• Nahm sich Zeit für Fragen auch nach dem Vortrag: Christoph Ott (Präsident des Ärztebezirksvereins Oberaargau) im Gespräch. · Bild: tpg

05.03.2019
Oberaargau

Fliegende Ärzte sorgen für erhoffte Entlastung

Seit bald 14 Monaten ist der Notfalldienst im Oberaargau neu organisiert. «Mobile Ärzte» entlasten die SRO-Notfallpraxis der Hausärzte bei Hausbesuchen ausserhalb der Bürozeit. Christoph Ott (Präsident des Ärztebezirksvereins Oberaargau) zog an einem Vortrag im Alterszentrum Haslibrunnen ein erstes positives Fazit. Zuvor aber entführte er die gut 80 Besucher in amüsant Pikantes und fast schon Gruseliges der Ärzteschaft des 19. und 20. Jahrhunderts.

Oberaargau · Das Interesse am Vortrag zur Neuorganisation des Notfalldienstes Oberaargau war gross. Zusätzliche Stühle mussten im Alterszentrum Haslibrunnen aufgefahren werden, um für alle der über 80 Zuhörerinnen und Zu-hörer eine Sitzgelegenheit bieten zu können.
Und Hausarzt Christoph Ott (Präsident des Ärztebezirksvereins Oberaargau) machte es spannend, liess heute fast schon kurios und gruselig anmutende Anekdoten aus dem Ärztewesen des 19. und 20. Jahrhunderts einflies-sen, bevor er die trockeneren Fakten zur aktuellen Situation servierte. «Wer um 1800 Mediziner werden wollte, machte schon ab 14 Jahren eine Lehre bei einem gestandenen Arzt, ein Studium gab es nicht.»
Die sogenannten Wundärzte (heutige Chirurgen) seien keine eigentlichen Mediziner, sondern vor allem Handwerker mit entsprechend brachialer Ausbildung. «Die haben einfach aufgestochen oder abgeschnitten, was weh tat, ohne Narkose.» Manche haben es überlebt, viele nicht. «Wenn der Wundarzt kam, dann wusste man: Das Ende steht bevor.»

Ärztinnen unerwünscht
Die damaligen Ärzte waren auch im Oberaargau hauptsächlich Einzelkämpfer, bevor sie 1809 in Burgdorf die Bernische Ärztegesellschaft gründeten. 1840 wurde der Ärztebezirksverein Oberaargau (ABV Oberaargau) im «Löwen» in Langenthal gegründet. Medizinische Themen wurden an den Zusammenkünften zwar erörtert, aber auch tief, sehr tief ins Wein- und Schnapsglas geschaut und zwei bis drei Flaschen pro Kopf vertilgt. Die Zunahme der Seriosität der Ärzteschaft ging aber mit der medizinischen Entwicklung einher.
Mit der Eröffnung der Bezirksspitäler (Herzogenbuchsee 1871, Langenthal 1875, Niederbipp 1902 und Huttwil 1903) kam es auch zu einer Abgrenzung zwischen den Landärzten als Allrounder und den Spitalärzten als Spezialisten. Doch taten sich die Ärzte mit der Gleichberechtigung schwer. Mehrmals habe die von 1920 bis 1952 in Wiedlisbach tätige Elisabeth Wildbolz um eine Aufnahme in den Ärztebezirksverein Oberaargau bemüht. Sie wurde stets abgelehnt. Und als der Verein endlich einwilligte, dann wollte sie nicht mehr.

Gruppenpraxen im Vormarsch
«Gut ein Viertel der aktuell 237 Mitglieder des Bezirksvereins sind Frauen», leitete Christoph Ott mit Blick auf die Ärztinnensituation in die Gegenwart über. Knapp ein Drittel aller Mitglieder heute sind noch Allgemeinmediziner, zwei Drittel Spezialisten. Auch die Praxisstruktur habe sich geändert. Die meisten Hausärzte sind nicht mehr Einzelkämpfer, sondern hätten sich in den im Oberaargau total 85 Gruppenpraxen zusammengeschlossen, während vor allem Spezialisten wie Gynäkologen, Augen- und Ohrenärzte oder Psychiater die 37 Einzelpraxen führen.

Notfalldienst im Wandel
«Jeder Arzt, der über eine Berufsausübungsbewilligung verfügt, muss Notfalldienst leisten oder eine Ersatzabgabe zahlen.» Christoph Ott kam auf dem Kern seines Referates zu sprechen, dem Wandel des Notfalldienstes im Oberaargau in jüngster Zeit. «Jeder Bezirksverein hat da seine eigene Regelung gefunden.» Im Oberaargau organisieren sowohl die Spitalärzte vom SRO (Spital Region Oberaargau) als auch die Spezialisten den Dienst unter sich.
Die notfalldienstpflichtigen Hausärzte des Ärztebezirkvereins Oberaargau haben ebenfalls eine gemeinsame Lösung angestrebt und 2009 die Notfallpraxis am Spital Langenthal in Betrieb genommen, an der gegenwärtig jährlich über 4000 Patienten behandelt werden. Während 24 Stunden am Tag können sich hier Patienten anmelden (062 916 33 19), erhalten Telefonauskünfte oder werden ab 18 bis 21 Uhr (an Werktagen) und 13 bis 19 Uhr (an Feiertagen und Wochenenden) im Bedarfsfall in die Notfallpraxis ins Spital Langenthal bestellt, wie es Christoph Ott umschrieb.
Die Notfallpraxis organisierte zudem bis Ende 2017 Heim- und Hausbesuche ausserhalb der Hausarztpraxiszeiten, falls dies gewünscht und der Patient nicht mobil war.
Dieser Hintergrunddienst wurde von den Oberaargauer Hausärzten bestritten und bedeutete für sie eine zunehmend grösser werdende Belastung. 24 Stunden Bereitschaft während einer ganzen Woche, ein grosses Einzugsgebiet, dafür eine schlechte Entlöhnung (100 Franken) und Einsätze auch bei Nacht und auf abgelegenen Höfen. «Müttern oder jungen Familienvätern ist es immer schwieriger gefallen, die Betreuung ihrer Kinder zu organisieren.» Deshalb habe man neue Lösungen gesucht und sei 2018 als erster Bezirksverein im Kanton Bern eine Partnerschaft mit der «Mobilen Ärzte AG» von Pratteln eingegangen, «auch wenn die Ärztegesellschaft des Kantons Bern es vorgezogen hätte, eine kantonale Lösung zu finden.»

Vorteile für Heime und Ältere
«Was hat diese Partnerschaft mit der ‹Mobilen Ärzte AG› gebracht?» Christoph Ott beantwortete die Frage gleich selber. Er sieht vor allem Vorteil für Heime und ältere Menschen. Die «Mobilen Ärzte» verfügten über gut ausgerüstete Fahrzeuge für ihre Hausbesuche. Sie könnten somit den vorliegenden Notfall abschliessend behandeln, orientieren den zuständigen Hausarzt mit einem Bericht und übergeben den Patienten an ihn weiter. Die «Mobilen Ärzte» arbeiten in eigener Verantwortung. Dies sei auch gleich ein Nachteil, weil die «Mobilen Ärzte» eher zu einem Hausbesuch drängen, da sie auf eigene Rechnung arbeiten.
Gegenüber einem Hausarztbesuch (60 Franken) betrage der Tarif der «Mobilen Ärzte» 350 Franken, doch werden auch diese Kosten von der Krankenkasse übernommen. Dieser Betrag sei wiederum günstiger, als wenn ein Transport durch den Rettungsdienst ausgeführt werde.

Lange Anfahrtswege
Die bisherigen Erfahrungen bezeichnete Christoph Ott durchaus als positiv. Bei der für Patienten eingerichteten Meldestelle seien nur Rückmeldungen über organisatorische, nicht aber über fachliche Probleme eingegangenen. Hingegen dauere es zum Teil sehr lange, bis die «Mobilen Ärzte» vor Ort seien, da die Einsatzzentrale in Allschwil sei. Doch habe man nun einen Einsatzposten in Wynau eingerichtet, zudem patrouillieren die Fahrzeuge. Eher unglücklich sei man beim SRO, da die Abgrenzung zum Rettungsdienst nicht immer klar sei. «Sehr zufrieden ist aber die Hausärzteschaft, für die diese Lösung eine enorme Entlastung bedeutet.»

Von Thomas Peter