Erinnerungen an ein «Fussball-Wunder»
Als im Sommer 1992 die neue Fussball-Saison startete, hätte niemand nur im Traum daran gedacht, dass die Schweiz ein kleines «Fussball-Wunder» erleben würde. Verantwortlich dafür war der FC Aarau, der ein Jahr später völlig überraschend Schweizer Meister wurde. Mittendrin war damals ein «Langenthaler», der heute 53-jährige Unternehmer David Bader, rechter Verteidiger im damaligen Aarauer-Meisterteam. Mit dem «Unter-Emmentaler» blickte «Dave» auf das Wunder vom «Brügglifeld» und seine 270 NLA-Spiele mit Aarau zurück.
Portrait David Bader, Verwaltungsrat FC Aarau · David Bader ist in Langenthal kein Unbekannter. Der 53-jährige Oensinger ist zusammen mit seinem Bruder Daniel Inhaber der Bader Büro Design AG, die mitten im Zentrum von Langenthal unter anderem einen Papeterie-, Bücher- und Spielwarenladen betreibt. Aber kaum jemand weiss, dass es sich bei David Bader um eine Person handelt, die Schweizer Fussball-Geschichte geschrieben hat. Der alleinerziehende Vater zweier erwachsener Töchter ist eine «Meisterlegende». David Bader war nämlich als rechter Verteidiger Teil jener Mannschaft des FC Aarau, die im Sommer 1992 in die NLA-Saison startete und ein Jahr später ein vielbeachtetes «Fussball-Wunder» schuf und völlig überraschend Schweizer Meister wurde. 30 Jahre später will der Langenthaler Unternehmer mithelfen, den FCA wieder in die höchste Spielklasse zurückzuführen. Vor einem Monat wurde David Bader neu in den FCA-Verwaltungsrat gewählt. Es wäre nicht zum ersten Mal eine unglaubliche Fussball-Geschichte, an der «Dave» Bader, wie ihn seine ehemaligen Meister-Teamkollegen nennen, beteiligt wäre.
Denn genauso unglaublich und faszinierend hört sich die Geschichte an, wie David Bader zur «Meisterlegende» wurde und insgesamt 270 NLA-Spiele für Aarau absolvierte. Blenden wir zurück in die Kindheit von David Bader, der bereits im Schulalter leidenschaftlich gerne Fussball spielte. In Kestenholz, wo er aufwuchs, schloss er sich dem dortigen Fussballklub an und absolvierte sämtliche Juniorenstufen. Danach folgte der Wechsel in die erste Mannschaft, die in der 3. Liga spielte. Kurze Zeit später wechselte er nach Oensingen, eine Liga höher. Hier fiel er einem Talentspäher des FC Aarau auf. Im Sommer 1989 war ein weiterer Wechsel perfekt, dieses Mal ins U21-Nachwuchsteam des FC Aarau.
Eine Karriere von null auf 100
David Bader hatte sich kaum an die neue Umgebung, an sein neues Team und die professionelleren Strukturen beim FC Aarau gewöhnt, da bot sich ihm die nächste Chance. «Ich war erst ein paar Wochen beim FCA-Nachwuchs und hatte nur wenige Spiele mit dem U21-Team absolviert, da erhielt ich bereits ein Aufgebot für das NLA-Team», erinnert sich der Langenthaler Unternehmer. Personalmangel habe dazu geführt, dass er diese Chance erhalten habe. Die beiden Mittelfeldspieler Lars Lunde (Autounfall) und René van der Gijp (disziplinarische Massnahme) standen längere Zeit nicht zur Verfügung. Bader sprang ein und wurde als rechter Verteidiger gleich ins kalte «NLA-Wasser» geworfen. «Meine Fussballkarriere hat sich in wenigen Wochen rasant von null auf 100 entwickelt, ich habe eigentlich von der 2. Liga in die NLA gewechselt», erzählt er. Wobei das nicht ganz zutreffend ist, denn während der zweiten Saisonhälfte, die er mit Oensingen in der 2. Liga bestritt, absolvierte er die Rekrutenschule und konnte deshalb ein halbes Jahr lang gar nicht trainieren. So stand David Bader bei seinem NLA-Debüt mit lediglich einer Handvoll Trainings während den letzten rund acht Monaten auf dem Platz.
Das hinderte ihn jedoch nicht daran, sich auf Anhieb einen Stammplatz im FCA-Team zu erkämpfen. «Dave» war vom ersten Spiel an gesetzt und bestritt bis im Frühjahr sämtliche Spiele. Doch der Preis dafür war hoch, zu hoch, denn der fehlende Trainingsaufbau vor der Saison machte sich schmerzhaft bemerkbar. «Im Mai 1990 konnte ich manchmal kaum noch laufen», erinnert sich David Bader. Leisten und Adduktoren waren stark entzündend, eine Operation war unumgänglich. «Weil ich neben den Trainings und den Spielen Vollzeit gearbeitet habe, war die Belastung für den Körper ganz einfach zu hoch, mir fehlte die Erholung», schildert er die damalige Situation.
Rücktritt mit 22 Jahren
Nach der Operation kehrte er ins Team zurück. Doch schon bald stellte der Verteidiger fest, dass keine Besserung eintrat, weshalb er auch nur noch sporadisch zu Einsätzen kam. Die Situation war für den jungen Fussballer frustrierend, weshalb er sich im Frühjahr 1991 entschied, seine Fussballkarriere zu beenden. Stattdessen zog er nach Lausanne und absolvierte einen mehrmonatigen Sprachaufenthalt. Am Morgen besuchte er jeweils die Schule und am Nachmittag absolvierte er ein individuelles Fitnesstraining. Nach seiner Rückkehr stieg er ins Geschäft seines Vaters in Langenthal ein, hielt sich aber weiterhin selber fit. «Mit der Zeit habe ich sämtliche sportliche Aktivitäten schmerzfrei absolvieren können», erzählt David Bader. Deshalb nahm er im Februar 1992 mit dem damaligen Sportchef des FC Aarau, Fredy Strasser, Kontakt auf. Er habe ihn gefragt, ob er beim FCA-Nachwuchs mittrainieren dürfe. Strasser willigte ein – was folgte, war die Wiederholung der Geschichte vom Herbst 1989. Denn gleich nach dem ersten Training mit dem FCA-Nachwuchs sei er für das kommende Spiel am Wochenende aufgeboten worden. Danach gehörte David Bader fix zum Kader des Nachwuchsteams.
Fringer setzt auf Bader
Erneut sollte das Schicksal eine bedeutende Rolle in der Karriere von «Dave» Bader spielen, denn während eines Trainings der FCA-Nachwuchsequipe waren auch Spieler des NLA-Teams als Zuschauer dabei, darunter Stürmer Petar Aleksandrov. Dieser erkundigte sich nach dem Training bei Sportchef Strasser, weshalb dieser David Bader im Nachwuchs und nicht im NLA- Team spiele, das sei eine «Verschwendung». Es kam, wie es immer kam in der Karriere von David Bader: Der Verteidiger war plötzlich wieder im Kader der NLA-Equipe. «Ich habe zu diesem Zeitpunkt immer noch zu hundert Prozent gearbeitet und daneben mit der NLA-Equipe trainiert und gespielt, so gut es ging», blickt er zurück.
Der FCA schaffte damals im Frühjahr 1992 mit Ach und Krach den Ligaerhalt, weshalb auf die neue Saison hin die Karten neu gemischt wurden. Unter anderem kam mit Rolf Fringer ein neuer Trainer, der Vorgänger Roger Wehrli (zuvor Spielertrainer) ablöste. Fringer habe ihm gesagt, dass er ihm eine Chance geben werde. David Bader absolvierte die gesamte Vorbereitung mit dem NLA-Team, machte sich dabei aber keine grossen Gedanken. «Nein, bei den Vorbereitungsspielen habe ich abwechselnd gespielt oder sass auf der Ersatzbank. Ich habe mir nichts dabei gedacht.» Bis einige Mitspieler auf ihn zukamen und ihn darauf aufmerksam machten, dass Fringer auf ihn setze. «Sie haben mir gesagt, dass ich immer dann spiele, wenn auch Leistungsträger wie Bernd Kilian, Marcel Heldmann, Mirko Pavlicevic oder Roberto die Matteo auf dem Platz stehen würden.»
Letzte Spiele verpasst
Es kam der Tag X, als ihn Rolf Fringer zum Gespräch bat und ihm eröffnete, dass er voll mit ihm rechne, unter einer Bedingung: «Er hat mir zu verstehen gegeben, dass ich den Job aufgeben und Profi werden müsse.» Damit befand sich der junge Kaufmann in einer Zwickmühle, hatte er doch im Geschäft seines Vaters in Langenthal bereits eine leitende Funktion inne und konnte nicht von einem auf den andern Tag aussteigen. Fringer willigte für eine Übergangsphase ein. «Für mich war von diesem Moment an klar, dass ich noch einmal voll auf die Karte Fussball setzen wollte, zumal der Trainer sehr kulant war und mich des öftern vom Morgentraining dispensierte, damit ich arbeiten oder mich erholen konnte», erzählt David Bader.
Zu diesem Zeitpunkt war der Verteidiger längst wieder eine feste Grösse im FCA-Team, zählte zur Stammformation und spielte praktisch ununterbrochen. Und er spielte gut, unglaublich gut, wie das gesamte FCA-Team. Mit einer praktisch unveränderten Equipe, die in der letzten Saison beinahe abgestiegen wäre, stürmten die Aarauer wenige Monate später an die NLA-Tabellenspitze und am Ende völlig überraschend zum Meistertitel. Ein «Fussball-Wunder» wurde Tatsache und mittendrin war mit David Bader auch ein «Langenthaler», der allerdings die letzten vier Spiele wegen eines Kreuzbandrisses, den er sich im Spiel in Neuenburg gegen Xamax zugezogen hatte, verpasste.
Doch wie war das überhaupt möglich damals? «Diese Frage wurde mir seither so oft gestellt», erwähnt David Bader und sagt, dass die Gründe vielfältig gewesen seien. Aber zweifellos habe Trainer Rolf Fringer eine Hauptrolle gespielt. «Er war fachlich der beste Trainer, den ich je hatte, seine menschlichen und taktischen Fähigkeiten waren herausragend. Wir haben unter ihm Sachen gemacht, die wir bis dahin gar nicht kannten.» Er sei der erste Trainer gewesen, der für klare Strukturen auf dem Platz gesorgt habe. «Er hat uns vermittelt, wie wir uns bei eigenem oder bei gegnerischem Ballbesitz zu verhalten haben, das war damals schon ziemlich revolutionär. Zudem war er analytisch extrem gut, hat Situationen sehr schnell erfasst und von der Seitenlinie aus sofort korrigiert.»
Ernst Lämmli prägte den FCA
Dazu habe man aber auch über intelligente Spieler verfügt, die in der Lage gewesen seien, Fringers Ideen umzusetzen. Auch charakterlich sei die Mannschaft aussergewöhnlich gewesen und habe eine Winnermentalität entwickelt. Diese sei auch viele Jahre später noch vorhanden gewesen, wenn das Meisterteam zu Jubiläumsspielen oder Platzeröffnungen eingeladen worden sei. «In der Kabine waren wir uns alle einig, dass wir auch dieses Plauschspiel unter keinen Umständen verlieren wollten», gibt David Bader lachend zu verstehen. Das habe gut funktioniert, «bis uns das Alter eines Besseren belehrte», fügte er schmunzelnd hinzu. Als letzten Mosaikstein fügt David Bader noch den damaligen Präsidenten Ernst Lämmli hinzu, der von ganz oben eine bodenständige, verlässliche, ehrliche und charakterstarke Mentalität vorgelebt habe, die den Klub geprägt habe.
Natürlich wäre er beim letzten Spiel gerne auf dem Platz gestanden, aber es gebe Dinge in einer Fussballkarriere, die würden sich nicht erzwingen lassen, blickt David Bader ohne Wehmut zurück. Es sollten für ihn ja noch weitere tolle Fussballjahre mit dem FCA folgen, mit Spielen im Europacup und weiteren Spitzenplätzen in der NLA. Erst nach 270 NLA-Spielen für den FCA war im Sommer 2001 Schluss. Es folgte noch ein Jahr beim FC Wangen bei Olten in der 1. Liga. Danach war die Fussballkarriere definitiv vorbei und David Bader übernahm 2001 zusammen mit seinem Bruder Daniel das elterliche Geschäft (Bader Büro Design AG) in Langenthal. Seither gibt es keine Senioren- oder Veteranenspiele mehr. David Bader hält sich mit Joggen, Tennisspielen oder mit Skifahren fit.
Als VR zurück zum FCA
Der Kontakt zum FC Aarau und zum damaligen Meisterteam ist jedoch über alle die Jahre bestehen geblieben. Immer wieder treffen sich die damaligen «Meisterhelden» bei einem Spiel in Aarau oder einfach zu einem Bier. Dabei sei die Stimmung untereinander wie früher kameradschaftlich-kollegial. Da sei schon erstaunlich, wenn man bedenke, dass einige der damaligen Meisterspieler eine beeindruckende Laufbahn hingelegt hätten, wie etwa Stürmer Uwe Wassmer, der mit Freiburg in der Bundesliga für Furore sorgte oder ein Roberto Di Matteo, dem anschliessend gar eine Weltkarriere gelang, mit Spielen in der italienischen Nationalmannschaft oder als Trainer grosser europäischer Klubs (Chelsea, Schalke).
Und so kam es, dass David Bader im Februar dieses Jahres von FCA-Verwaltungsratspräsident Philipp Bonorand angefragt wurde, ob er nicht im Verwaltungsrat Einsitz nehmen möchte. Vor einem Monat wurde David Bader von der Generalversammlung als neues VR-Mitglied beim FC Aarau gewählt. Damit kehrt eine Meisterlegende zum FCA zurück und wird mithelfen, dass im nächsten Sommer, 30 Jahre nach dem grössten Triumph des FC Aarau, erneut Vereinsgeschichte geschrieben wird, wenn der FCA endlich wieder in die höchste Spielklasse zurückkehrt. Doch David Bader winkt ab und sagt: «Nur weil eine Meisterlegende zurückkehrt, bedeutet das noch lange nicht, dass wir nun aufsteigen. Aber selbstverständlich helfe ich, damit der FCA in Zukunft Erfolg hat.» Dabei schade sein Palmares sicher nicht. Er fühle sich geehrt, diese Funktion wahrnehmen zu können, aber wie damals als Spieler, wolle er sich nicht in den Vordergrund drängen, stehe aber zur Verfügung, wenn seine Meinung, sein Wissen und sein Know-how gefragt seien. Es scheint wie damals, als David Bader als Spieler zum FCA kam – keiner kannte ihn, doch der Erfolg begleitete ihn bis zum Meistertitel …
Von Walter Ryser