Finanzen, Negativpresse, Infektionsrisiko – die Risiken wiegen schwerer
Die Infektionszahlen steigen wieder, dem fallen auch immer wieder Anlässe zum Opfer. Das gesellschaftliche Leben hat sich verändert und droht phasenweise beinahe einzuschlafen. Als Geschäftsführer von Pro Regio ist Huttwils Gemeindepräsident Walter Rohrbach direkt damit konfrontiert. Er gibt zu, dass die Absage nicht immer nur die bessere, sondern auch die bequemere Lösung ist. Auch aus finanziellen Gründen ploppt deshalb immer mehr die Frage auf, wie es in der Eventbranche weiter gehen soll.
Leroy Ryser im Gespräch mit Walter Rohrbach, Geschäftsführer Pro Regio Huttwil
Walter Rohrbach, der Verein Pro Regio bezweckt die Förderung des gesellschaftlichen, kulturellen und sportlichen Zusammenlebens und des Tourismus in Huttwil. Kann man dies in der Corona-Zeit überhaupt noch vernünftig tun?
Zurzeit habe ich das Gefühl, dass alles unvernünftig ist. Es ist unvernünftig einen grossen Anlass durchzuführen, zugleich ist auch eine Absage unerfreulich. Um direkt und ehrlich zu antworten: Unseren Auftrag können wir zurzeit nur schwer erfüllen, denn zuoberst steht der Infektionsschutz für Teilnehmer und Besucher und diesen können wir bei den meisten Anlässen kaum garantieren. Wenn wir also zwischen Durchführung und Absagen abwägen, fällt es meist auf die Absagen-Seite, weil wir nicht gewährleisten können, dass nichts passiert.
Dafür gäbe es aber eigentlich Schutzkonzepte ...
Selbst mit einem guten Schutzkonzept bleibt ein grosses Restrisiko bestehen. Ich beachte das auch immer öfters bei grossen Shoppingcentern. Beim Eingang wird ein Brimbamborium veranstaltet, nach dem Eintritt ist aber alles schon wieder vergessen. Verkäufer kommen einem nahe, der Abstand unter Bekannten wird nicht mehr eingehalten – und genauso wäre das auch bei einem Anlass, den wir hier durchführen würden. Und letztlich finde ich, es genügt nicht, ein Konzept zu schreiben. Schliesslich ist man danach auch dafür verantwortlich, dass die geschriebenen Worte eingehalten werden. Und da fehlt uns das Personal, diese Vorgaben durchzusetzen.
Also kann man sagen: Die Herausforderung, dem eigenen Leitspruch zu folgen, ist derzeit ungleich grösser, verglichen mit dem letzten Jahr.
Bei der Pro Regio haben wir grundsätzlich zwei Standbeine: Beim Tourismus können wir sagen, dass es gut läuft. Wir haben auch bemerkt, dass mehr Leute Zuhause geblieben sind, als in anderen Jahren. Davon konnten wir profitieren. Trottinett-Routen beispielsweise fanden guten Anklang und wurden rege gebucht. Im Eventbereich ist es zurzeit aber tatsächlich so, dass wir gar nicht gross etwas tun können. Solche gesellschaftliche Anlässe leben schliesslich auch von der Stimmung und diese kommt zumeist gar nicht erst auf, weil man eingeschränkt ist. Sei es durch das Tragen einer Maske oder das Einhalten von Abständen. Ich sehe mich eigentlich eher als kreativen Mensch, der Ideen hat, eine passende Lösung fehlt mir in der jetzigen Situation aber dennoch, um solche Anlässe durchzuführen. Denn seien wir ehrlich: Unter den aktuellen Voraussetzungen fehlt dann auch die Motivation, weil wir wissen, dass der Event sowieso nicht so durchgeführt werden kann, wie wir das gerne hätten.
Das hat letztlich auch finanzielle Folgen. Insbesondere der Weihnachtsmarkt dürfte ein wichtiger Posten im Budget sein und auch hier droht eine Absage.
In unserem Budget ist das erste Halbjahr eines Jahres jeweils nicht so entscheidend. Entsprechend konnten wir unser letztes Geschäftsjahr vom Juli 2019 bis zum Juni 2020 einigermassen ansehnlich abschliessen. Zwar wiegt die Absage des «Buurechrieg» schwer, was das Resultat negativ werden lässt, aber damit können wir aufgrund unseres Eigenkapitals umgehen. Wenn wir aber in die Zukunft sehen, kommen erst jetzt jene Anlässe, mit welchen wir Profit machen würden. Und rund um den Weihnachtsmarkt ist nicht nur die Durchführung des eigenen Marktes entscheidend, sondern auch das Verleihen der Markt-Häuser. Werden wir absagen, dürften uns gleich mehrere Märkte in der Region mit diesem Entscheid folgen. Dann wiederum können wir die Erträge aus der Vermietung der Häuser abschreiben, was budgettechnisch sehr schwer wiegen würde.
Dann kann man sagen, dass Pro Regio ohne das Weihnachtsmarkt-Geschäft in Schwierigkeiten gerät?
Ja, die Probleme wären dann tatsächlich gross. Grundsätzlich haben wir einen gemeinnützigen Charakter und können einzelne defizitäre Geschäfte tragen, weil wir an anderen Orten Gewinn machen. Unser Bestreben, Huttwil zu beleben, braucht einen gewissen Aufwand, deshalb ist es kein Problem, dass beispielsweise der Käsemarkt eher defizitär ist. Im Allgemeinen streben wir aber eine schwarze Null an, das haben wir auch zumeist geschafft, aber ohne das Weihnachtsmarkt-Geschäft dürfte das kaum machbar sein.
Vereinzelt finden in der Schweiz solche Anlässe trotz allem statt. In Zofingen gibt es einen Sommerkino, in Rütschelen fand die Erst-August-Feier statt. Ist es nicht einfach die bequemere Lösung, diese Anlässe abzusagen, weil dann auch kein Aufwand anfällt?
Irgendwann wird man quasi «kritisch gemacht». Wenn alle rundherum sagen, dass etwas schlecht ist, dann ist es auch schlecht. Das ist wie ein Sog. Auch wenn ich zuerst auf eine Art denke, frage ich mich irgendwann, ob ich das Richtige mache. Und wenn ich nichts tue, mache ich vielleicht auch nichts falsch. Und ja, so gesehen ist das durchaus auch die bequemere Lösung, das will ich gar nicht leugnen. Aber wieso soll ich mir meine letzten Haare auf dem Kopf ausreissen, alles vorbereiten und organisieren, wenn ich es letztlich dennoch nicht durchführen kann, wie ich es gerne möchte? Und da kommt dann auch wieder der finanzielle Aspekt dazu. Wenn wir etwas tun, sind wir aktuell darauf angewiesen, dass ein entsprechender Event immerhin keinen Verlust schreibt. Also sind wir automatisch auch auf Besucher für solche Events angewiesen. Ohne die Menschen können wir in der Eventbranche kein Geld verdienen. Auch der Spitzensport in der Schweiz merkt das derzeit sehr gut. Aber ja, vielleicht ist eine Absage dann auch der bequemere Entscheid.
Noch ist der Weihnachtsmarkt nicht abgesagt. Wie sieht die Situation bei diesem Event aus?
Wir hatten erst letzte Woche eine Sitzung und haben entschieden, dass wir noch nicht entscheiden können. Wir werden bis am 5. Oktober entscheiden, ob wir den Event durchführen wollen. Das ist der letzte noch mögliche Zeitpunkt, um den Anlass organisieren zu können.
Falls der Weihnachtsmarkt stattfinden kann, wie sähe dieser aus?
Bereits jetzt ist klar, dass es quasi eine Light-Version geben würde. Wir müssten das Rahmenprogramm zweifellos reduzieren, auch weil wir Menschenansammlungen vermeiden wollen. Das heisst: Die Bühne würde wegfallen, die Raclette-Stube müssen wir überdenken, den Spielzeugmarkt würde es nicht geben und so weiter.
Wie stehen die Chancen, dass der Anlass durchgeführt wird?
Grundsätzlich möchten wir den Weihnachtsmarkt unbedingt durchführen. Er ist auch für den Detailhandel sehr wichtig, viele Geschäfte machen in dieser Woche einen entscheidenden Teil ihres Jahresumsatzes. Wenn ich die Situation aber heute anschaue, dann bin ich nicht wirklich positiv gestimmt. Ich denke, wir müssen die aktuelle Situation mit den Infektionszahlen erst wieder in den Griff bekommen. Natürlich würde da eine Impfung oder eine Medizin gegen das Virus helfen. Aber aktuell ist die Zuversicht eingeschränkt.
Wie reagieren die Schausteller auf die Absage der Märkte?
Hier gibt es fast schon eine Standard-Antwort. Es heisst dann immer, dass sie die Absage bedauern, diese aber nachvollziehen können und es verstehen, dass der Event nicht durchgeführt wird. Grundsätzlich möchten wir natürlich auch ihnen eine Möglichkeit bieten, ihre Waren zu präsentieren. Aber wir wollen unbedingt vermeiden, dass in Huttwil dereinst ein sogenannter «Super-Spreader-Anlass» stattfindet. Solche Negativ-Presse wollen wir vermeiden.
Und bisher war Huttwil tatsächlich wenig in der Presse, wenn es um Corona ging.
Tatsächlich, und da bin ich den Menschen hier sehr dankbar, die offensichtlich rücksichtsvoll mit der Situation umgehen. Man kann noch so viele Vorgaben erlassen, letztlich ist es eine Frage, wie die umgesetzt werden.
Unabhängig davon, wie lange uns die Pandemie noch beschäftigen wird, gehen viele davon aus, dass das Leben danach ein anderes sein wird. Was bedeutet dies für die Zukunft von Pro Regio? Sind Gross-Anlässe wie der Weihnachtsmarkt «Tempi passati»?
Ich glaube daran, dass uns diese ganze Situation ein bisschen zur Vernunft bringen wird. Corona hat uns brutal vor Augen geführt, wie anfällig unser Alltag ist. Und schliesslich gibt es keine Garantie, dass bald schon Covid-20 unser Leben auf den Kopf stellt. Ich denke wir müssen unser Leben so einrichten, dass wir so etwas besser verarbeiten können. Für die Eventbranche braucht es in diesem Zusammenhang zweifellos gewisse Überlegungen. Aber: Die Leute, die Besucher und Käufer brauchen wir weiterhin. Auch Sponsoring funktioniert nicht, wenn die Besucherzahlen nicht passen. Ohne Menschen funktioniert die Eventbranche quasi gar nicht.
Welche Folgen hätte dies?
Wenn das alles so bleibt, wie es jetzt ist, wird es eine unglaublich grosse Herausforderung, das gesellschaftliche Leben aufrecht zu erhalten. Wir sind christliche, soziale Menschen, die Wärme ausstrahlen. Denken Sie an eine Beerdigung: Wir zeigen Mitgefühl in dem wir die Menschen umarmen, trösten. Können wir das nicht mehr, verändern wir uns grundlegend. Wir würden zu kälteren Menschen werden. Der Mensch müsste sich quasi umformen und sich total ändern.
Das klingt drastisch ...
Ja, ich denke tatsächlich auch, dass das verrückt wäre. Und in dem Moment verstehe ich dann auch, dass Verschwörungstheorien Auftrieb erhalten. Ich bin zwar eigentlich nicht empfänglich für solche Meinungen, aber ich verstehe, dass man sich dann fragt, ob man uns gezielt zu kälteren Menschen machen will. Oder anders gesagt: Steuerbare Roboter.
Sie nehmen aber nicht nur die Position des Geschäftsführers von Pro Regio ein, sondern auch jene des Gemeindepräsidenten von Huttwil. Was sagt Ihr «politisches Ich» zu den Absagen vom Käsemarkt und dem historischen Handwerkermarkt?
Auch politisch gesehen sind diese Absagen für Huttwil nicht gut. Einerseits für die Bewohner, andererseits aber auch volkswirtschaftlich gesehen für die Geschäfte im Städtli. Aber auch als Gemeinde mussten wir Anlässe absagen, dazu gehören die Jungbürgerfeier oder die Dienstjubiläumsfeier, die wir nun verschoben haben. Auch hier könnte man nun sagen, man hätte den weniger bequemen Weg gehen können, aber andererseits wollten wir schlichtweg negative Presse vermeiden. Und zudem geht es uns vergleichsweise eigentlich noch gut in Huttwil.
Worauf sprechen Sie an?
Ich gehe im Winter gerne in den Süden. Auf den kanarischen Inseln haben die Menschen nichts mehr. Ohne den Tourismus läuft dort gar nichts. Hier in Huttwil haben zwar einzelne Betriebe zweifellos Schwierigkeiten, aber grundsätzlich ist weiterhin noch vieles möglich. Oder sehen wir uns unseren grössten Arbeitgeber an: Die Firma Flyer AG war diesen Sommer zweifellos im Hoch. Bei vielen handwerklichen Betrieben sind die Auftragsbücher auch weiterhin gut gefüllt. An dererseits haben wir auch bei der Gemeinde in Punkto Steuereinnahmen etwas tiefer budgetiert, weil man auch wegen der Kurzarbeit davon ausgehen kann, dass einzelne Bewohner weniger verdienten und deshalb etwas weniger Steuern bezahlen dürften.
Zuletzt sprechen wir noch ein anderes Pro-Regio-Projekt an, welches durch Corona ebenfalls beeinflusst wird: Der Mammutpark. Wie sieht die Situation hier aus?
Die Ausgangslage hat sich nicht stark verändert, tatsächlich haben wir dieses Projekt zuletzt etwas ruhen lassen. Wir haben bis zum 31. Dezember dieses Jahres quasi ein Vorbezugsrecht bei der Herdgemeinde für das Land. Also werden wir uns in den nächsten Wochen fragen müssen, ob wir dieses Projekt weiter verfolgen wollen. Letztlich ist es auch finanziell ein sehr grosses Projekt, für welches wir Geld brauchen, das im Moment vielleicht niemand sprechen möchte oder könnte. Klar ist, dass wir uns in den nächsten Wochen wieder etwas stärker damit auseinandersetzen, damit wir Ende Jahr wissen, ob wir allenfalls eine Verlängerung dieses Vorbezugsrechts beantragen, oder sogar das Land tatsächlich einvernehmen. Aber auch hier ist es derzeit schwierig, die Lage einzuschätzen.
Gehen wir einmal davon aus, dass die Corona-Krise bald nur noch eine Notiz in der Geschichte ist und wir mehr oder weniger zur Normalität zurückkehren können. Worauf freuen Sie sich als Geschäftsführer von Pro Regio und als Gemeindepräsident bereits heute?
Dass Menschen sich wieder so begegnen können, wie sie es sich gewohnt sind. So wie sie es gerne möchten. Heute werden wir von mehreren Seiten her gesteuert. Der Bund, der Kanton oder Veranstalter verbieten uns Dinge und schreiben uns Regeln vor, die für unser Handeln nicht typisch sind. Ich spreche beispielsweise unseren Abstand an. Wir sind geschichtlich anders gewachsen. Wenn wir Menschen kälter würden, sähe ich dies als grossen Verlust. Und deshalb wünsche ich mir, dass wir hier quasi zur vorherigen Normalität zurückkehren können.