim Fotoshooting für diese Zeitung inmitten der Langenthaler Marktgasse. Der gebürtige Deutsche wird von Jugendlichen, die vorbei laufen, prompt erkannt. Wird er angesprochen, nimmt er sich auch gerne Zeit für sie. «Hey Chris», heisst es dann, «geiler Trick heute auf TikTok. Gratuliere zur Million.» Böhm selbst ist begeistert, sagt «danke Digga, verlink dich mal bei mir.» Solche Momente seien entscheidend, verrät der BMX-Profi später seine Strategie. Man müsse auch auf sozialen Medien Menschen berühren – und erst recht, wenn man sie persönlich im reellen Leben auf der Strasse trifft. Mit solchen Begegnungen will er sich das nachhaltige Interesse dieser Menschen sichern, auch deshalb bindet er sie oft in seine Videos mit ein. «Vor ein paar Wochen haben einmal über 10 Kinder an meiner Haustüre geklingelt. Man hätte denken können, ich veranstalte eine Corona-Party», lacht Böhm. «Aber die wollten alle einfach nur ein Autogramm und ich hab mich riesig gefreut.» Der Umgang mit Menschen in solchen Situationen, egal in welchem Alter, sei das A und O.
Momente schaffen, die bleiben
Auf Chris Böhm reagieren aber nicht nur U-20er. Ältere Menschen, die vorbeilaufen, staunen, wenn sich der Sportler auf dem Rad um die eigene Achse dreht. «Macht der noch lange so, sind seine Pneus bald durch», witzelt ein älterer Mann, Böhm reagiert sofort mit einem «Danke fürs Zuschauen» und fragt ihn in seinem unverwechselbaren Deutsch-Slang, wie es ihm denn ginge. «Momente schaffen, die bleiben. An die man sich erinnert», sagt er, nur so könne man seine Bekanntheit vergrössern. Und letztlich ginge es doch genau darum, gibt er zu. «Sind wir doch ehrlich: Alle Künstler sind Selbstdarsteller. Wir wollen uns, unsere Fähigkeiten und unsere Kunst präsentieren, Menschen erreichen. Und wenn ich eine Million Follower habe, dann freut mich das.» Ausserdem seien auch Unternehmen auf solche Zahlen fixiert, alleine deshalb kriege er Aufträge und Sponsorings, alleine deshalb könne er letztlich seinen Lebensunterhalt verdienen. «Ich habe ein eigenes Bike. Nur wegen TikTok war das in kurzer Zeit ausverkauft», erklärt Böhm. An guten Tagen erhalte er denn auch über 3000 Nachrichten, sein Social Media Engagement sei so etwas wie ein Full-Time-Job, der kaum mehr gänzlich zu bewältigen sei.
Berühmtheit nutzen, um Gutes zu tun
Bei aller Bekanntheit ist ihm aber vor allem eines wichtig: «Wenn man schon bekannt ist, soll man auch etwas Gutes damit tun.» Leben und leben lassen, sagt er weiter, bevor er mit einem Aber deutlicher wird: «Ich würde mir wünschen, dass sich solche Online-Berühmtheiten mehr für Kinder oder für Nachhaltigkeit einsetzen. Und nicht einfach nur für sich und ihre Schmink-Tutorials.» Wenig überraschend ist ihm persönlich anderes wichtiger. Böhm ist seit Ende Januar zweifacher Vater und ist examinierter Kinderkrankenpfleger mit Fachrichtung Kinder- und Jugendpsychiatrie. Auch in der Region Oberaargau kümmert er sich um suchtkranke Kinder, die er beispielsweise von der Spielsucht weg und dafür aufs BMX-Rad bringen will.
Mit seiner Energie, seinem Willen und seiner Disziplin will er ein gutes Vorbild sein und andere Menschen dazu bringen, «den Hintern hoch zu kriegen.» Begeistert reagiert darauf aber längst nicht jeder. «Mich griff mal einer an der sagte: Ey Mann, du hast doch ADHS.» Die Vermutung liegt tatsächlich nahe, schliesslich ist der Deutsche energiegeladen, manchmal auch zappelig und Wörter sprudeln aus ihm raus, wie aus einer zu stark geschüttelten Coladose. Er habe ihm dann erklärt, erzählt Böhm, dass er keine Ahnung habe, ob er denn wirklich ADHS habe. «Vielleicht, kann schon sein. Ich habe ihm scherzhaft gesagt, vielleicht müsste ich das mal testen lassen», sagt er und hängt mit einem breitem Lachen an: «Aber eigentlich ists mir wurst, vielleicht hab ich nämlich deshalb so viel erreicht.» Auch dies wiederum sei eine Botschaft, die er Jugendlichen weitergeben will. «Ich sage den Kids immer: Egal, was man vor hat, man kann alles schaffen, wenn man es auch wirklich will. Wenn ich es erreicht habe, schaffst du es auch.»
«Ich bin real»
Die Gründe, dass er es so weit geschafft hat und vor allem auf TikTok so erfolgreich ist, kann er indes nur schwer wiedergeben. Hashtags seien wichtig, kein Zweifel. Aber: «Kinder sind nicht dumm. Sie merken, dass ich real bin, dass ich mich nicht verstelle. Ich bin genau so, wie man mich online sieht.» Ein Showmaster also, mit Herz und Humor. Und einer, der in München einst sogar auf dem Marienplatz die Polizei zum Schmunzeln brachte. Weil die Polizisten, auf Video festgehalten, trotz Velo-Fahrverbot sympathisch reagierten, ging das Video viral, wurde weitum geteilt und geklickt. «Das wurde mein erfolgreichstes Video, das hat fast 10 Millionen Views», betont Chris Böhm stolz. Solche Zahlen versuche er natürlich täglich zu erreichen, ganz so einfach ist das aber nicht. «Ein Video, das mehr Views hat, als ich Follower habe, das nenne ich für mich viral. Und solche Videos will ich auch künftig produzieren.» Auch das Interview und das Fotoshooting hat er für den Dreh eines solchen TikTok-Videos genutzt, der 37-Jährige meinte, er wolle es posten, sobald er das Resultat, die Zeitung, in den Händen halte.
Jetzt lernt er noch Ballet
Auf die Frage, wie es nun weiter geht, lacht Böhm und sagt dann das, was zu erwarten war: «Wer die erste Million hat, der will auch noch die zweite.» Ausserdem wolle er auch möglichst viel Zeit mit seinen beiden Töchtern verbringen. «Schliesslich kann ich nicht nur andere Kinder erziehen – ich muss auch noch meine eigenen Töchter grossziehen», sagt er mit schallendem Gelächter und hängt ebenso lachend an: «Für BMX begeistert sich die Ältere aber noch nicht. Deshalb habe ich jetzt auch noch begonnen, Ballet zu lernen.» Dies lässt sich zudem gut mit BMX verbinden, erst im Dezember bewies er dies im italienischen «Supertalent», wo er sich gemeinsam mit einer Balletttänzerin bis ins Finale vorkämpfte.
Abgesehen davon hofft auch Böhm möglichst bald auf Lockerungen, will er doch so bald wie es eben geht, auf die Showbühne zurückkehren. «Die Situation ist schwierig, aber immerhin kann ich dank Markus Bösiger in einem Raum für mich trainieren – ohne ihn ginge nicht mal das.» Allzu zuversichtlich will er trotzdem nicht sein. «Das mit der spanischen Grippe hat drei Jahre gedauert. Aber ich halte mich fit, in der Hoffnung, dass ich schon im Sommer wieder auf der Bühne stehen darf.» Kindern will er indes vorerst online helfen. «Ich zeige ihnen in Videocalls ein paar Tricks, die sie ausprobieren können, motiviere sie und halte sie vom Spielen ab», sagt Böhm. Genauso wie auf TikTok müsse er sich nun im realen Leben selbst wieder neu erfinden, dazu habe aber jeder die gleiche Chance. «Wenn man den Hintern hochkriegt, kann man sich auch immer wieder neu erfinden.» Dem Langenthaler ist es jedenfalls gelungen. Chris Böhm hat aus sich eine Marke geschaffen, mit welcher er auch für den Oberaargau neue Sphären erklommen hat, und auch darauf ist er stolz.
Beim Verabschieden scherzt er dann ein letztes Mal: «Im italienischen TV habe ich versucht zu erklären, wo ich wohne. Das Wort Langenthal haben die aber nicht begriffen.»
Von Leroy Ryser