Gegen invasive Neophyten: «Gring ache u jäte»
Invasive Neophyten drohen die einheimische Pflanzenwelt zu verdrängen. Ein schweizweites, ja gar ein weltweites Problem. Die Schwellenkorporation Eriswil organisierte einen Infoanlass mit Werner Stirnimann, Geschäftsführer der Biodiversia GmbH, der den Interessierten die Regulierung der invasiven Neophyten mit einer praxisorientierten Präsentation näher brachte und sie dafür begeisterte, sich gemeinsam für die einheimische Vielfalt einzusetzen.
Eriswil · Rund 40 Interessierte besuchten den Infoabend, der von Martin Eggimann, Präsident der Schwellenkorporation Eriswil, eröffnet wurde. Die Idee, einen Infoanlass durchzuführen, sei durch verschiedene Anfragen aus der Bevölkerung zustande gekommen. «Wir arbeiten seit mehreren Jahren mit Werner Stirnimann und seiner Firma Biodiversia zusammen, die unsere Bäche kontrolliert und die problematischen Pflanzen entfernt und einsammelt. Invasive Neophyten sind insgesamt ein immer grösser werdendes Problem auch im Bereich der Gewässer. Eriswil liegt am Oberlauf der Langeten. «Alles, was an Samen in die Gewässer gelangt, wird durch das ganze Langetental verteilt», erklärte Martin Eggimann. «Oftmals ist auch die Zuständigkeit unklar, ist es die Gemeinde oder ist es die Schwellenkorporation», erklärte er weiter. Klar sei, Neophyten seien nicht nur ein Problem der Schwellenkorporation, sondern der ganzen Gemeinde.
Neophyten = Neue Pflanzen
«Die Einwanderung von sogenannten Allerweltsarten, den invasiven Neophyten, bedeutet einen Verlust der typischen einheimischen Pflanzen- und Tierarten. Leider passiert dieser Austausch weltweit. Man könnte sagen, es kommen ja Arten dazu, ist doch schön. Leider ist aber das Risiko gross, dass jede Neophytenart zehn oder mehr einheimische Pflanzenarten verdrängt. Die Neophyten stammen aus anderen Kontinenten und es sind fast durchwegs Zierpflanzen. Eine Ausnahme bildet das als Samen mit Wolle importierte Südafrikanische Greiskraut, für Kühe genauso giftig wie das nah verwandte Jakobskreuzkraut. Es wandert aktuell entlang von den Autobahnen her ein und wir jäten entlang der Strassen und Bahnen im Raum Langenthal–Huttwil jede Pflanze, die wir entdecken, einzeln weg. Gleich wie übrigens die beiden zuständigen Strasseninspektorat-Abteilungen Oberaargau und Emmental.
In der Schweiz gelten mittlerweile rund 650 Arten als Neophyten, das heisst, sie haben sich seit dem 15. Jahrhundert bei uns neu etabliert. Davon sind 58 Pflanzen invasiv. Einzelne Neophyten vermehren sich sehr rasch und verdrängen unsere einheimischen Pflanzen, wenn wir nicht gegen sie vorgehen», informierte er.
«Aktuell sind es im Raum Eriswil drei, vier konkurrenzstarke Neophytenarten, die den einheimischen Pflanzen den Platz streitig machen. Zum Beispiel, indem sie ihnen Wasser und Nährstoffe rauben. So sind durch den Japanknöterich unter anderem Bachufer weniger intensiv von Graspflanzen durchwurzelt und schneller durch Erosion gefährdet. Im Wald kann unter anderem der Jungwuchs nicht mehr ungestört aufwachsen oder die Drüsigen Springkräuter unterdrücken nachweislich die wichtigen Mykorrhiza-Pilze. Als Symbiose-Partner sind auch sie für den Holzzuwachs mitentscheidend, nicht nur in trockenen oder heissen Jahren. Mir persönlich hat im Jugendalter mal der Riesen-Bärenklau den Rücken verbrannt, andere Leute sind gegenüber den Pollen der zum Glück stark zurückgedrängten Ambrosie hochallergisch», erklärte er die Problematik.
Gross angelegte Jätaktionen
«Dank sehr gross angelegten Jätaktionen in den Jahren nach dem Hochwasser – und wiederholtem Absuchen der Quellgebiete in den letzten 16 Jahren – ist nun die ganze Langete wieder weitestgehend vom Drüsigen Springkraut befreit. An der Ahornstrasse gibt es noch einen Goldruten-Bestand, sonst sind mir nur noch die Vorkommen des Japanknöterichs bekannt. Dieser stellt aktuell die Hauptherausforderung dar und dieser kann nur durch Jäten abschliessend bekämpft werden. An den Gewässern gibt es keine Alternative dazu, auch Ausbaggern hilft nur beschränkt. Doch nach Eris-wil komme ich speziell auch wegen dem Einjährigen Berufkraut: Es wächst, blüht und versamt gestaffelt und wird durch Bauarbeiten beziehungsweise Erdmaterial verschleppt. Deshalb können wir von der Biodi-versia GmbH unmöglich alleine dagegen vorgehen. Da müs-sen schlicht alle Betroffenen mitarbeiten», erklärte er den aktuellen Stand der Dinge.
Gartenmaterial nicht im Wald entsorgen
Werner Stirnimann hatte einige Anschauungsobjekte an den Infoabend mitgebracht, die er auf dem Weg nach Eriswil und oberhalb Eriswil gesammelt hatte. «Dieses Drüsige Springkraut habe ich aus dem Wald Richtung Ahorn. Es wuchs, weil irgendjemand sein Gartenmaterial dort entsorgt hat», zeigte er etwas verärgert auf. Gartenmaterial gehöre nicht in den Wald, denn die Springkrautbestände könnten pro Jahr bis zu sieben Metern grösser werden und letztendlich wieder in die Bäche gelangen. Zudem könne in Eriswil das Gartenmaterial gratis abgegeben werden – auch die zu beseitigenden Neophyten, natürlich in gesonderten Behältern, ergänzte der Wegmeister Hans Ruch.
Weiter zeigte Werner Stirnimann das Einjährige Berufkraut. Bei ihm handelt es sich eben nicht um ein «härziges Margritli», sondern um eine Pflanze, die die Biodiversität und den Nutzwert unter anderem bei extensiven Wiesen stark vermindern kann. Deshalb: «Bitte frühzeitig ausjäten und im Abfall entsorgen. Und unbedingt die Stelle im nächs-ten Jahr nachkontrollieren. Mit Hilfe vom Bildmaterial auf www.berufkraut.ch ist es auch möglich, bereits dieses Jahr die ‹Setzlinge› beziehungsweise die nächstes Jahr blühenden Pflanzen zu erkennen, auszujäten und zu entsorgen», führte Werner Stirnimann weiter aus
Zusammenarbeit beim Jäten von Eriswil bis zur Aare
Invasive Neophyten müssten konsequent gejätet und beseitigt werden, nur dies helfe. Die chemische Bekämpfung sei nahe an Gewässern nicht erlaubt. «Das bedeutet Handarbeit mit Pickeln und Schaufeln. Dies ist kein Sonntagsspaziergang, sondern harte Arbeit. Wer aber invasive Neophyten frühzeitig bekämpft, erspart sich langfristig sehr viel Arbeit und hält in der unverkennbaren Landschaft rund um Eriswil alle Möglichkeiten, auch für Spezialkulturen, offen. Das Erfolgsmodell in der Region heisst «Zusammenarbeit», und zwar von Eriswil bis hinunter an die Aare
(neophytenarme Zone). Es braucht viele helfende Hände, viele Freiwillige. Aber zusammen können wir das
Problem der invasiven Neophyten sehr klein halten», ermunterte er die Anwesenden. In diesem Sinne: «Gring ache u jäte».
Wie denn die Neophyten am besten zu sammeln und entsorgen seien, wurde aus der Runde gefragt. «Am besten in Containern oder Abfallsäcken. Einfach ein Behälter, der dicht ist, damit auf dem anschliessenden Transport nicht Samen oder Sprossen gestreut werden», antwortete Werner Stirnimann. Und wichtig sei natürlich die fachgerechte Entsorgung: Nie in den Wald und auch nicht auf die Sammelstelle vom Gartenmaterial sondern in die Verbrennung geben.
Biodiversia und Werner Stirnimann
2006 gründete Werner Stirnimann zusammen mit seiner Frau Audrey Stauffer die Firma Biodiversia GmbH. Unter anderem tat er dies, weil er kurz zuvor an einer Pro Natura-Tagung in Lan-genthal bemerkte, dass die Neophytenthematik ein Vorgehen über alle Gemeinde- und Organisationsgrenzen hinweg erforderte.
«Daran hat sich bis heute rein gar nichts geändert, deshalb ist in diesem Bereich eine Koordination durch mich und andere Personen nötig», erklärt er die Gründung der Firma. Und weiter: «Mir sind unsere Lebensräume, Pflanzengesellschaften, Ökosysteme, Nutzflächen, Gewässerrevitalisierungen und so weiter schlicht zu schade, um sie von invasiven Neophyten überwuchern zu lassen. Auch kann ich es als Fachperson gegenüber den Steuerzahlenden nicht verantworten, wenn einerseits Millionen in Ökoflächen, Renaturierungen und neue Lebensräume investiert werden, und dann ein paar Stunden oder wenig Geld pro Jahr nicht investiert werden, um deren Wert zu erhalten. Ich bin einerseits gelernter Zierpflanzengärtner und habe als Lehrling unter anderem Goldrute selber gepflanzt. Andererseits habe ich als Rückkehrer in meine Heimatregion deren Einzigartigkeit und Schönheit und schnell mal deren Bedrohung durch die invasiven Neophyten erkannt. Weil ich inzwischen Agronom, Umweltingenieur, Waldbegeisterter und zwischendurch Gärtner-Berufsschullehrer bin, kann ich inzwischen aus verschiedener Sicht argumentieren. Was sich gleich bleibt: Ich finde, wir sollten das Experimentieren mit Neophyten anderen Landesteilen (zum Beispiel Maggiatal) oder anderen europäischen Regionen (zum Beispiel Schwarzwald) überlassen und uns gemeinsam um unsere unverkennbaren Landschaften samt Bio-diversität und Kulturvielfalt kümmern», schloss Werner Stirnimann.
Von Marianne Ruch