Gedenkbrunnen zum 100-Jahr-Jubiläum
Der Gemeinderat und die Kommission Ver- und Entsorgung haben zum Jubiläum «100 Jahre Wasserversorgung Rütschelen» am Bergwaldweg 4 einen Gedenkbrunnen eingeweiht und der interessierten Bevölkerung im Reservoir zudem einen Tag der offenen Tür geboten.
Rütschelen · Die Gemeinde Rütschelen zählt zwar nur rund 580 Einwohner, vermag aber immer wieder zu beeindrucken – auch mit einem intakten Vereinsleben der sechs Institutionen. So lädt beispielsweise der Dorfverein regelmässig zu Ausstellungen in den Dorfspycher ein, und die Singlüt entzückten diesen Sommer wieder mit einem Freilichtspiel auf dem Flüehli, dem «Dällebach Kari». Nicht auf dem Flüehli, sondern am Bergwaldweg 4 feierten am Wochenende über 100 Interessierte die Einweihung eines Gedenkbrunnens aus Anlass des Jubiläums «100 Jahre Wasserversorgung Rütschelen». Bei der Begrüssung kam Rütschelens Gemein-de-präsident Stefan Herrmann auf die vier Elemente Feuer, Erde, Luft und Wasser zu sprechen, wobei er das Wasser als «kostbares und lebensnotwendiges Gut» bezeichnete.
Rütschelen und Lotzwil uneinig
Spannendes wusste Gemeinderat Fritz Leuenberger, zuständig fürs Ressort Ver- und Entsorgung, zur Geschichte «100 Jahre Wasserversorgung Rütsche-len» zu erzählen. Die Entstehung habe im Jahr 1920 begonnen, weil damals eine ausserordentliche Trockenheit geherrscht habe, die vorhandenen Quellen erheblich zurückgingen und die wenigen Lauf- und Sodbrunnen teilweise versiegten. «Ein Gerücht ging durch die Gemeinde, dass Lotzwil die im Gemeindegebiet von Rütschelen vorhandenen Quellen ankaufen möch-te.» Die Behörden der beiden Dörfer hätten dann ein Projekt Wasserversorgung für die Gemeinde Rütschelen inklusive Ausbau nach Lotz-wil ausarbeiten lassen. «Lotzwil verwarf das Projekt, Rütschelen stimmte zu.»
Nach der Prüfung durch die kantonale Brandversicherung und der Zusicherung der ausserordentlichen Subvention habe Rütschelen am 19. Januar 1922 mit dem Bau begonnen. Die Bauzeit habe sechs Monate gedauert. Dabei wurden 26 doppelarmige Überflurhydranten, 53 private Hausanschlüsse sowie ein Brunnen mit einer Leistung von rund 8 Liter pro Minute erstellt. «Im ganzen Dorf gab es Wasser – allerdings noch direkt von der Sammelbrunnstube», so Fritz Leuenberger. Ende September sei auch das Reservoir mit einem Fassungsvermögen von 2 mal 125 Kubikmeter in Betrieb genommen worden.
«Beim Bau des Reservoirs mussten unerwartet 210 Kubikmeter Fels ausgehoben werden. Für die Arbeiten wurden unsere Arbeitslosen sowie solche der umliegenden Gemeinden eingesetzt.» Die Bauabrechnung (ohne Hausanschlüsse) sei dann mit 142 385 Franken abgeschlossen worden, was einer Kostenüberschreitung von 7385 Franken gegenüber dem Budget entsprochen habe.
Unter allen Umständen, auf alle Zeit
Fritz Leuen-berger zum ersten Wasserversorgungs-Reglement vom 26. Mai 1923: «Lotzwil hat im Jahr 1900 eine Wasserversorgung erstellt. Quellen im Nassgraben ergaben etwa 170 Liter pro Minute. Damals hatte Lotzwil 97 Wasserabonnenten. Die Bevölkerung nahm zu. Bis 1923 wurden 180 Abonnenten gezählt. Das Wasser reichte nicht mehr. Geprüft wurde eine Grundwasserfassung oder ein Anschluss an Rütschelen für 200 Liter pro Minute.» Der Kaufvertrag vom 14. Januar 1924 zwischen Lotzwil und Rüt-schelen habe der Gemeinde Lotz-wil das Recht auf 200 Liter pro Minute für 50 000 Franken «unter allen Umständen und auf alle Zeit» eingeräumt. Als Fritz Leuenberger diesen Passus erwähnte, war beim Publikum ein kollektives Schmunzeln auszumachen. Rütschelen konnte den Vertrag nicht einhalten. Lotzwil erstellte eine Tabelle, die eine Minderwasserlieferung von durchschnittlich 18 Prozent ergab. Lotzwil reklamierte, weil die Gemeinde mit diesem Minus nicht einverstanden war. Dies führte in den Jahren 1929 bis 1944 zu vielen Verhandlungen, welche jedoch keine Einigung ergaben.
So schritt Lotzwil 1942 zur Selbsthilfe, kaufte Grundwasser von der Tuchfabrik AG und baute 1944 für 114 000 Franken ein Grundwasserpumpwerk. Mit Brief vom 3. Juli 1945 schlug Rüt-schelen der Nachbargemeinde Lotzwil vor, dieser nicht mehr ein fix definiertes Wasserquantum zu verkaufen, sondern nur noch das Überwasser. Lotz-wil war damit nicht einverstanden, sondern wollte den Schadenersatz-Betrag durch einen richterlichen Entscheid festlegen lassen. Das Schiedsgericht entschied am 15. Dezember 1948, dass Rüt-sche-len infolge Wasserminderlieferung der Gemeinde Lotzwil 25 000 Franken zurückzahlen muss. Die Kosten fürs Schiedsgericht von 3800 Franken wurden halbiert. Weil Lotzwil per Ende 1993 dem Gemeindeverband Wasserversorgung untere Langete (WUL) beitrat, verlor der Wasserlieferungsvertrag zwischen Rütschelen und Lotzwil seine Gültigkeit.
Rütschelen lehnte WUL-Beitritt ab
Im Jahr 2001 nahm Rütschelen sein neues Reservoir in Betrieb, das rund 687 000 Franken kostete und brach das alte Reservoir ab. «Am 4. Dezember 2004 lehnten die Stimmbürger von Rüt-schelen an der Gemeindeversamm-lung den Beitritt zum WUL ab», blickte Fritz Leuenberger bei seinen Ausführungen 18 Jahre zurück und verwies auf die Verfügung des Kantons Bern im Jahr 2009, wonach jede Gemeinde eine Notwasserversorgung installieren muss: «Nach diversen Abklärungen im Bereich der Schneckenmatte nahm die Arbeitsgruppe aus Rütschelen Kontakt mit dem Gemeindeverband WUL auf.» 2014 wurde die Verbindungsleitung WUL von Lotzwil nach Rütschelen gebaut – mit Pumpstation im Gebäude der Schnitzelheizung Berg. Mit einer kleinen Einweihungsfeier wurde am 21. April 2015 die Steuerung der Pumpe in Betrieb genommen und der Schieber zum Leitungsnetz Rütschelen geöffnet.
Fritz Leuenberger erwähnte weitere Eckpfeiler der Wasserversorgung inklusive Neubauten der Hauptleitungen Wil-Flösch bis Liegenschaft Frikart (2019) und Lindenacker-Leebachgasse (2021). Die Anlagen werden durch den jeweiligen Brunnenmeister im Nebenamt betreut. In jüngster Zeit war dies Heinz Schneeberger, der das Amt 2007 von Samuel Born übernahm und 2012 seinem Nachfolger Peter Hasler übergab. Seit Dezember 2020 ist Lukas Born Rütschelens Brunnenmeister.
Lukas Born und Daniela Glutz
Um 19.35 Uhr war mit der Einweihung des Gedenkbrunnens der Höhepunkt des Festaktes «100 Jahre Wasserversorgung» gekommen. Dieser Brunnen, ein Werk des Lotzwiler Steinbildhauers Reto Hosner, war vorerst noch mit einer Plane überdeckt. Das Plätschern des Wasser war jedoch bereits hörbar. Nun lüfteten Brunnenmeister Lukas Born und Daniela Glutz, Gemeindeschreiberin und Bauverwalterin, das Geheimnis und enthüllten – applaudiert vom Publikum – den schmucken Gedenkbrunnen.
Fundort des eiszeitlichen Findlingsblocks war die Kiesgrube Walliswil bei Wangen an der Aare. Vermutet wird, dass der Block aus dem Grimselgebiet stammt und vom Aaregletscher in unsere Region transportiert wurde. «Jetz heimer gnue übers Wasser prediget, jetz trinke mer no chli Wy», lautete nun die noch so gerne befolgte Aufforderung zum gemütlichen Beisammensein auf den Festbänken. Anderntags nutzten viele Interessierte den Tag der offenen Tür im Reservoir und genossen die von der Gemeinde offerierte Bratwurst.
Von Hans Mathys