• Sind jetzt gefordert (von links): Langenthals Stadtschreiber Daniel Steiner, der Vorsteher des Finanzamtes Thilo Wieczorek, Gemeinderat Roberto Di Nino (Ressort Finanzen) und Stadtpräsident Reto Müller. · Bild: Leroy Ryser

24.01.2023
Langenthal

Gemeinderat muss über die Finanzbücher

Die Langenthaler Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben das vorgelegte Budget 2023, mit einer geplanten Steuererhöhung von 1,38 auf 1,44 Einheiten, abgelehnt. Entschieden haben dies lediglich 27,77 Prozent der Stimmberechtigten, von denen 1258 für das Budget und 1487 gegen das Budget stimmten. Das Ergebnis sei zwar enttäuschend, aber zugleich auch als klarer Auftrag zu verstehen, noch genauer hinzuschauen, kommentierte Stadtpräsident Reto Müller das Ergebnis.

54 Prozent der Langenthalerinnen und Langenthaler, die sich an der Abstimmung beteiligt haben, lehnten das Budget 2023 ab. Die Differenz zwischen den Ja- (1258) und Nein-Stimmen (1487) betrug lediglich 229 Stimmen. «Es ist nicht gelungen, die Stimmberechtigten für diese Abstimmung zu mobilisieren», kommentierte Stadtpräsident Reto Müller (SP) das Ergebnis mit Blick auf die sehr tiefe Stimmbeteiligung von 27,77 Prozent. Natürlich sei er vom Resultat enttäuscht, weil es nicht gelungen sei, die Stimmbevölkerung von diesem Budget zu überzeugen, obwohl sich eine deutliche Mehrheit des Stadtrates hinter dieses gestellt habe.

Grosse Investitionen stehen bevor
Müller sprach davon, dass ein JA zu diesem Budget ein Vernunftsentscheid gewesen wäre, dabei wies er auf die geplante Steuererhöhung von 1,38 auf 1,44 Einheiten hin. Diese müsse angesichts der bevorstehenden Investitionen in Betracht gezogen werden. Der Stadtpräsident erwähnte, dass in den kommenden Jahren das Schwimmbad, die Musikschule und die Bibliothek, zahlreiche Strassenabschnitte, aber auch die Eishalle in Schoren saniert werden müssten, dazu kämen die Neubauten von mehreren Kindergärten in der Stadt.
Dass sich nur so wenige Langenthalerinnen und Langenthaler an der Budget-Abstimmung beteiligt haben, begründete Müller damit, dass keine nationalen oder kantonalen Abstimmungen auf dem Programm standen, die als «Zugpferd» für die Budget-Abstimmung gewirkt hätten.

Steuererhöhung ist nicht vom Tisch
Für Gemeinderat Roberto Di Nino (Ressort Finanzen) ist das Ergebnis in einem Spannungsfeld zwischen den vielfältigen Wünschen und Ansprüchen der Bürger sowie den finanziellen Möglichkeiten der Gemeinde einzuordnen. Er wies darauf hin, dass der Gemeinderat bereits vor einem Jahr darauf hingewiesen habe, dass künftige Investitionen nur mit einer Steuererhöhung zu bewältigen seien.
Das Nein zum Budget hat seiner Meinung nach verschiedene Gründe, aber in erster Linie habe die Abstimmung in einem wirtschaftlich schwierigen Umfeld, mit hoher Teuerung, steigenden Energiepreisen und Krankenkassenprämien stattgefunden, weshalb ein Budget mit einer geplanten Steuererhöhung bei vielen Leuten nicht gerade auf Begeisterung stosse.
Die hauptsächlichste Frage, die sich aber nun stelle, sei, welche Schlüsse der Gemeinderat aus diesem Ergebnis ziehe. «Das Resultat ist ein Auftrag an die Politik, dieses Budget noch einmal kritisch zu betrachten», übte Di Nino Selbstkritik. Er erwähnte jedoch, dass man dies bereits mehrfach gemacht und diverse Sparrunden absolviert habe. «Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass sich die Stimmberechtigten damit nicht zufrieden geben.» Der Gemeinderat machte aber noch einmal seine persönliche Haltung klar und gab zu verstehen, dass – rein sachlich betrachtet – eine budgetierte Steuererhöhung richtig gewesen sei. Deshalb könnte er sich vorstellen, dass beim zweiten Anlauf dem Stimmbürger eine Varianten-Abstimmung unterbreitet wird.
Diese zweite Abstimmung soll am 18. Juni stattfinden. Zu einem früheren Zeitpunkt ist dies laut Stadtschreiber Daniel Steiner aus diversen Gründen nicht möglich, gelte es doch, Fristen und politische Prozesse (Budget muss erneut dem Stadtrat zur Genehmigung vorgelegt werden) einzuhalten. Damit befindet sich die Stadt Langenthal die nächsten sechs Monate in einem budgetlosen Zustand.

Bahnhof-Umbau geht weiter
Es liege nun am Gemeinderat, wie man mit dieser Situation umgehe, betonte Roberto Di Nino. In erster Linie dürften nur noch zwingend notwendige Ausgaben getätigt werden. Es liege jedoch in der Verantwortung des Gemeinderates, zu entscheiden, welche Ausgaben unumgänglich seien, erwähnte Stadtpräsident Reto Müller, der beispielsweise auf die erst vor kurzem gestarteten Bauarbeiten beim Bahnhof-Umbau hinwies. «Hier würde ein Baustopp Kostenfolgen in Millionenhöhe verursachen, weshalb wir dieses Projekt und die damit verbundenen Ausgaben als unumgänglich einstufen.» Dies habe der Gemeinderat bereits im Vorfeld der Abstimmung definiert. Bei anderen Investitionen, die noch nicht gestartet wurden, dürfe man keine Verpflichtungen eingehen oder müssten die Vorarbeiten gestoppt werden.
Auch die Ausgaben im Bildungsbereich, für Exkursionen, Lager und Schulreisen, müsse der Gemeinderat prüfen und entscheiden, ob es sich um unumgängliche Ausgaben handle, weil Leistungsverträge einzuhalten seien. Grundsätzlich müsse sich der Gemeinderat bei diesem Vorgehen an die gesetzlichen Grundlagen halten. Eine Phase ohne Budget sei eine extreme Zusatzbelastung für die Verwaltung, hielt Stadtschreiber Daniel Steiner weiter fest. Es gelte, jeden Budgetposten genau anzuschauen, «was in einem 100-Millionen-Budget enorm aufwändig und zeitintensiv ist.»  Sollte am 18. Juni auch der zweite Budgetvorschlag von den Stimmberechtigten abgelehnt werden, würde anschliessend der Regierungsrat die Parameter für das Budget 2023 festlegen.

Von Walter Ryser