Gemeinde startet einen eigenen Fahrdienst
Der Frauenverein und die Gemeinde Rütschelen bieten seit diesem Jahr
einen eigenen Fahrdienst an. Die Initiantinnen können auf breite Unter-
stützung zählen.
Rütschelen · «Im Januar hatten wir bereits elf Einsätze, im Februar sind schon mehr gebucht», freut sich Lina Kurth beim Gespräch Mitte Januar. Die Hauswartin des Gemeindehauses ist Familienfrau und Grossmutter und zusammen mit Vreni Hasler und Heidi Kohler eine der Organisatorinnen des neuen Angebotes in der Gemeinde Rütschelen. Der Grund für den Aufbau eines eigenen Fahrdienstes war die Unzufriedenheit mit den Änderungen bei demjenigen des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK). «Bisher konnten wir die Pauschale von acht Franken direkt mit den Klienten abrechnen. Seit der Kantonalisierung des SRK müssen diese das Geld einbezahlen», erklärt Vreni Hasler ein negatives Beispiel, welches nun zum Aufbau des eigenen Dienstes führte. «Einige der Leute sind alt und haben keinen Zugang zum Internet. Also mussten wir sie dazu noch zur Post fahren. Das ist doch unsinnig», enerviert sich die 77-Jährige, welche seit ihrer Pensionierung etwa zehn Jahre als SRK-Fahrerin im Einsatz war.
Neu werden die Fahrten der SRK für den Oberaargau von Langenthal aus via App koordiniert, statt wie bis anhin über Partner vor Ort. Die Kosten je gefahrene Kilometer wurden von 80 Rappen auf einen Franken erhöht. Alles Umstände, die bei einigen Fahrerinnen und Fahrern nicht gut ankomme. Denn die Rütscheler sind nicht die einzigen, welche sich selbstständig gemacht haben. Im Bipperamt bietet ebenfalls ein neuer Fahrdienst dem SRK die Stirn.
Gemeinde und Frauenverein bilden Trägerschaft
Doch zurück nach Rütschelen. «Aus vielen Gesprächen im Dorf haben wir gemerkt, dass einige Fahrerinnen und Fahrer mit der Umstrukturierung beim SRK nicht glücklich sind und die Bevölkerung das Projekt eines eigenen Fahrdienstes unterstützen würde.» Also nahm sich 2021 eine Arbeitsgruppe dem Thema Fahrdienst an. «Die Gemeinde bot unkompliziert Hand», sagt Lina Kurth. Zusammen bildet sie denn auch mit dem örtlichen Frauenverein den Trägerverein. Die Gemeinde bezahlt die Versicherung für die Fahrerinnen und Fahrer, der Frauenverein kaufte ein Handy und übernimmt die Abokosten. Dafür verzichtet sie künftig auf die Unterstützung des SRK-Fahrdienstes.
Ende Jahr wurden mit einem Flugblatt in allen Haushaltungen Fahrerinnen und Fahrer gesucht. «Elf Interessierte haben sich gemeldet», freut sich Vreni Hasler. Davon zwei Bisherige. «Ich war erstaunt und erfreut, dass sich nicht nur Pensionierte, sondern auch junge Menschen meldeten.» So sei jemand vom Rettungsdienst und jemand von der Pflege dabei, mit unregelmässigen Arbeitszeiten und deshalb flexibel. Mit potenziellen Fahrerinnen und Fahrern, die über ein eigenes Auto verfügen müssen, werden Gespräche geführt. Zudem erhalten sie ein Dossier mit Tipps, Verhaltensregeln, Hinweisen auf die Schweigepflicht, einer Karte für Behindertenparkplätze und so weiter. Die Fahrgäste bezahlen die Dienstleister bar. Spezielle Kurse sind keine nötig, hingegen kann sich Lina Kurth als ehemalige Ausbildnerin beim Samariterbund sehr gut vorstellen, dass sie später Weiterbildungen und Supervisionen anbietet.
Handynummer und WhatsApp-Gruppe
Die Nummer der Einsatzleiter wurde der Dorfbevölkerung mitgeteilt und ist auf der Homepage aufgeführt. Die Anrufe gelangen auf das Handy, welches sich bei Lina Kurth befindet. «Zudem sind wir per WhatsApp-Gruppe verbunden», so die 60-Jährige. Dort gibt sie den Termin in die Runde. Wer Zeit hat, meldet sich und sie vergibt die Aufträge. Bereits bekannte Wiederholungstermine, zum Beispiel beim Arzt, werden im Voraus vergeben. Etwas, was beim SRK offenbar nicht mehr möglich war.
Mehr als nur ein Fahrdienst
Gerade in einem Dorf ohne Laden und öffentlichem Verkehr seien die Menschen auf einen unkomplizierten Fahrdienst angewiesen, sind sich die drei Frauen einig. «Denn nach einem Besuch beim Arzt begleiten wir die Leute schon mal zum Einkaufen oder gehen mit ihnen einen Kaffee trinken», sagt Heidi Kohler. Das sei mit der neuen Abrechnung durch das SRK ebenfalls kaum mehr möglich gewesen, so die 52-jährige Hausfrau, Imkerin und Teilzeitköchin.
Mehrheit beim SRK sei zufrieden
Und was sagt das Schweizerische Rote Kreuz dazu? «Ich weiss, dass Gemeinden und Private eigene Fahrdienste auf die Beine stellen», sagte Philippe Daucourt, Leiter Abteilung Entlastung beim SRK. «Grundsätzlich haben wir nichts dagegen, weisen jedoch darauf hin, dass unsere Freiwilligen Vollkasko versichert sind, die Spesen vergütet erhalten und Kurse absolvieren können.» Dass es mit der App komplizierter geworden sei, lässt er als Argument nicht gelten. «Die grosse Mehrheit findet dieses System besser.» Auch sei der Halt bei einem Laden auf der Rückfahrt vom Arzt auch beim SRK möglich, erklärt er darauf angesprochen. Er gibt zwar zu, dass einige Fahrerinnen und Fahrer abgesprungen seien. «Aber dank der Modernisierung durch die App sind auch neue dazugekommen.» Er glaubt auch nicht, dass sich immer mehr private Fahrdienste bilden werden. Im Gegenteil. «Vor vier oder fünf Jahren hat eine Gemeinde im Mittelland diesen Versuch nach zwei Jahren abgebrochen und ist zum SRK zurückgekehrt.»
Ob der gemeindeeigene Fahrdienst in Rütschelen Bestand haben wird, zeigt sich in den nächsten Jahren. Die drei Frauen sind jedenfalls davon überzeugt. Und wie sagte doch Gemeindepräsident Stefan Herrmann, als das Projekt anlässlich der Gemeindeversammlung kurz vorgestellt wurde: «Das macht Rütschelen aus. Wir helfen einander.»
Von Irmgard Bayard