Hansjörg Lüthi: «Wir sind zurück in einer verhaltenen Normalität»
Eingeschränkte Freiheiten einerseits, «Entwurzelung» durch den Auszug aus dem «Alten Haslibrunnen» in einen Pavillon andererseits: Die Corona-Krise kam für die Bewohnerinnen und Bewohner sowie die Mitarbeitenden des Alterszentrums Haslibrunnen in Langenthal im ungünstigsten Augenblick. Doch der wegen dem Neubau lange geplante Umzug musste vollzogen werden. Geschäftsführer Hansjörg Lüthi zieht nach einem Jahr Provisorium eine positive Bilanz. «Ich bin immer wieder beeindruckt, wie gut und wie stark hochaltrige Menschen mit Krisen und Schicksalsschlägen umgehen.» Und nun sind fast alle Massnahmen aufgehoben. Besteht grosse Freude oder doch eher Respekt?
Langenthal · Hansjörg Lüthi, seit Mitte Februar sind fast alle Corona-Massnahmen aufgehoben. Was bedeutet es für Sie persönlich?
Ich habe eine innere Zuversicht und blicke auf ein positives 2022. Diese positive Einstellung will ich auch als Vorbild für unsere Klienten und Bewohner vorleben.
Was bedeutet das für das Alterszentrum Haslibrunnen?
Zurück zu einer verhaltenen Normalität. Wir beschäftigen uns schon lange mit dem Thema «New Normal» und damit, wie uns die Erkenntnisse aus der Covid-Zeit verändern werden. Trotzdem wollen wir möglichst viel Freiheit geniessen, ohne die Aufmerksamkeit zur Problematik zu verlieren.
Wie wurden die Lockerungen von den Bewohnenden und Mitarbeitenden aufgenommen? Spüren Sie Erleichterung oder eher Respekt oder gar Angst?
Wir sind alle ein Teil der Gesellschaft, wir haben die gleichen Emotionen zu dieser Thematik. Im Grossteil wird es als Erleichterung aufgenommen. Die Bewohnenden haben eigentlich wieder denselben Alltag wie vor der Krise. Bei den Mitarbeitenden ändert sich nicht viel, da eine der wichtigsten Einschränkungen, die Maskentragpflicht, ja bestehen bleibt.
Wo gibt es markante Veränderungen?
Alle Formen von Kontakten sind wieder möglich, wie etwa Besuche im Zimmer oder in anderen Räumen. Wir haben auch keine Einschränkungen der Gruppengrössen mehr. Sicher ist, dass jetzt auch wieder grössere Anlässe mit Externen möglich sind. Und für die Nichtimmunisierten entfällt die regelmässige Testung. Das gibt uns eine grosse Erleichterung und wir können uns wieder vermehrt unserer Kernaufgabe widmen.
Worauf müssen Besuchende und Mitarbeitende künftig besonders achten? Gibt es noch Einschränkungen?
Das Wichtigste ist, die Aufmerksamkeit hoch zu halten, Symptome zu beobachten, dies vor allem nach Besuchen und nach grösseren Gruppenansammlungen. Bei Verdacht wird sofort getestet und es werden gegebenenfalls Massnahmen eingeleitet. Das haben wir immer so gehandhabt und konnten so glücklicherweise Ansteckungen im Hause verhindern.
Für die «Haslibrunner» waren die letzten beiden Jahre eine doppelte Herausforderung. Corona und Einschränkungen einerseits. Andererseits mussten sie vor einem Jahr die gewohnte Umgebung verlassen und ins Provisorium umziehen. Wie haben die Bewohnerinnen und Bewohner das verarbeitet?
Ich bin immer wieder beeindruckt, wie gut und wie stark hochaltrige Menschen mit Krisen und Schicksalsschlägen umgehen. Ich denke, die grosse Lebenserfahrung hilft, auch in einer solchen Phase den eigenen Lebensentwurf weniger zu verfolgen und den eigentlichen Sinn vom Leben zu sehen. Den Umzug – inklusive den Vorbereitungen für die grosse Züglete sowie auch das Einleben im neuen Gebäude – haben die meisten vorbildlich gestaltet. Mein Team hat sie auch eng dabei begleitet, um es so annehmlich und angenehm wie nur möglich zu machen.
Was für Schwierigkeiten traten auf? Wo mussten Änderungen im Betrieb, in den Abläufen, bei der Betreuung vorgenommen werden? Was war die grösste Herausforderung?
Es war ein neues Zuhause, zu Beginn mussten wir alles unternehmen, um uns wieder wohl zu fühlen. Dazu gehörten unter anderem, eigene Bilder aufzuhängen, persönliche Kleinmöbel zu organisieren, schönes Dekorieren … Betrieblich haben von Beginn an die wichtigsten Prozesse alle sehr gut geklappt. Das war sicher die Frucht der langen Vorbereitungsphase von rund einem Jahr. Trotzdem mussten wir uns an die deutlich längeren Wege gewöhnen. Deswegen gibt es unterwegs in den Gängen auch immer wieder schöne Sitzgelegenheiten. Die grössten Schwierigkeiten für das Personal waren sicher die fehlenden rückwärtigen Räume. Wir haben keine Lagerräume, alles muss von unseren Aussenstationen, der Haldenstrasse und der Alten Mühle geholt werden. Ablaufmässig waren die fehlende Küche respektive der Transport von der Küche in der Alten Mühle in den Pavillon die grösste Herausforderung. Hier brauchte es viele verschiedene Anpassungen und Optimierungen.
Gab es nach dem Umzug ins Provisorium negative Reaktionen von Bewohnern oder deren Angehörigen? Der nochmalige Wechsel des «Daheims» stelle ich mir im hohen Alter als recht schwierig vor?
Diese Vorstellung hat vor allem den Angehörigen zu schaffen gemacht. Die Bewohnenden haben es absolut locker genommen. Das «Heimweh» respektive die Erinnerungen an den Altbau wurden schnell durch aktuelle Themen und Emotionen überlagert.
Wie schaffen Sie es, die Bewohnerinnen und Bewohner sowie die Mitarbeitenden bei Laune zu halten?
Im Haslibrunnen hat die Alltagsgestaltung beziehungsweise die Aktivierung schon traditionsgemäss einen sehr hohen Stellenwert. Wir haben in diesem Bereich eine sehr hohe Kompetenz und ein sehr aktives und einfühlsames Aktivierungsteam. Das hilft uns natürlich, die nicht immer einfachen Situationen in dieser Übergangslösung mit positiven Erlebnissen zu überbrücken.
Besuche von Lamas und Hunden und viele weitere Aktivitäten: Sie bieten ein sehr kreatives «Unterhaltungsprogramm» an. Das ist so ganz anders als früher, als – überspitzt formuliert – zwischen dem Aufstehen und Schlafengehen nur die Mahlzeiten auf dem Programm standen. Sind die Seniorinnen und Senioren deutlich anspruchsvoller geworden oder entspricht dies vor allem Ihrer persönlichen Philosophie, womit sich das «Haslibrunnen» markant von anderen Alterszentren unterscheidet?
Wie erwähnt gehört die Alltagsgestaltung zu einem unserer Steckenpferde. Es geht nicht darum, möglichst viel anzubieten, sondern genau das Richtige. Das bedeutet, dass wir die Bedürfnisse der Bewohnenden und unserer anderen Zielgruppen gut kennen müssen. Es geht darum, den Tag so sinnstiftend wie möglich zu gestalten. Das Thema Tier ist nach dem Thema Jugend eines der wichtigsten in einer Institution wie der unseren. Mit Tieren kann eine Beziehung aufgebaut werden, sie können berührt oder einfach nur angeschaut werden. Und dies alles wertfrei und ohne voreingenommen zu sein. Ein sehr schönes Erlebnis für die Bewohnenden. Deswegen halten wir im Tageszentrum auch Kaninchen und Schildkröten, ebenfalls haben wir dort auch immer wieder Schafe und Ziegen zu Besuch.
Sie haben relativ viele offene Stellen (sieben) auf Ihrer Homepage ausgeschrieben. Ist dies auf Fluktuationen zurückzuführen oder geschieht dies im Hinblick auf den Umzug ins neue «Haslibrunnen» im Jahre 2023?
Wir sind ein Betrieb mit vier verschiedenen Geschäftsbereichen und mit über 150 Mitarbeitenden. Zudem stehen wir am Anfang eines Wachstumsschubs: Wir werden im neuen Haslibrunnen rund 66 Bewohnende mehr beherbergen können. Und so bereiten wir uns tatsächlich auf den Betrieb im Neubau vor. Von daher werden wir schon dieses Jahr mit dem Aufbau der Teams beginnen respektive haben schon damit begonnen. Aber die laufenden Inserate sind schon ein Indiz, dass der Arbeitsmarkt im Bereich der Pflege und der Gastronomie recht ausgetrocknet ist. Ein gewisser Respekt besteht, dass wir nicht genügend qualifiziertes Personal finden.
Gab es auch Abgänge durch Berufswechsel, weil die Belastung in der Corona-Zeit für Vereinzelte zu gross wurde?
Dieser Effekt ist mir nicht bekannt. Es sind meistens persönliche Gründe wie Pensionierungen oder familiäre Gründe, die in der letzten Zeit zu Austritten geführt haben. Aber die Corona-Zeit hat schon ihre Spuren hinterlassen. In den letzten beiden Jahren wurde in unserer Branche extrem viel von allen gefordert. Leider haben das die Regierung wie auch die Tarifpartner zu wenig realisiert. Es war nicht immer lustig, wir haben aber immer das Beste daraus gemacht und wollen daher nicht jammern.
Andere Alterszentren wie jenes in Grünenmatt schliessen, weil sie nicht genügend ausgebildetes beziehungsweise qualifiziertes Personal finden. Haben Sie da keine Probleme?
Aktuell verzeichnen wir immer noch relativ viele Blindbewerbungen. Bei einzelnen, spezifischen Funktionen sehen aber auch wir, dass es immer mehr einen «War for Talents» gibt. Von einer Reduktion des Leistungsangebots sind wir im Moment zum Glück noch weit entfernt.
Sie sind jetzt bald acht Jahren Leiter des Alterszentrum Haslibrunnen. Was war die markanteste Veränderung bei der Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner?
Der Professionalisierungsgrad hat sich deutlich verändert. Es wird Fachlichkeit mit Menschlichkeit auf einem hohen Niveau verfolgt. Und das unter den aktuellen Voraussetzungen wie Ressourcen und Tarife, welche immer herausfordernder werden. Zudem sind die Auswirkungen der Pflegeinitiative spürbar. Die Inhalte der Initiative sind sehr gut – aber die Umsetzung gestaltet sich schwierig.
Und wie sieht ein Altersheim im Jahre 2040 aus? Wohin geht die Entwicklung?
Das Angebot im Jahr 2040 wird deutlich vielfältiger sein. Einerseits wird es pro Region (Kompetenz-)Zentren mit einem breiten Angebot für alle Senioren und weiteren Zielgruppen geben. Auf der anderen Seite werden sich die kleineren Institutionen in Kooperationen mit einem Netzwerk im Sinne der integrierten Versorgung begeben. Alles andere ist nicht mehr führ- und finanzierbar. Ich erachte es als wichtig, das Angebot auf die Bedürfnisse der Bewohnenden auszurichten. Dabei gehe ich auch von mir selber aus und frage mich: Was für Wünsche habe ich jetzt, die ich mir gerne auch im hohen Alter erfüllen möchte.
Viele Alterszentren in der Region haben in den letzten Jahren Millionen von Franken in den Um- und Ausbau investiert. War das wirklich notwendig oder spielte da nicht auch ein wenig Panik mit, den Anschluss nicht zu verpassen?
Natürlich dürfen wir den Anschluss nicht verpassen, das beziehe ich aber nicht nur auf die Infrastruktur, sondern auch auf das Leistungsangebot, die Qualität sowie das gesamte Geschäftsmodell. Stehen bleiben kann sich definitiv kein Anbieter mehr leisten, sonst verpasst er die Zukunft. Dies ist aber eine tolle Herausforderung, die die Verantwortlichen mit einer positiven Einstellung annehmen sollten.
Diese Millionen müssen ja auch wieder verdient werden. Geht das auf (höhere) Kosten der Bewohnenden?
Nein, definitiv nicht. In den letzten Jahren ging die Schere zwischen Tarifen und Aufwendungen wie etwa für die Löhne immer mehr auseinander. Im Kanton Bern ist die Finanzierung eines Pflegeheim-Platzes so geregelt, dass es sich jeder leisten kann. Das ist aus Sicht der Kunden beziehungsweise der Bewohnenden eine tolle Lösung. Bei der Änderung der Finanzierung von Bauvorhaben ist mit dem Wechsel von der Objektfinanzierung zur Subjektfinanzierung die Grundlage gelegt worden, dass alle die gleich langen Spiesse bei den Um- und Ausbauten der Gebäude haben.
Sie sind ja auch unter die Gastronomen gegangen. Wie läuft es mit der Alten Mühle? Auch hier suchen Sie Personal. Zusätzlich oder als Ersatz?
Die Gastronomie-Branche ist in den letzten beiden Jahren sehr arg gebeutelt worden. Leider haben wir den Vertrag betreffend der Alten Mühle noch vor der Corona-Krise vereinbart. Ein Betrieb zu führen in einem solch altehrwürdigen Gebäude mit den aktuellen Voraussetzungen, die für einen Gastronomie-Betrieb alles andere als ideal sind, ist eine sehr grosse Herausforderung. Aktuell sehen wir aber, dass die Anfragen vor allem im Bankett- und Seminar-Bereich wieder anziehen. Den März werden wir nun mit verschiedenen tollen Fasnachtsveranstaltungen wie dem Gönnerabend, der Fasnachtsparty und dem Schnitzelbank-Abend hoffentlich erfolgreich starten.
Im Herbst 2023 werden Sie ins neue Haslibrunnen einziehen. Worauf freuen Sie sich am meisten und was wird die grösste Herausforderung bis dann?
Der Bezug des Neubaus ist eine einmalige Chance, die man in einem Berufsleben nur einmal erhält. Mit dem Neubau werden wir eine moderne und trotzdem heimelige Erfahrungswelt erhalten, in der ganz viel möglich sein wird. Es ist das Resultat eines langjährigen und gut vorbereiteten Strategie-Prozesses. Wir werden auf engstem Raum sehr viel verschiedene Dienstleistungen anbieten können, genau so, wie sie von den zukünftigen Senioren auch erwartet werden.
Marianne Ruch im Gespräch mit Hansjörg Lüthi, Geschäftsführer des Alterszentrum Haslibrunnen in Langenthal