Glockeninitiative hat ihr Ziel (fast) erreicht
Die Aarwangener Stimmberechtigten stehen weiterhin wie eine Eins hinter der Glockeninitiative. An der Gemeindeversammlung wurde das Reglement, das das Nebeneinander von Glockenklängen an Kirchen und Nutztieren und dem Ruhebedürfnis der
Bevölkerung regelt, mit nur einer Gegenstimme deutlich gutgeheissen. Bauer Ernst Gerber hofft, dass die Lärmbeschwerde einer Privatperson gegen ihn nun nichtig wird.
Die Erleichterung, ja gar Genugtuung ist Andreas Baumann und Bauer Ernst Gerber, den beiden Hauptprotagonisten der Glockeninitiative, anzusehen. Sie lachen sich an, schütteln kräftig die Hände und klatschen sich gegenseitig auf die Schultern. Eben gerade haben die 72 anwesenden Stimmberechtigten von Aarwangen das neue Reglement über das Glockengeläut im Dorf mit nur einer Gegenstimme angenommen. Und das Reglement hält vieles fest, wofür sie zusammen mit dem Initiativkomitee seit über einem Jahr gekämpft haben. «Die Gemeinde Aarwangen bekennt sich zu seiner historischen Tradition als ländliches Dorf mit Glockengeläut am Tag und in der Nacht. Am Glockengeläut besteht mit Blick auf das Brauchtum und die örtlichen Gepflogenheiten ein gewichtiges öffentliches Interesse.» Was wie eine Forderung des Glockeninitiativ-Komitees klingt, steht in Tat und Wahrheit im ersten Artikel des Reglements über das Glockengeläut der Einwohnergemeinde Aarwangen, das ab dem 1. August in Kraft treten wird. Und auch Artikel 3 sorgt bei Bauernsohn und Neurologe Andreas Baumann für tiefe Zustimmung: «Die Gemeinde informiert regelmässig über die Bedeutung des Glockengeläuts. Insbesondere informiert sie Personen, welche in der Gemeinde Wohnsitz begründen, sowie die Bauherrschaften von Neubauvorhaben in angemessener Form über Zweck und Inhalt dieses Reglements.» Denn der Konflikt zwischen zwei Neuzuzüger-Paaren und dem Bauer Ernst Gerber brachte die ganze Bewegung erst ins Rollen. Die Neuzugezogenen reichten Beschwerde ein gegen das nächtliche Kuhglockengeläut auf dem an ihren Wohnsitz angrenzenden Weideland. 1099 Stimmberechtigte (rund ein Drittel) unterschrieben innert kürzester Zeit die Glockeninitiative, die am 11. Dezember 2023 wuchtig angenommen wurde.
Anlaufstelle für Konfliktparteien
Um künftige Konflikte frühzeitig zu vermeiden, wird die Gemeinde Aarwangen eine Anlaufstelle ernennen, «an welche sich Betroffene wenden sollen, die sich durch Geläut im Sinn dieses Reglements in ihrem Ruhebedürfnis gestört fühlen. Die Anlaufstelle versucht, zwischen den Parteien zu vermitteln und den Konflikt einvernehmlich zu lösen. Der Vermittlungsversuch kann weiter dazu dienen, sich unter Einbezug der zuständigen kantonalen Fachstelle betreffend die anzuwendende Messweise der Emissionen zu verständigen (Artikel 4 des Reglements).» Gemeindepräsident Niklaus Lundsgaard-Hansen betonte auch an dieser Gemeindeversammlung, dass das Lärmschutzrecht grösstenteils im Bundesrecht (Umweltschutzgesetz [USG], LSV) und teils im kantonalen Recht geregelt sei. Das Reglement habe den Rahmen dieses übergeordneten Rechts von Bund und Kanton zu beachten. Lärmklagen könnten deshalb nicht ausgeschlossen werden und es bleibe weiterhin möglich, dass die Gemeinde im Einzelfall Massnahmen gegen Geläut verfügt. Ernst Gerber begrüsst aber diese Vermittlerstelle, wie er gegenüber dieser Zeitung erklärt. «Wenn es diese Anlaufstelle schon früher gegeben hätte, hätte man in meinem Fall sicher eine Einigung finden können.» Und ihm wären viele schlaflose Nächte erspart geblieben.
Lärmbeschwerde ist weiter hängig
Doch wie geht es weiter mit der Lärmbeschwerde gegen ihn? «Da ist alles noch offen.» Eine Partei habe ihre Beschwerde bereits im Mai 2023 zurückgezogen. Die andere Partei habe die Gemeinde dieses Jahr verlassen und wohnt jetzt in einem Nachbardorf, hält aber die Beschwerde aufrecht. «Ich hoffe, dass eine zweite Messung durchgeführt wird», erklärt Ernst Gerber. Dann wäre keiner der Beschwerdeführer mehr da und die Beschwerde hinfällig. Auch für Andreas Baumann ist diese erste Lärmmessung, die von der zuständigen Kantonspolizei am 1. März 2023 aufgrund der Beschwerden durchgeführt wurde, ein Dorn im Auge. Im Fachbericht der Kantonspolizei sei die Rede davon, dass Mitarbeiter der Fachstelle zwei Schellen händisch, möglichst realitätsnah «gebimmelt» haben. Aufgrund dieser Messungen sei dann der Fachbericht entstanden. «Wenn im konkreten Fall wie auf dem Land von Ernst Gerber zwei Mitarbeiter der Lärmschutzstelle der Polizei des Kantons Bern auf dem Feld herumspringen, einer davon misst und der andere bimmelt und damit zumindest einer so tut, wie wenn er ein Rindvieh wäre, dann habe ich meine erheblichen Zweifel, dass das genau gleich klingt wie das Bimmeln einer Kuh», erklärt Andreas Baumann vor der Gemeindeversammlung. «Wenn dies dann als Messgrösse herangezogen wird, dann bin ich der Meinung, es läuft etwas falsch in diesem Land. Wenn das Bimmeln der Kühe auf dem Land eines Landwirtes so realitätsfern beurteilt wird, dann gibt es Konflikte mit der Landbevölkerung.» Als wirklich stossend finde er, dass man als Gemeinde nicht Einfluss nehmen könne, wie gemessen wird. Was aber geschieht nun mit der Lärmbeschwerde? Kann die Gemeinde eine zweite Messung anordnen? Dazu Gemeindepräsident Niklaus Lundsgaard-Hansen: «Wir wollten erst einmal abwarten, bis das neue Reglement bewilligt ist.» Mit seiner Zustimmung zum neuen Reglement habe die Bevölkerung ihre Meinung zum Ausdruck gebracht: Ein gewichtiges öffentliches Interesse am Glockengeläut. «Damit erhält das öffentliche Interesse gegenüber dem privaten Interesse mehr Gewicht», hielt der Gemeindepräsident fest. Den Entscheid fällen aber letztlich polizeiliche Instanzen (die örtliche Bau- und Gewerbepolizei).
Initiativkomitee wird zur Interessensgemeinschaft
«Das Initiativkomitee Glockeninitiative hat mit dem heutigen Tag sein Ziel erreicht und wird aufgelöst. Unsere Arbeit ist getan», lässt Andreas Baumann durchblicken. Und zieht dann doch keinen Schlussstrich: «Wir haben beschlossen, unser Bestreben für den Erhalt des Glockengeläuts nicht abzubrechen. Wir haben eine Interessengemeinschaft gebildet. Sie wird dem Gemeinderat wie auch dem Präsidenten auf die Finger schauen und sich vorbehalten, der Behörde auch auf die Finger zu klopfen, wenn es nötig ist.» Zudem ist auf der Homepage von glockeninitiative.ch eine exakte Anleitung aufgeschaltet, wie man in einer Gemeinde vorgehen müsse, um eine Glockeninitiative wie in Aarwangen zu lancieren. Und wie sieht es mit der einmal angedachten nationalen Initiative aus? «Ich bin der persönlichen Meinung, dass wir das Thema des Glockenklangs im Artikel 74 der Bundesverfassung angehen müssten und dort Glockenklang als Klang und nicht als Lärm definieren müssen.» So ganz ist die nationale Initiative bei Andreas Baumann nicht vom Tisch, doch müssten dies andere in die Hand nehmen, da er immer noch in erster Linie Arzt sei.
Glockeninitiative
Zwei Lärmbeschwerden bringen alles ins Rollen
Gegen das nächtliche Glockengeläut der Kühe von Ernst Gerber war im November 2022 Jahr eine Beschwerde wegen Nachtruhestörung eingereicht worden, die alles ins Rollen gebracht hat (wir berichteten). Die Beschwerdeführenden – zwei ins ans Weideland angrenzende Quartier zugezogene Paare – fühlten sich gestört und verlangten unter anderem, dass die Rinder im Zeitraum von 22 bis 7 Uhr keine Schellen tragen dürfen. Daraufhin wurde ein Initiativkomitee mit dem Neurologen und Bauernsohn Andreas Baumann an der Spitze aktiv, das im Mai 2023 die Unterschriftensammlung lancierte und damit eine unglaubliche Welle der Solidarität auslöste. 1099 beglaubige Unterschriften sind innert etwas mehr als zwei Monaten zusammengetragen worden. Das Aufstehen der Aarwangener für die Tradition des Glockengeläuts hat nicht nur die Menschen im Oberaargauer Dorf bewegt, sondern national wie international für ein erstaun-liches Medienecho gesorgt. So wurde in Italien, Frankreich, Kanada und auch von der BBC in Grossbritannien darüber berichtet. An der Gemeindeversammlung am 11. Dezember2023 wurde die Ausarbeitung des Reglements über das Glockengeläut in Aarwangen bei nur vier Gegenstimmen und total 166 anwesenden Stimmberechtigten wuchtig angenommen.
Von Thomas Peter