• Der Eingangsbereich der Psychiatrischen Dienste SRO in Langenthal – auch sie spüren den Fachkräftemangel. · Bild: zvg

  • Manuel Moser ist seit 2009 in den psychiatrischen Diensten SRO tätig. Seit 2015 ist der 55-Jährige Chefarzt der Abteilung.

16.06.2022
Langenthal

Fehlende Fachkräfte bereiten den Psychiatrischen Diensten Sorgenfalten

Kürzlich informierte das Psychiatriezentrum Münsingen (PZM) über die vorübergehende Bettenreduzierung von 40 auf 28 Betten auf zwei Akutstationen aufgrund Fachkräftemangel. Wie wirkt sich dies auf die Psychiatrischen Dienste im SRO Langenthal aus? Kann das SRO zusätzliche Patienten aufnehmen? Wie ist die Lage bezüglich Fachkräfte im SRO?

Marianne Ruch im Gespräch mit Manuel Moser, Chefarzt Psychiatrische Dienste SRO, FMH für Psychiatrie und Psychotherapie.

Wurden Sie vorgängig über die Reduzierung im PZM informiert?
Ja, über den definitiven Entscheid kurz vorher. Aber wir wissen schon seit Längerem von den Problemen, weil wir auf Chefebene in einem guten Austausch miteinander sind.

Sie haben demnach schon vorher mit PZM zusammengearbeitet?
Ja, es ist unser engster Zusammenarbeits-Partner für stationäre Behandlungen. Gemäss einer Vereinbarung nehmen sie uns immer die Notfälle ab, die wir nicht selber behandeln konnten. Von allen Menschen der Region Oberaargau, die eine psychiatrische Hospitalisation benötigen, können wir weniger als die Hälfte bei uns behandeln. Mehr als die Hälfte muss in eine andere Klinik, meistens eben ins PZM.

Wie wirkt sich die Reduzierung der zwölf Betten im PZM auf der Akutstation bei Ihnen im SRO aus?
Es wird sicher schwieriger werden, in Notfallsituationen ein freies Bett zu finden, wenn wir selber keinen Platz mehr haben. Allerdings hat das PZM glücklicherweise entschieden, die vorhandenen vier Intensiv-Behandlungsplätze weiter zu betreiben, die sind also von der Bettenschliessung nicht betroffen. Das sind sozusagen die akutesten der akuten Notfälle, die also immer noch einen Platz haben.

Werden Sie viele Patienten übernehmen «müssen»?
Letztlich nicht so viele. Dazu eine kleine Rechnung: Das PZM übernimmt ja alle stationären Behandlungen des westlichen Berner Oberlands, denn in Thun haben sie keine Betten. Besser steht hier das Emmental da, mit zwei Bettenstationen in Burgdorf und einer dritten Station in Langnau. Wir selber haben zwei Bettenstationen. Wenn ich den Bevölkerungsanteil dieser Regionen einrechne, fehlen von diesen zwölf Betten anteilsmässig etwa ein Sechstel bei uns, also zwei Betten. Das tönt nach wenig und ist auch nur ein statistischer Wert. Es gibt aber auch Tage und Nächte, wo der Ansturm eben grösser ist.

Wie beurteilen Sie die Entscheidung im PZM, die Betten zu reduzieren?
Auch wenn der Entscheid uns vor Probleme stellt, ist er letztlich konsequent, weil das PZM die Behandlungsqualität unter dem Personalmangel nicht mehr hätte gewährleisten können. Insofern ist es ein Entscheid für die Qualität.

Die «Station Palais» im PZM verspricht ab dem Sommer mehr Betten – wenn die Fachkräfte fehlen, nützen wohl auch die weiteren Betten nichts?
Nun ja, das könnte dann funktionieren, wenn ein neues Team gebildet werden kann. So würde indirekt ein altes Team, welches unter Spannungen stand, neu aufgestellt. Aber ja, im Grundsatz ändert die neue Station am Grundproblem des Fachkräftemangels nichts.

Für wie viele Patienten hat das SRO Platz?
Wir haben zwei offen geführte Stationen zu je 17 Betten am Spital SRO in Langenthal. Vielleicht kann ich da noch erwähnen, dass wir – eben gerade wegen der zu kleinen Behandlungskapazität in unserer Region – seit zwei Jahren ein Pilotprojekt zur mobilen Akutbehandlung zu Hause führen. Da bleibt die kranke Person zu Hause und unsere Leute, also Ärzte, Psychologen, Pflegende und Sozialarbeiter, machen Hausbesuche, auch mehrmals täglich und bei Bedarf auch in der Nacht. So können wir in der Region schon ziemlichen Druck wegnehmen. Aber Schwerstkranke, die weder zu Hause noch auf einer offenen Abteilung behandelt werden können, müssen wir nach wie vor auf Akutstationen wie eben im PZM zuweisen.

Haben Sie auch Ausweichmöglichkeiten?
Ja. Wir psychiatrische Institutionen sprechen uns in solchen Situationen immer ab, auch jetzt. Die Kollegen der UPD Bern, der Klinik Wyss in Münchenbuchsee oder auch Meiringen und Burgdorf helfen mit, aber halt auch nur dann, wenn sie selber überhaupt freie Plätze haben. Umgekehrt haben wir auch schon Menschen aus dem Oberland oder Emmental bei uns hospitalisiert. Bei uns im Oberaargau kommen noch weitere Möglichkeiten dazu: Wir sind ja im nördlichen Zipfel des Kantons und könnten auch nach St. Urban zuweisen, aber dort ist man für Berner nicht aufnahmepflichtig, so dass wir in Notfallsituationen nur selten einen Platz bekommen können. Als im letzten Jahr noch mehr Betten geschlossen waren – nebst einer Akutstation im PZM war auch noch eine an den Universitären Psychiatrischen Diensten UPD wegen Personalmangel ausser Betrieb – haben wir auch schon mal in Solothurn oder Königsfelden im Aargau Plätze organisiert.

Könnten Sie notfalls auch eine Überbelegung verantworten?
Wir können kurzfristig und vorübergehend auf unseren zwei Stationen von je 17 auf 18 Betten gehen. Dann müssen wir aber die Personalreserven ausschöpfen.

Kurzfristig können Sie die weiteren Patienten auffangen – und langfristig, was passiert?
Langfristig steigt einfach der Druck auf das Behandlungssystem, was mir Sorgen macht. Man kann ja theoretisch durch eine Verkürzung der Hospi-talisationen mehr Kapazitäten schaffen, aber das hat seine klaren Grenzen und muss nach wie vor individuell abgewogen werden. Es ist halt schon so, dass es auch schon vor der Schliessung dieser zwölf Betten meist schwierig war, einen freien Platz zu bekommen.

Kann die Versorgung langfristig gewährleistet werden?
Wir gehen davon aus, dass die Notfallkapazitäten im PZM innert Monaten wieder hergestellt werden. Wir werden in allen Regionen auch die Devise «ambulant vor stationär» noch stärker umsetzen müssen; das bedingt aber, dass uns der Kanton in der Grundversorgung weiterhin unterstützt.

Haben Sie die Auswirkungen von Corona gespürt?
Ja. Vor allem jüngere Menschen haben sich vermehrt mit Angststörungen und Depressionen gemeldet. Bei der älteren Generation haben wir keine Zunahme erlebt.

Nehmen psychiatrische Erkrankungen zu?
Das ist eine gute und schwierige Frage. Klammern wir jetzt mal Corona aus: Die Krankenkassen stellen eine Zunahme der Behandlungen fest, das stimmt. Wir spüren das auch direkt, weil wir trotz stetiger Vergrösserung durchwegs stark belastet sind. Die Wissenschaft ist sich aber im Grundsatz einig, dass die ganz schweren psychiatrischen Krankheiten über die Länder und auch Zeiten etwa gleich geblieben sind. Wahrscheinlich sind wir in der Diagnostik besser geworden und unser Gesundheitssystem erfasst die Kranken früher. Und sie melden sich auch früher. Das wäre ja positiv. Eine Bestätigung dieser Theorie könnten auch die Zahlen der Suizide liefern, die in den letzten Jahrzehnten stetig gesunken sind. Es gibt auch Stimmen, die sagen, dass es in unserer Gesellschaft heutzutage früher auffällt, wenn man nicht mehr richtig funktioniert, und dass auch mehr Leistung gefordert wird, was uns an die seelische Grenze bringt.

Spüren Sie den Fachkräftemangel im SRO auch?
Ja. Schon länger bei der Ärzteschaft, nun ist bei uns auch der Mangel bei den Pflegekräften angekommen.

Wie gehen Sie mit diesem um?
Wir bemühen uns, eine gute Ausbildungsinstitution zu sein und haben bei der Ärzteschaft sehr gute Umfragewerte. Das freut mich enorm. In der Pflege machen wir jetzt vermehrt Anstrengungen, mehr Leute selber auszubilden und stehen in intensivem Kontakt mit den Pflegeschulen. Spital SRO hat auch bei der Lohnrunde etwas mehr ausgegeben, als die Verbände verlangt haben.