Gebaut wird für Rendite statt für Menschen
Der Verein PorziAreal in Langenthal wehrt sich gegen die Ausbau-Pläne der Ducksch Anliker Architekten AG, Langenthal, Inhaberin des Porzi-Areals. An einer Forumsdiskussion zeigten verschiedene Redner die Auswirkungen des «Bauwahns», der die Schweiz erfasst hat und wie man sich erfolgreich gegen Grossprojekte in ländlichen Regionen zur Wehr setzt. Professorin Christine Seidler warnte diesbezüglich vor einer «Huttwilisierung der Schweiz».
Das Centro Espanol in Langenthal war an diesem Abend sehr gut besetzt. Angelockt wurden die Leute vom Verein PorziAreal, der unter dem Titel «Die Huttwilisierung der Schweiz» zu einer Forumsdiskussion mit illustren Gästen lud. Anhand von Beispielen aus den Gemeinden Huttwil, Belp, Langenthal, Niederbipp und Sagogn wurde die aktuelle Siedlungsentwicklung in der Schweiz und deren Auswirkungen dargestellt.
Christine Seidler, Professorin für Urbane Entwicklung und Siedlungsökonomie, erläuterte zu Beginn den Anwesenden den Begriff «Huttwilisierung der Schweiz». Im Rahmen eines Forschungsprojekts untersuchte Seidler Ursachen und Wirkungen des Wohnungsleerstandes in Gemeinden, insbesondere am Beispiel von Huttwil, das einen rekordhohen Leerstand an Wohnungen aufweist und damit für schweizweite Schlagzeilen sorgt.
Verödung von Dörfern und Städten
Die Städte würden schrumpfen, doch es werde munter weiter gebaut, erläuterte Christine Seidler gleich zu Beginn. Unser gesamtes wirtschaftliches und politisches Denken sei auf Wachstum ausgerichtet. Weil keine vernünftigen Anlagen mehr zur Verfügung stehen, könne Wachstum aktuell praktisch nur über Immobilien erzielt werden, gab Seidler zu verstehen. «Gebaut wird nur für Renditen statt für Menschen», kritisierte sie. Neubauten würden hauptsächlich ausserhalb der Zentren von Städten und Dörfern erstellt. Dies führe zu einer Entleerung des Zentrums und damit zu einer Verödung des Dorf- oder Stadtkerns, weil die Leute ihre alten Wohnungen verlassen und in die Neubauten am Stadtrand ziehen würden.
Die Folge sei der Zerfall des Dorfzentrums, eine ökonomische Erosion der Gemeindefinanzen und letztendlich eine Abwanderung der Bewohner. Dies lasse sich am Beispiel von Huttwil eindrücklich darstellen. Seidler zeigte eine Karte mit den leerstehenden Wohnungen im Zentrum des «Städtli». Sie sprach in diesem Zusammenhang von einem volkswirtschaftlichen Drama, das sich aktuell in Huttwil, aber auch immer mehr in anderen Orten abspiele. «Denn Huttwil ist bloss die Spitze des Eisbergs, von dieser Entwicklung werden noch andere Gemeinden betroffen sein», ist Christine Seidler überzeugt.
Bipper verteidigen Lebensraum
Wie sich in Nidau Bevölkerung und Stadtparlament erfolgreich gegen ein Grossprojekt zur Wehr setzten, schilderte der Nidauer Stadtrat Markus Baumann (SVP). Die «Vision AGGLOlac» von 2008 beschreibt das Konzept einer Stadterweiterung an den See, mit einem Wohnquartier und einer Erholungszone am Wasser. Was auf den ersten Blick vielversprechend und sympathisch aussehe, habe sich bei genauerer Betrachtung als Riesenüberbauung mit sieben bis neun Meter hohen Betonklötzen, einem 70 Meter hohen Hochhaus sowie einem Hotelkomplex herausgestellt – alles in Seenähe, quasi auf dem «Filet-Stück» der Region, erläuterte Baumann.
«Das hätte für Nidau ein enormes Wachstum bedeutet, dem die Stadt infrastrukturmässig gar nicht gewachsen gewesen wäre. Das wollten wir nicht.» Mit dem Verein «STOP AGGLOlac» bekämpfte er erfolgreich das Projekt, das im Frühjahr 2021 von den beiden Stadtparlamenten Biel und Nidau abgelehnt wurde. Baumann wies diesbezüglich darauf hin, dass im Nidauer Parlament gar ein Stichentscheid nötig gewesen sei und weil er damals Stadtratspräsident gewesen sei, habe er höchst persönlich diesen Stichentscheid fällen dürfen und das Projekt im «See versenkt».
In Niederbipp wiederum wehrten sich im Frühjahr Bürger mittels einer Petition gegen den Bau diverser Grossprojekte. Petitionär Peter Brotschi bezeichnete diesbezüglich Niederbipp als Dorf, das im Beton versinke. 750 Bürger hätten sich deshalb dazu entschlossen, gegen den Bauwahn anzukämpfen. «Wir verteidigen unseren Lebensraum, den wir nicht einfach Grossinvestoren überlassen wollen», begründete er den Vorstoss.
Martin Bundi aus der Bündner Gemeinde Sagogn schilderte, wie der Bauboom den Ort in der Nähe von Laax zu einem «Geisterdorf» werden liess, weil der Zweitwohnungsanteil mittlerweile bei 55 Prozent liegt, Tendenz steigend. «Viele Häuser sind unbewohnt, lediglich zwischen Weihnachten und Neujahr ist das Dorf richtig bevölkert.»
Niedriger Wahrheitsgehalt
Einen Kontra-Punkt setzte anschliessend Benjamin Marti, Gemeindepräsident von Belp. Anlass dazu gab ihm die Einladung zur Forumsdiskussion des Vereins PorziAreal. Darauf ist eine Fotomontage platziert, die das Porzi-Areal mit lauter Hochhäusern zeigt. «Hier wird ein Element in den Vordergrund gerückt und alle anderen Elemente auf diesem Areal werden komplett ausgeblendet. Damit bringt der Verein etwas in die Köpfe der Langenthalerinnen und Langenthaler, das schlicht nicht der Wahrheit entspricht, zumal bislang noch kein einziges Hochhaus auf dem Areal steht», kritisierte er die Aufmachung des Einladungsschreibens.
Porzi-Areal gleich Hochhaus-Siedlung werde da suggeriert. Was sonst noch auf diesem Areal entstehe, was unverändert bleibe oder lediglich sanft erneuert werde, würden die Verantwortlichen des Vereins unerwähnt lassen. Mit einem so niedrigen Wahrheitsgehalt zu argumentieren sei nicht richtig. Marti wies die Vereinsmitglieder darauf hin, dass sie auch in Sachen Kommunikation in der Verantwortung stehen würden und diese gegenüber dem Bürger wahrzunehmen hätten. «Ihr wollt, dass einfach alles so bleibt, wie es ist. Aber die Wahrheit ist, dass die Welt nie so bleiben wird, wie sie ist», beendete er seine Ausführungen an die Adresse des Vereins ProziAreal.
Marc Frühauf vom Verein PorziAreal äusserte anschliessend die Hoffnung, dass sich die Entwicklung auf dem Areal an den aktuellen Nutzern orientiert, so, wie dies in Industrie-Quartieren in anderen Städten auch der Fall sei. Als Verein habe man keine grossen Möglichkeiten, Einfluss auf die Entwicklung zu nehmen. Wichtig sei für ihn einfach, dass ein Dialog mit dem Eigentümer stattfinde, «damit wir nicht von den Ereignissen auf dem Porzi-Areal überrollt werden».
Von Walter Ryser