• Unbetreute Seniorinnen und Senioren gibt es in den Altersheimen der «UE-»Region nicht. Doch spitzt sich die Lage mit dem Fachpersonalmangel zu. · Bilder: pexels

  • Höhere Löhne, kürzere Arbeitswochen, erleichterte Arbeitsbedingungen, bessere Ausbildung? Ideen gibt es viele, doch wer bezahlt sie?

06.09.2022
Oberaargau

Finden unsere Altersheime genug Personal?

Überall herrscht Personalmangel. Am schlimmsten seien die Pflegeberufe betroffen. Wie sieht die Situation in den Altersheimen aus? Der «Unter-Emmentaler» hat in der «UE» Region nachgefragt: Die Situation ist momentan nicht alarmierend aber auch nicht beruhigend. Die Schwierigkeit besteht vor allen Dingen darin, genügend Fachpersonal der Funktionsstufe 3 (diplomierte Pflegefachkraft) rekrutieren zu können. Und die Situation könnte sich weiter zuspitzen, was doch eher Sorgenfalten bereitet.

Es sei eine allgemeine Umbruchstimmung spürbar, nicht nur in den Pflegeberufen, meint etwa René Jaussi, Geschäftsleiter des Altersheimes Leimatt in Eriswil. «Wir mussten einige Stellen aufgrund Pensionierungen und Wechsel ersetzen. Es war nicht einfach, aber es ist uns gelungen und wir sind sehr froh darüber», sagt René Jaussi. Somit hätten sie momentan alle Stellen besetzt. Aber die Situation könne sich jederzeit ändern,  eine Garantie gebe es nicht.

Offene Stellen bei Pflegefachkräften
Im Seniorenpark Sonnegg Huttwil ist aktuell eine 50 Prozent-Stelle vakant. «Diese ist im Bereich der diplomierten Pflegefachpersonen der Funktionsstufe 3», erklärt Iris Schenker, Leiterin des Seniorenparks. Aufgrund des schweizweiten Mangels an Pflegefachpersonen werde es zunehmend schwieriger, gutes Personal der Funktionsstufe 3 zu finden», bedauert sie. Der Mangel an diplomierten Pflegefachkräften könne etwas gelindert werden, indem Pflegepersonen der Funktionsstufen 1 (Pflegeassistentin und -assistent SRK) und 2 (Krankenpflegerin und -pfleger FA SRK) grosszügiger als notwendig angestellt werden, erklärt sie die Gegenmassnahmen.
Für das Alterszentrum in Lotzwil bestehe gemessen am Mindeststellenplan und zum Richtstellenplan des Kantons momentan kein Defizit, im Gegenteil, sie würden sich sogar etwas über dem Richt-Stellplan bewegen, erklärt Heimleiter Roman Niederberger. «Aber für unseren gewünschten Stellenplan haben wir zurzeit 150 Stellenprozente offen. Hier sind Fachkräfte mit Eidgenössischen Fähigkeitszeugnissen oder der Höheren Fachschule gesucht.» Pflegehelfende seien auf dem Markt sehr gut verfügbar. Eigentlich seien diese 150 Stellenprozente nicht viel, doch da diese konzentriert ausgebildetes Personal betreffe, sei es punktuell herausfordernd. Für das Alterszentrum Lotzwil entwickelt sich die Situation erst seit kurzem Richtung eines drohenden Mangels und die Heimleitung behalte diese im Auge, so Roman Niederberger. «Denn viele vergessen, dass der Bedarf an Pflegenden schwankend ist (analog der Pflege-Einstufungen) und abgewogen werden muss, wann eine Personal-Anpassung im Dienstplan vorgenommen werden muss und soll.
In Rohrbach, dem Seniorenzentrum Sunnehof, sieht die Situation ebenfalls nicht gravierend aus. «Den Mindeststellenplan können wir momentan gut halten und den Alltag bewältigen, es kann und darf aber keine grossen Ausfälle beim Personal geben etwa durch Corona oder anderen Krankheiten», erklärt Manuela Studer, Heimleiterin ad Interim. Dennoch fehlt hier ebenfalls eine Stelle zu 100 Prozent in der Funktionsstufe 3. Je nach Pflegebedürftigkeit der Bewohnenden schwanke dies.

Immer mehr Menschen werden älter
Die Gründe für den in der Schweiz herrschenden Personalmangel sieht Iris Schenker vom Seniorenpark Sonnegg in Huttwil in der Überalterung der Schweiz. Alleine in Huttwil gebe es fünf Institutionen, die Pflege und Betreuung anbieten würden. Und auch die angrenzenden Gemeinden Schwarzenbach, Eriswil und Rohrbach hätten Betriebe, welche Berufsleute derselben Gruppe benötigten. Zudem werde die Akutpflege oder Spitex vor allem von jungen diplomierten Pflegefachpersonen als interessanter angesehen als die Langzeitpflege. «Der Pflegeberuf ist ein typischer Frauenberuf und die Wertschätzung in der Gesellschaft ist nur teilweise gegeben», begründet sie weiter. Manuela Studer meint zur Personalmangelproblematik: «Wir haben unsere Institution auf dem Lande, das ist weniger attraktiv als in der Stadt. Zudem gibt es oft Forderungen in den Bewerbungen wie etwa kein Spätdienst oder Wochenenddienst.» Das mache es natürlich nicht einfacher, sagt sie.

Pandemie verstärkte Mangel
«Der Mangel ist schon seit ein paar Jahren immer wieder spürbar. Phasen, in denen alle Stellen besetzt sind, wechseln ab mit Phasen, in denen es unmöglich scheint, genügend Personal zu finden», sagt Iris Schenker. Wurde der Mangel durch Corona verstärkt? «Eindeutig. Die Pandemiejahre 2020 und 2021 führten zu ausserordentlichen Belastungen im Pflegebereich. Gerade gut ausgebildete Pflegepersonen haben in dieser Krisenzeit ihren Beruf verlassen. Man kann nur hoffen, dass sie wieder zurückkehren», sagt sie. Um das bestehende Personal nicht bis ans oder gar über das Limit zu belasten, werden bei Personalmangel an der Sonnegg leer werdende Zimmer nicht wieder sofort besetzt. So lasse sich das Gleichgewicht halten.
Roman Niederberger vom Alterszen-trum Lotzwil sieht keine Verstärkung des Personalmangels durch die Pandemie. «Vermutlich ist die sich wandelnde Demografie mitverantwortlich und der allgemein fehlende Fachkräfteanteil. Das Personal ist gefordert, auch durch Negativmeldungen aus Berichterstattungen oder auf sozialen Plattformen, welche teils negativ ansteckend wirken», meint er. Die Zukunft sieht er in etwa so: «Schon durch den demografischen Wandel wird es weniger Menschen geben, die mehr Leute zu pflegen haben werden.» Manuela Studer hingegen meint: «Corona hat noch mehr Personal dazu gebracht, nicht mehr in diesem Beruf zu arbeiten. Denn es kann zu längeren Arbeitstagen und mehr Überzeiten kommen, wenn Corona im Hause ist.»

Situation könnte sich zuspitzen
«Angesichts des demografischen Wan-dels ist damit zu rechnen, dass sich die Situation zuspitzt», meint Iris Schenker. Denn, gemessen am Bedarf sei es kaum möglich, genügend Fachkräfte auszubilden. Zudem würden viele Ausgebildete nicht in ihrem Beruf verbleiben oder arbeitet niederprozentig.
Roman Niederberger ist der Meinung, dass zurzeit nicht genug Fachkräfte ausgebildet werden. Es wäre möglich, mehr Personal auszubilden, doch sei die Nachfrage seitens der Auszubildenden zu gering, meint er. Es habe sehr viele negative Berichterstattungen gegeben, welche abschrecken würden. «Es wäre schön, wenn man auch mal über die positiven Seiten dieser Ausbildung(en) berichten würde. Gerade in der Langzeitpflege ist der Bezug zum Menschen, wegen dem viele eine Pflegeausbildung machen, stark vorhanden», meint er. Zudem könnte man mehr über Aktivitäten in den Heimen berichten wie etwa über Ausflüge oder den Heimalltag, der bei wahrscheinlich 95 Prozent der Heime sehr angenehm sei.  «Zudem stellt sich die Frage: Was machen ältere Menschen, die noch privat daheim wohnen? Unternehmen sie wirklich mehr als jene in Altersheimen? Wie sieht es mit deren Vereinsamung aus?», ergänzt er.
Pflege bleibe Pflege, meint etwa Iris Schenker. Die anfallenden Arbeiten liessen sich nicht grundsätzlich verändern. Aber Spielraum bestehe etwa bei Dienstzeiten und natürlich bei der Honorierung der Arbeit mit Lohn, Sozialleistungen, Ferien, «Fringe Benefits» (Lohnnebenleistungen der Arbeitgebenden) und einiges mehr. Doch diese monetären Anreize könnten nicht beliebig weiter angehoben werden. «Das Gesundheitswesen der Schweiz ist schon jetzt nicht mehr für alle bezahlbar», sagt sie mit Nachdruck. Dennoch befassen sich der Stiftungsrat und die Geschäftsführung des Seniorenparks Sonnegg aktiv mit der Verbesserung der Anstellungsbedingungen, um im Wettbewerb um die besten Pflegefachleute ganz vorne dabei zu sein.

Wer bezahlt die höheren Löhne?
Roman Niederberger erklärt: «Die Einnahmen sind seitens des Gesundheitssystems klar geregelt: Rund 75 Prozent der Einnahmen geben wir für die Löhne wieder aus. Unser Finanzziel ist eine schwarze Null, da wir für die Bewohnenden der Verbandsgemeinden eine Dienstleistung erbringen. In diesem Rahmen versuchen wir, ein möglichst attraktiver Arbeitgeber zu sein, sei es mit Weiterbildungen, Personalanlässen und einem guten Klima. Dieses erreichen wir, indem wir die gegenseitige Unterstützung fördern und leben.» In Rohrbach sieht Manuela Studer die Zukunft ähnlich: «Ja, es ist eng und wird eventuell immer noch enger werden. Der Markt mit Fachpersonen ist momentan sehr ausgetrocknet.» Zudem denkt sie, dass zu wenige Fachkräfte ausgebildet werden. «Es bräuchte mehr oder andere Vorgaben von der Gesundheitsdirektion, um die Anforderungen erfüllen zu können», sagt sie mit Nachdruck. Um die bestehenden Pflegenden und auch wieder mehr Junge für den Beruf zu motivieren meint Manuela Studer: «Ich denke, die Nachhaltigkeit ist wichtig, um zu verhindern, dass viele gute Mitarbeitende die Motivation und Lust an diesem Beruf verlieren und aussteigen. Die Ausbildung soll der Realität entsprechend sein und trotzdem attraktiv.» Müssten die Anstellungsbedingungen verbessert werden? «Das ist eine gute Frage, doch wer bezahlt die  höheren Löhne? Oder wenn die Stundenzahl einer Arbeitswoche tiefer wird, wer übernimmt die Kosten? Es ist verzwickt. Einerseits müssten hier Anpassungen vorgenommen werden, doch darf es für die Bewohnenden nicht teurer werden», sagt Manuela Studer. «Um unser Heim für Pflegende attraktiv zu gestalten, arbeiten wir mit einem ‹Pegasus Spine Gerät›, das die Mobilität der Bewohnenden fördert.  Dadurch wird die körperliche Belastung der Pflegenden geringer. Wir setzen dieses Gerät nun seit Mitte April ein und haben gute Erfolge», freut sich Manuela Studer.

Von Marianne Ruch