• Wohin fahren künftig die Züge von Langenthal aus? Diese Frage beschäftigt die Region Oberaargau stark. Verschiedene Akteure kämpfen deshalb darum, dass der Oberaargau beim geplanten Ausbau der Bahninfrastruktur 2035 nicht komplett leer ausgeht. · Bild: Walter Ryser

02.07.2024
Oberaargau

Fährt der Zug ohne den Oberaargau ab?

Beim geplanten Ausbau der Bahninfrastruktur 2035 droht die Region Oberaargau leer auszugehen. An einer Info-Ver­anstaltung der Region Oberaargau schlugen Vertreter der Region Alarm, während der Kanton und die Bahnbetreiber BLS und SBB

versuchten, die Wogen zu glätten.

Oberaargau · «Eine dermassen geballte Ladung an Vorwürfen ist schon lange nicht mehr an mich herangetragen worden», zeigte sich Christian Aebi, Vorsteher des Amtes für Öffentlichen Verkehr und Verkehrskoordination (AÖV) im Kanton Bern, erstaunt über die Haltung der Region Oberaargau zu den geplanten Ausbauschritten der Bahninfrastruktur 2035, bei denen der Region Oberaargau ein Abschieben auf das Abstellgleis droht (der «Unter-Emmentaler» berichtete darüber).

Kein Ausbauschritt im Oberaargau
Ausgelöst hatte Aebis Reaktion Markus Zahnd, Leiter Projekte Regionale Verkehrskonferenz bei der Region Oberaargau. Bei der Infoveranstaltung der Region Oberaargau zur Zukunft des Bahnverkehrs im Oberaargau in der Alten Mühle in Langenthal, die von überraschend vielen Personen besucht wurde, nahm er nämlich kein Blatt vor den Mund und machte den Anwesenden gleich zu Beginn klar, dass die Region Oberaargau die mit Abstand am schlechtesten erschlossene ÖV-Region im Kanton Bern sei. «Das ist eine sehr unbefriedigende Situation für uns», zeigte sich Zahnd unzufrieden. Huttwil beispielsweise werde auch in den nächsten sechs Jahren keinen Bahn-Halbstundentakt erhalten, fügte er als Beispiel hinzu. Zahnd untermalte seine Aussagen mit Zahlen und Statistiken. Dabei erwähnte er, dass in der Region Oberaargau acht Gemeinden über gar keinen ÖV-Anschluss verfügen würden. In neun Gemeinden haben knapp zwei Drittel der Bevölkerung keinen ÖV-Anschluss, der Rest nicht einmal stündlich. Nur gerade zehn Gemeinden lägen über dem kantonalen ÖV-Erschliessungsschnitt von 85 Prozent. Doch Markus Zahnd ging noch einen Schritt weiter und zeigte auf, welche Bahn-Infrastrukturausbauten seitens des Bundes bis 2035 geplant seien. Er erwähnte, dass beispielsweise deren 150 für die Region Bern geplant seien, 53 für den Raum Zürich, 80 für die Westschweiz, 83 für die Nordwestschweiz oder 53 für die Zentralschweiz, aber nicht ein einziger Ausbauschritt für die Region Oberaargau ist vorgesehen. Nicht viel besser sehe es bei den geplanten Massnahmen für den Güterverkehr aus, seien doch hier 185 Ausbauschritte geplant, davon deren drei für die Region Oberaargau. Das führe dazu, dass nach dem Ausbau zusätzlich 47 Personenzüge pro Tag und deren 23 weitere Güterzüge durch den Oberaargau fahren werden, welche für die Region selbst direkt keinen Nutzen erbringen würden, hielt Markus Zahnd weiter fest. «Ein Ausbau des Personenverkehrs im Oberaargau ist nicht vorgesehen.» Die Anwesenden spürten förmlich den Frust und das Unverständnis von Markus Zahnd, der die Bahn-Ausbaupläne des Bundes für die Region Oberaargau unverhohlen als «fahrlässige Massnahmen» bezeichnete. Störend sei insbesondere, dass ab 2035 keine Direktverbindung mehr aus dem Oberaargau Richtung Zürich vorgesehen sei und keine vernünftige ÖV-Verbindung von Langenthal nach Solothurn und Biel bestehe.

Ausbau richtet sich nach Bedarf
«Es gibt in der ganzen Schweiz keine einzige Referenz, wo eine Regionalhauptstadt mit einer lediglich 20 Kilometer entfernten Kantonshauptstadt ÖV-mässig dermassen schlecht erschlossen ist», zeigte sich Zahnd entrüstet. Deshalb plane man die Durchführung einer funktionalen Machbarkeitsstudie zu einer Bahnverbindung Sursee–Zofingen–Langenthal–Solothurn. «Aber wir wollen nicht noch weitere 15 Jahre warten», erwähnte Markus Zahnd und gab zu verstehen, dass man vorerst über die Einführung einer Schnellbus-Linie Herzogenbuchsee–Solothurn nachdenke. Gleichzeitig sollen auch Bestrebungen unternommen werden, die Bahnverbindung Wolhusen–Huttwil–Langenthal zu beschleunigen. Nach dieser leidenschaftlichen Präsentation der Bahn-Realität im Oberaargau durch Markus Zahnd hatten die nachfolgenden Redner kein leichtes Spiel. Christian Aebi machte als Erstes darauf aufmerksam, dass ein Bahn-Angebot nicht nach der Grösse einer Stadt oder der Wichtigkeit einer Region installiert werde, sondern ausschliesslich aufgrund des Bedarfs. «Angebote werden in erster Linie dort ausgebaut, wo die Chance besteht, dass die Leute vom motorisierten Individualverkehr auf den ÖV umsteigen.» Für den Oberaargau stuft Aebi das Bahn-Angebot, gemessen am vorhandenen Potenzial, als gut ein. Im Vergleich zu anderen Regionen verfüge der Oberaargau über ausreichend Platz bei den ÖV-Angeboten. Auch die Anbindung der Region Oberaargau Richtung Biel stuft Christian Aebi nicht so dramatisch ein. Er verwies auf die Möglichkeit, innerhalb von einer Stunde via Olten nach Solothurn und Biel zu gelangen. Gleichzeitig versicherte Aebi aber auch, dass die Inputs aus den Regionen aufgenommen und dem Bund weitergeleitet würden. Abschliessend hielt er fest: «Wenn man ausschliesslich die schlechten Punkte in einem Angebot sucht, findet man diese zweifellos, aber auch die guten, denn davon hat es nämlich auch.» Daniel Schafer, CEO des Bahnbetreibers BLS, stellte anschliessend kurz das Unternehmen vor, das jährlich 70 Millionen Fahrgäste durch sieben Kantone und eine italienische Provinz befördert. Dafür sind 3800 Mitarbeitende zuständig. Schafer machte klar, dass der Ausbau der Bahninfrastruktur mit komplexen Herausforderungen verknüpft sei, wie der Angebotsplanung und Nachfrage oder der Frage nach der Finanzierung und Wirtschaftlichkeit. Dazu gelte es, die Infrastruktur und die Technologie einzubeziehen sowie politische Rahmenbedingungen und Regulierungen zu berücksichtigen. Grundsätzlich müsse man sich aber bewusst sein, dass Züge, die fahren, auch Platz haben müssten, betonte Daniel Schafer.

Die BLS plant Verbesserungsmassnahmen
Der BLS-CEO erwähnte zudem, dass sein Unternehmen diverse Verbesserungsmassnahmen für die Region Oberaargau in unmittelbarer Zukunft umsetzen werde. So werde im Fernverkehr der Halbstundentakt des IR 17/35 bis Betriebsschluss erweitert. Im Regionalverkehr werde beispielsweise ab Dezember 2024 der Halbstundentakt S6/S7 auch samstags sowie Montag bis Samstag abends um eine Stunde verlängert. Und ebenfalls ab Dezember 2024 werde das Angebot mit den neuen MIKA-Zügen gefahren, was für mehr Platz und Komfort sorge. In der anschliessenden Podiumsdiskussion, an der auch Andreas Wingeier von der Bahnbetreiberin SBB teilnahm (Leiter Perimeter Bern SBB-Infrastruktur), machte dieser darauf aufmerksam, dass die Aufrechterhaltung einer Bahn-Direktverbindung Langenthal–Zürich über 2035 hinaus eine reine Kapazitätsfrage sei. «Züge, die von Langenthal Richtung Bern oder Zürich fahren, müssen letztendlich in den beiden Zielbahnhöfen auch Platz haben», bemerkte Wingeier. Bei dieser Feststellung blieb Moderator und Grüne-Grossrat Fredy Lindegger (Roggwil) nur die Flucht in seine persönliche Bahn-Nostalgie aus Jugendzeiten, als ab dem Bahnhof Herzogenbuchsee noch Direktverbindungen Richtung Genf oder Romanshorn bestanden …

Von Walter Ryser