• «Im Hause muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland». Dieser wohl bekannteste Ausspruch Gotthelfs steht über dem Eingang zum Pfarrhaus in Murten. · Bild: Fritz von Gunten

  • Büste von Albert Bitzius – der mit dem Finger auf «Wunde» weist und dies mit seiner Schriftstellerhand auch festgehalten hat. · Bild: Fritz von Gunten

  • Geburtshaus in Murten – das Pfarrhaus vom deutschen Pfarrer. · Bild: Fritz von Gunten

13.01.2022
Emmental

Gotthelf: Alle kennen ihn, wenige haben ihn gelesen

Der «UE» stellt in der Serie «225 Jahre Jeremias Gotthelf» eine (Wieder)-Entdeckungsreise durch das Werk von Jeremias Gotthelf dar. Es scheint fast so, dass sein Werk aktueller ist denn je.

Emmental · Albert Bitzius, wohl besser bekannt unter seinem Schriftsteller-Namen «Jeremias Gotthelf», wächst in der nach-napoleonischen Zeit auf. Es ist eine Umbruchzeit, in welcher die Aristokratie und das «Alte Bern» dem neuen Staat, dem Kanton Bern, der 1831 seine neue Verfassung erhält, Platz machen müssen.
Der junge Vikar und Pfarrer hat ein waches Auge und eine scharfe Beobachtungsgabe für den grossen Wandel, in dem sich wesentliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens im Kanton Bern und der Schweiz verändern. Das Schul- (Schulmeister-Roman), aber auch das Gesundheitswesen (Anne Bäbi Jowäger), werden ebenso arg durchgerüttelt, wie das Gesellschaftsleben (Bauernspiegel / Geld und Geist) und der wirtschaftliche Aufschwung (Käserei in der Vehfreude). Bereits als junger Vikar kämpfte er an vorderster Front in Utzenstorf und Herzogenbuchsee für bessere Bildungsmöglichkeiten und insbesondere auch für eine Entlöhnung der Lehrer, die ein Leben ausschliesslich aus der ordentlichen Berufsausbildung ermöglicht. Widerstände waren da programmiert. Und so ist es kaum erstaunlich, dass er zur Feder griff. In einem Brief an Joseph Burkhalter, mit dem er zu Beginn seiner Vikariatszeit in Herzogenbuchsee bis zu seinem Lebensende eine tiefe Freundschaft, und einen sehr aufschlussreichen Briefwechsel pflegte, umschreibt er es treffend: «Es ist merkwürdig, dass die Welt und nicht Ehrgeiz oder Fleiss mich zum Schriftsteller gemacht. Sie drückte so lange auf mich, bis sie Bücher mir aus dem Kopfe drückte, um sie ihr an die Köpfe zu werfen. Und da ich grob werfe, so will sie das nicht leiden (…)»

Wer bin ich?
«Ich bin den 4. Oktober 1797 in Murten geboren, wo mein Vater, Burger von Bern, deutscher Pfarrer war. Als wilder Junge durchlebte ich dort die wilde Zeit der Revolution und Helvetik, besuchte die dortige Schule, wo man mir gewöhnlich das Zeugnis gab, dass man mit dem Kopfe wohl, mit den Beinen aber, welche ich nie stille halten konnte, über zufrieden sei. Im Jahr 1805 erhielt mein Vater die Pfarrei Utzenstorf. Von da an unterrichtete er mich selbst, so dass ich im Jahr 1812 das Gymnasium in Bern beziehen konnte. Meine Kenntnisse gingen aber nicht weit über Griechisch und Latein hinaus. Nebenbei las ich Romane, so viel ich zur Hand bringen konnte, trieb starken Schafhandel, lernte Jagen, Fischen, Reiten, übte mich in allen Landarbeiten, einigen weiblichen Haushaltarbeiten und brachte es in mehr als einem ländlichen Spiel zu bedeutender Fertigkeit …»

So umschreibt sich Albert Bitzius selber in seiner Selbstbiografie.

Vikariat beim Vater
1817 begann er sein Theologie-Studium. Nach einem Studienaufenthalt in Göttingen und einer anschliessenden Reise durch Norddeutschland kehrte er 1822 zurück nach Utzenstorf, wo er bei seinem Vater Vikar wurde, aber allerdings nach dessen Tod 1824 nicht zum Nachfolger gewählt werden konnte, da er die erforderlichen fünf Jahre als Vikar noch nicht erfüllte. So wurde er Vikar in Herzogenbuchsee (1824 bis 1829).

Ihr «armen» Utzenstorfer-Bauern
Abgesehen von Lützelflüh, wo er ab 1831 bis zu seinem Tode 1854 als Pfarrer wirkte, ist Utzenstorf und Umgebung jener Ort und jene Region, die ihn fürs Leben prägten. Den Weg zum Berner Volk, zu seiner Kirche und insbesondere zum Schulwesen fand er hier bei den reichen Bauern und armen Tagelöhnern, bei Meisterleuten und Dienstboten. Hier wuchs auch das Interesse und die Liebe zum Bauern- und Brauchtum, das später – oft mit spitzer Feder – Eingang in seine Romane und Erzählungen fand.
In seiner bekannten «Schulhauspredigt» vom 4. Februar 1821 – lange bevor er mit seinem Erstlingsroman «Der Bauernspiegel» (1836) unter dem Pseudonym «Jeremias Gotthelf» als Schriftsteller in Erscheinung trat – überlistete er die Utzenstorfer zum Bau eines neuen Schulhauses, indem er ihnen zynisch-scharf vorhielt, sie seien zu arm, um eines zu bauen!

«… Mein Lebtag habe ich nicht gedacht, dass es mit euch so weit gekommen wäre und ihr so übel stündet; dass ihr keine reiche Gemeinde seiet, wusste ich wohl, aber für wohlhabend hielt ich euch doch. Sah man doch recht stattliche Häuser bauen von einzelnen Partikularen, viele Häuser neu unterziehen, erweitern, neues Stallwerk machen. (...).
Aber nun glaub ich es, dass ihr arm, blutarm seid und dem gänzlichen Aushausen nahe, und werde es auch allenthalben sagen und bekannt machen, damit man mit euch armen Leuten Mitleiden und Bedauern habe, seitdem ihr beschlossen, wegen nicht zu erschwinglichen Kosten kein Schulhaus zu bauen …»

Diese «Kropfleerete» war Basis für das Kapitel «Wie man zu Gytiwyl ein Schulhaus baut» im Roman «Leiden und Freuden eines Schulmeisters» (Band 2). Sie ist aber auch bereits Same für den späteren Roman «Käserei in der Vehfreude», wo den Vehfreudigern ein Käserei-Neubau auch wichtiger war als jener eines Schulhauses.

Jugendzeit prägte Gotthelf
Wie sehr das Umfeld seiner Jugendzeit den späteren Schriftsteller «Gotthelf» prägte, geht nicht zuletzt auch aus den jeweiligen Hinweisen in verschiedensten Werken hervor. So ist die Utzens-torfer Gegend in der «Wassernot im Emmental» sehr präsent. Aber auch im «Dursli, der Branntweinsäufer», im «Kurt von Koppigen», im «Sylvestertraum» und natürlich im Roman «Anne Bäbi Jowäger» prägen Menschen und Begebenheiten aus den «Dörfern», wie Gotthelf diese Region bezeichnete, den Inhalt des Geschehens.

Serie Jeremias Gotthelf
Zum 225. Geburtstag von Jeremias Gotthelf (1797 bis 1854) berichtet der «UE» in monatlichen Beiträgen von Fritz von Gunten über das Leben des streitbaren wie versöhnlichen Pfarrherren. Mit seinem literarischen Werk zählt er zu den bedeutendsten Schriftstellern unseres Landes. Seine Gedanken und Aussagen sind gerade in der bewegten Corona- und Klima-Diskussion aktueller denn je.

Von Fritz von Gunten