«Es sollte eine gute Pilzsaison geben»
Seit Anfang August können im Pavillon bei der Brockenstube in Langenthal wieder Pilze zur Kontrolle gebracht werden. In Huttwil steht dieser Dienst ab Ende Monat zur Verfügung. Die Pandemie hinterlässt auch hier Spuren. Allerdings positive, haben sich doch mehr Familien diesem Hobby zugewandt.
Oberaargau · «Es sammeln wieder mehr Familien Pilze», weiss Alfred Jörg. Der 77-Jährige betreut seit 1975 die Pilzkontroll-stelle in Langenthal. Lange Zeit, bis zu ihrem Tod, war seine Frau seine Stellvertreterin, seit einigen Jahre steht ihm Damian Käser zur Seite. Jörg selbst bezeichnet sich nicht als Kontrolleur, sondern als Pilzfachmann. «Wir kontrollieren nicht nur, wir beraten vor allem», hält er fest. Dass im vergangenen Jahr mehr Familien im Freien anzutreffen waren, habe mit Covid-19 zu tun. «Einige Ärzte raten ihren Patienten, sich mehr im Wald aufzuhalten und sich zum Beispiel das ‹Pilzlen› als Hobby zuzulegen.» Erfreulicherweise seien im vergangenen Jahr trotzdem nicht mehr ungeniessbare Pilze zur Kontrolle gebracht worden als vorher. Dies führt Alfred Jörg einerseits auf die Beratung der Kontrollstelle zurück, andererseits darauf, dass sich die Leute aktiver mit der Materie befassen.
Im Jahr 2020 weniger Kontrollen
Die Anzahl der Kontrollen ist hingegen zurückgegangen. Im Jahr 2020 wurden total 827 durchgeführt (im Vorjahr 1229), 468 davon enthielten ungeniessbare, 97 giftige und 27 tödliche Pilze. Im Kilogramm heisst das: 967 essbare (1689), 256 (215,5) ungeniessbare, 16 (16) giftige, davon 0,3 (0,5) tödlich giftige Pilze. «Wegen der grossen Trockenheit hat die Pilzsaison viel später angefangen und gab weniger her», begründet Alfred Jörg diese Zahlen. Dafür hatte er nach den offiziellen Öffnungszeiten etwas mehr zu tun. «Aber heuer wird es voraussichtlich eine gute Saison.»
Pilze findet man das ganze Jahr hindurch. «Für Sommersteinpilze war das Wetter im Juni ideal», weiss der Fachmann. Aber auch verregnete Sommer- und Herbstmonate hinterlassen für Pilzliebhaber positive Spuren. Die Artenvielfalt sei vor allem von August bis Oktober am grössten. Unter anderem Steinpilze, Maronenröhrlinge, Eierschwämme, Täublinge und Perlpilze sind in dieser Zeit zu finden.
Maximal zwei Kilogramm pro Person und Tag
Pro Tag und Person dürfen zwei Kilogramm gesammelt werden. Diese Beschränkung findet Alfred Jörg gut. «Denn so ist man gezwungen, genau zu überlegen, welche Pilze man sucht.» Als Sammelgefäss empfiehlt der Fachmann einen Korb, Plastiksäcke hingegen seien ungeeignet. Weitere Tipps: Keine durchnässten und keine jungen Pilze sammeln, die anderen beim Pflücken sorgfältig abdrehen und die Pilze bereits im Wald von Erde, Laub und Nadeln befreien. «Die Stiele sind wichtige Erkennungsmerkmale, weshalb sie nicht abgeschnitten werden dürfen», so Jörg weiter, der in jedem Fall zu einer Kontrolle beim Fachmann rät. «Denn das eigentliche Erkennungsmerkmal des Knollenblätterpilzes ist meist im Waldboden eingesenkt und für den Laien nicht sofort erkennbar.» Als Merkmale, wie man einen ungeniessbaren Fund erkennen kann, nennt Jörg zum Beispiel kleine weisse Pilze, Pilze mit kegeliger bis spitzkegeliger Hutform, Pilze mit radial einreissendem Hutrand (Risspilze) oder allgemein Pilze, die im Rasen wachsen.
Erklären statt nur kontrollieren
Von Pilzbücher und Pilz-Apps rät Alfred Jörg nicht kategorisch ab. «Es ist jedoch von Vorteil, die mykologischen Ausdrücke, also die Fachwörter, zu kennen. Erfahrungsgemäss lernt man am meisten in einer Pilzkontrollstelle, da Fachfrauen und Fachmänner die Merkmale des Pilzes gleich an einem vorliegenden Exemplar erläutert und Unklarheiten vor Ort erklärt werden können.» Eine Kontrolle läuft in der Regel so ab: Die Sammlerin oder der Sammler muss die Funde in kleinen Behältern vorsortieren, das heisst nach eigenem Wissen die Arten grob trennen. «Wir kontrollieren in der Regel zu zweit, denn vier Augen sehen mehr als zwei. Mein Stellvertreter und ich erklären den Leuten die Pilze, weisen auf die Giftpilze und die Nichtgeniessbaren speziell hin und zeigen ihre Merkmale, bevor wir sie ausscheiden.»
Von Dieben und Mordversuchen
Jeweils rund 10 bis 12 Prozent der zur Kontrolle gebrachten Pilze seien ungeniessbar. Diese werden in einem Abfallsack gegeben und von der Gemeinde entsorgt. «Einmal liessen wir so einen Sack kurz aus dem Blick und bemerkten im letzten Moment, dass sich ein Mann daraus bediente. Dies, weil sein Korb nach unserer Kontrolle leer war, er jedoch nicht ohne Pilze nach Hause gehen wollte», erzählt Alfred Jörg eine Anekdote. «Das hätte schief gehen können.» Schief sei auch ein Mordversuch gegangen. Bei Pilzvergiftungen wird er jeweils hinzugezogen. So auch vor Jahren im Spital SRO. Wie sich später herausstellte, hatte eine Frau ihrem Mann Pilze serviert. Die auf dem Markt gekauften Champignons vermischte sie jedoch mit eigens dafür gesammelten giftigen Knollenblätterpilzen.» Der Mann konnte gerettet werden, die Frau landete im Gefängnis.
Einsätze im Spital
Der 77-Jährige liebt seine Arbeit als Pilzfachmann. Die Leute seien meist dankbar, aber natürlich gebe es auch «Besserwisser». «Dann höre ich zu, sage dann aber klar meine Meinung als Fachmann», so Jörg. Denn verschiedene frühere Einsätze im Spital SRO hätten sich bei ihm tief eingeprägt. «Dann nämlich, wenn es darum ging, bei Vergiftungssymptomen aus dem Mageninhalt die Überreste der Pilze zu bestimmen.»
Von Irmgard Bayard