Forstarbeiten: Faszination mit Gefahr
Das meiste Holz wird im Winter geschlagen, bei Minustemperaturen und Schnee. Die Arbeiten sind im Winter anspruchsvoller als im Sommer – dennoch werden die meisten Bäume zu dieser Jahreszeit gefällt. Warum eigentlich?
Luthern · Noch ist es still im verschneiten Wald, aber nicht mehr lange: Das «letzte Stündchen» eines schlagreifen Ahorns hat geschlagen. Ruhig und konzentriert steht der in Luthern wohnhafte Christian Baumgartner vor dem Baum. Als erstes beurteilt er ihn: Wie steht er? Wohin soll er gefällt werden? Was ist in der Nähe und muss abgesperrt werden? Muss man den Ahorn eventuell anbinden, um ihn mit der Seilwinde in die richtige Richtung ziehen zu können? Und ganz wichtig: «Bevor die Motorsäge überhaupt gestartet wird, schaue ich, wo mein Rückzugsort sein wird, wenn der Ahorn fällt», sagt Christian Baumgartner.
Unfälle hautnah miterlebt
Der 47-Jährige weiss, wovon er spricht, denn er hat auch schon Unfälle miterleben müssen. Einmal sogar einen tödlichen, bei dem ein Mann eingeklemmt wurde und verstarb. Das sei sehr tragisch gewesen. Es dauerte seine Zeit, bis er dieses Unglück verarbeiten konnte, blickt Christian Baumgartner zurück.
Bei solch schweren Schicksalsschlägen sei es auch wichtig, aus dem Geschehenen Lehren für sich und andere zu ziehen. Was war passiert und warum? Was kann man selber dazu beitragen, dass so etwas nicht mehr passiert? Den Mut, nach so einem tragischen Unfall weiterzumachen, finde man, in dem man wieder Holzen gehe. «Angst darf man keine haben, aber niemals den Respekt verlieren», betont Christian Baumgartner. Gutes Schuhwerk und Schutzausrüstung, ruhig und besonnen an die Arbeit gehen und für die Sicherheit sorgen – das sei das Wichtigste. Und natürlich die gute Wartung und stetige Kontrolle der Gerätschaften.
Der wichtige Blick nach oben
Christian Baumberger hat alles abgecheckt. Jetzt geht es ans Fällen: Der erste Schnitt ist die Fallkerbe – in diese Richtung soll der Ahorn fallen. Und erst danach wird der Fällschnitt gemacht. Ein zu fällender Baum wird nie ganz durchgesägt. Das sogenannte «Halteband» muss bleiben, damit der Ahorn in die Richtung der Fallkerbe fällt. «Wenn er fällt, kann ich nichts mehr an der Richtung ändern, ich kann nur noch für meine Sicherheit sorgen», erzählt Christian Baumgartner. Wenn der Ahorn anfängt zu fallen, soll man immer nach oben schauen, denn es könnten immer noch hängengebliebene Äste herunterfallen, oder der Baum kann sich noch drehen. Und dann heisst es warten, bis alles still steht.
Faszination und Leidenschaft
Bereits als Schuljunge war Christian Baumgartner mit seinem Vater im Wald unterwegs. So richtig mit dem Holzen – als Verdienst – fing er dann 1999 nach dem Sturm Lothar an. Das sei eine besondere Herausforderung gewesen, da sehr viel Sturmholz aufzuräumen war. Da liegt alles kreuz und quer. Ein kleiner Schnitt an einer Tanne genüge und alles könne sich in Bewegung setzen und sehr gefährlich werden. Doch allen Gefahren und Unfällen zum Trotz: Christian Baumgartner liebt seine Tätigkeit. Die Freiheit, die Natur, das Draussensein und die Abwechslung gehören zum Gesamtpaket und ermöglichen ihm, diese schöne Leidenschaft zu geniessen. «Der Wald gehört schon ein bisschen zu mir und ich zum Wald», schmunzelt er. «Für mich ist es faszinierend, zu sehen, wie und wo die Bäume gewachsen sind. Zum Teil stehen sie an unmöglichen Orten und trotzen jedem Wind und Wetter», schwärmt er. «Solange es irgendwie geht, werde ich im Wald als Holzer unterwegs sein», sagt er zufrieden lächelnd und mit Nachdruck.
Kaum Schäden im Winter
Aber warum wird denn gerade in dieser manchmal doch garstigen kalten Winterzeit Holz gefällt, wenn Schneemassen auf den Ästen die Gefahren noch erhöhen? Der erste und wichtigste Grund sei, dass das Holz in der Winterzeit nicht im Saft stehe. Es trockne somit besser und verziehe sich beim Trocknungsprozess weniger. Beim Holzfällen könne es vorkommen, dass eine fallende Tanne eine andere, noch stehende verletze. Der Schaden an der Tanne ist dann aber weniger gravierend, als wenn sie mitten im Saft stehen würde. Auch der Boden werde im Winter weniger beansprucht. Wenn es Schnee hat und gefroren ist, gebe es kaum Spuren und Löcher und im Frühling sei dann oft nicht oder zumindest kaum sichtbar, dass ein paar Monate vorher Holz gefällt und die Stämme geschleift wurden. Wenn allerdings zu viel Schnee liege oder es stürme, dann könne man nicht holzen gehen. «Im Sommer ist es dafür oft schlicht und einfach zu heiss», sagt Christian Baumgartner, der seit über 20 Jahren Forstarbeiter ist.
Doch ob Sommer oder Winter, die Schnittschutz-Kleidung und der Helm müssen immer getragen werden. Wenn aber der Borkenkäfer im Holz am Werk sei, dann müsse man auch im Sommer sofort handeln. Eine vom Borkenkäfer befallene Tanne sei bei heissem Wetter nach rund einer Woche so beschädigt, dass sie absterbe. Und der Käfer ziehe weiter zur nächsten Tanne. Hier müssen die befallenen Tannen schnell gefällt und am besten sofort aus dem Wald entfernt werden. Oder man schält die gefällte Tanne im Wald maschinell, so werden die Käfer auch vernichtet. Nur so könne man wieder Herr über den Borkenkäfer werden, sagt Christian Baumgartner.
Waldpflege ist wichtig
Holzschläge und Forstarbeiten seien für die Waldpflege deshalb enorm wichtig. Der Wald muss gepflegt werden, ansonsten besteht die Gefahr der Überalterung. Die jungen Bäume können im Schatten der grossen, alten Tannen nicht nachwachsen. Ein Waldstück mit vielen alten Bäumen müsse dementsprechend sorgfältig aussortiert werden. Werden nämlich zu viele Bäume auf einmal gefällt, besteht die Gefahr, dass bei einem Sturm die restlichen umgeweht werden. «Manchmal ist es hier besser, wenn man gleich alle alten Bäume fällt und dann neue pflanzt», erklärt Christian Baumgartner. Es sei wie bei jeder anderen Kultur auch: Pflege man sie nicht, wachse irgendwann nichts mehr. Der Wald sei wertvoller Rohstoff, der zwar nachwächst. Doch müsse man Sorge zu ihm tragen.
Obligatorische Kurse für Waldarbeitende
Um die Unfallgefahr möglichst gering zu halten, müssen Waldarbeitende Kurse absolvieren. Seit diesem Jahr sind diese Kurse sogar obligatorisch. Ohne sie dürfen die Waldarbeitenden, die in Lohnarbeiten unterwegs sind, keine Bäume mehr fällen. In den Kursen werden unter anderem auch die schwierigen Fälle angeschaut und gelehrt. Trotz der zu leistenden Kurse: Vieles könne man einfach nur durch die Erfahrungen, die man im Laufe der Zeit mache, lernen, sagt Christian Baumgartner. Denn kein Holz sei wie das andere, keine Tanne gleich. Bei Hartholz wie einer Buche oder einer Esche beispielsweise, müsse man besonders aufpassen. Hier sei die Gefahr gross, dass sie sich beim Umsägen aufspalten, da dieses Holz kurzfaseriger sei als bei einer Tanne.
«Ein Mann, ist kein Mann», das ist ein ungeschriebenes Gesetz und soll heissen, dass nie ein Mann alleine in den Wald gehen soll. Ein weiterer Grundsatz besteht darin, dass wenn eine Tanne über eine Strasse gefällt werden muss, sollen stets zwei Männer aufpassen. Denn oft komme es vor, dass ein Fussgänger oder Velofahrer noch schnell die Strasse überqueren wolle. Das sei enorm gefährlich, sagt Christian Baumgartner.
Lernende verunfallen oft
In Schweizer Forstbetrieben komme es jährlich zu rund 1700 Berufsunfällen. Die schwersten Unfälle ereignen sich beim Fällen von Bäumen. Über 30 davon endeten in den letzten zehn Jahren tödlich. Jährlich erleide fast jeder zweite Lernende eines Forstbetriebs einen Unfall. Die Hauptgefahren bei forstlichen Arbeiten: Getroffen werden von Baumteilen oder Steinen; Abrutschen in steilem Gelände; Eingeklemmt und gequetscht werden. Auch die Überlastung beim Heben oder Tragen sowie ungünstige Körperhaltungen und Bewegungen führen zu Unfällen.
Von Marianne Ruch