Harter Weg zu mehr Einigkeit beim Verkehr
Bei einem Gedankenaustausch mit der Stadt haben Langenthals Detaillisten ihren Sorgen und Ängsten bezüglich der geplanten Verkehrsmassnahmen im Stadtzentrum Ausdruck verliehen. Der gutbesuchte Anlass der Stadtvereinigung (SVL) im Stadttheater hat gezeigt, dass viele Detaillisten einer zusätzlichen 20er-Begegnungszone sowie Durchfahrtsbeschränkungen im Ortskern eher ablehnend gegenüberstehen. Eine wirklich klar umrissene, übereinstimmende Forderung an die Adresse der Stadt war vonseiten des lokalen Detailhandels aber nicht herauszuhören. Die grösste Errungenschaft des Abends ist wohl, dass es künftig regelmässiger zum Austausch zwischen SVL und Stadt kommen soll.
Bittet man Langenthals Bevölkerung um Ideen zur Weiterentwicklung des Stadtzentrums, heisst es sofort, der motorisierte Individualverkehr müsse reduziert werden. Weniger Verkehr sowie eine begrünte und belebte Innenstadt kommen den Langenthalerinnen und Langenthalern tatsächlich als erstes in den Sinn, wenn sie an die Zukunft ihres Stadtzentrums denken – dies geht aus einer breiten Bevölkerungsbefragung von 2021 hervor. Die Sache mit der Begrünung und vor allem Belebung der Innenstadt dürfte auch unter Langenthals Detaillisten unumstritten sein. Abweichend sieht es jedoch beim Verkehr aus – diesbezüglich tickt der lokale Detailhandel anders als die breite Bevölkerung. Massnahmen, die darauf abzielen, den Durchgangsverkehr im Stadtzentrum zu reduzieren, kommen bei den hiesigen Ladenbesitzern nicht gut an. Dies kam beim Anlass der Stadtvereinigung Langenthal (SVL), die für letzten Donnerstagabend zum Gedankenaustausch mit Vertretern der Stadt Langenthal eingeladen hatte, ziemlich klar zum Ausdruck. Kritisiert wurden primär die Vorhaben der Stadt, zwischen Manor und Coop-Kreisel eine neue Begegnungszone mit Tempo 20 einzurichten und diese Verkehrsachse mittels einer Durchfahrtsbeschränkung vom übermässigen Transitverkehr zu befreien (der «Unter-Emmentaler» berichtete). Sollte ein solches Verkehrsregime in der Innenstadt tatsächlich Realität werden, sei von einer abschreckenden Wirkung auszugehen, was sich negativ auf die Besucherfrequenzen und die Umsatzentwicklung auswirke, so der Tenor der Lädeler, die sehr zahlreich im Stadttheater erschienen waren, wo der Gedankenaustausch mit der Stadt stattfand. Als Negativbeispiele wurden Städte wie Burgdorf, Zofingen oder Amriswil herangezogen, wo verkehrsberuhigende Massnahmen und/oder Durchfahrtsbeschränkungen das geschäftliche Treiben in den Innenstädten abgewürgt hätten.
Gewisse Lädeler hängen am Durchgangsverkehr
Die zahlreichen Wortmeldungen der Detaillisten folgten zwar keinem klaren Muster, liessen aber in der Summe dennoch erkennen, dass viele Lädeler den Durchgangsverkehr und die unmittelbare Erreichbarkeit ihrer Geschäfte per Auto nach wie vor als erfolgsversprechende Faktoren für ihr Wirtschaften ansehen. Dieser Überzeugung könnte man Zahlen aus der bereits zitierten Bevölkerungsbefragung entgegenhalten, die besagen, dass von den Langenthalerinnen und Langenthalern nur gerade 20 Prozent das Stadtzentrum mit dem Auto aufsuchen – die grosse Mehrheit der Einheimischen kommt derweil zu Fuss, mit dem Velo oder mit dem Bus. Von den auswärtigen Personen gelangen knapp zwei Drittel mit dem Auto ins Stadtzentrum; ein Drittel mit dem Velo, zu Fuss oder per Bus. Es sind Zahlen, die auch Stadtpräsident Reto Müller (SP) bei seiner kurzen Präsentation eingangs des Gedankenaustauschs mit der SVL ins Feld führte. Das Zahlenmaterial vermochte beim Publikum jedoch nur sehr bedingt zu verfangen. Dies offenbar deshalb, weil Langenthals Detaillisten andere Zahlen kennen beziehungsweise aus dem Geschäftsalltag heraus eine andere Wahrnehmung haben: Stellvertretend für mehrere Detaillisten gab etwa Michael Schenk vom Blumenladen Schenk zu Protokoll, ein grosser Teil der hiesigen Geschäfte lebe gerade und insbesondere von auswärtigen Kundinnen und Kunden – und nicht unbedingt von Langenthalerinnen und Langenthalern. Seiner Ansicht nach würden sogar 80 Prozent der auswärtigen Personen mit dem Auto nach Langenthal zum Einkaufen kommen. Eine Zahl, die – sofern sie Hand und Fuss hat – tatsächlich zum Nachdenken anregen kann. Denn schliesslich wird davon ausgegangen, dass die 16 000-Seelen-Stadt Langenthal ein Einzugsgebiet von insgesamt rund 80 000 Personen hat – sehr viele Personen also, die potenziell von auswärts mit dem Auto nach Langenthal zum Einkaufen kommen können. Diese Personen dürfe man nicht mit abschreckenden Verkehrsmassnahmen vergraulen, sondern solle sie stattdessen bei uns willkommen heissen, so die vorherrschende Meinung der SVL-Vertreter.
Das Parkleitsystem muss kommen
Ein probates Mittel, um auswärtige Autofahrende in der Stadt willkommen zu heissen, wäre ein dynamisches Parkleitsystem. Ein solches müsse jetzt endlich eingeführt werden; man diskutiere schon viel zu lange daran herum, liessen einige Detaillisten verlauten. Stadtpräsident Reto Müller versprach abermals, dass ein dynamisches Parkleitsystem eingeführt werde, noch bevor in der Innenstadt ein neues Temporegime oder Durchfahrtsbeschränkungen erlassen würden. Das Projekt Parkleitsystem soll gemäss aktuellem Kenntnisstand noch in diesem Jahr erarbeitet werden – als vorgezogene Massnahme aus dem Agglomerationsprogramm 4, für welches es Unterstützungsbeiträge gibt. Die Installation eines Parkleitsystems rückt also ab 2025 in den Bereich des Machbaren und Möglichen. Angeregt wurde vonseiten der Lädeler auch, man möge die Beschilderung optimieren, um den Verkehr besser über die Hauptverkehrsachsen leiten zu können. Viele auswärtige Verkehrsteilnehmer würden auch deshalb einfach den Transitweg durchs Stadtzentrum wählen, weil sie gar nicht wüssten, dass ausgebaute Achsen – wie etwa die Waldhof- oder die St.-Urbanstrasse – bestünden. Auch das bereits installierte Lastwagenfahrverbot, das neuerdings im Stadtzentrum gelte, müsse bereits an früherer Stelle signalisiert werden – etwa beim Auberge-Kreisel –, damit LKW-Fahrende gar nicht erst auf den Gedanken kommen würden, via Aarwangenstrasse in Richtung Stadtzentrum hineinzufahren. «Mit einer allgemein besseren Signalisation könnten wir den Durchgangsverkehr bereits wesentlich reduzieren», zeigte sich Michael Schenk überzeugt. Den Punkt mit der besseren Signalisation sowie weitere Anregungen aus dem Plenum nahmen die anwesenden Vertreter der Stadt, darunter nebst Stapi Reto Müller auch die beiden FDP-Gemeinderäte Markus Gfeller und Michael Schär, interessiert entgegen.
Begleitende Massnahmen zwingend
Spannend zu beobachten war, dass je länger der Gedankenaustausch ging, desto weniger über das eigentliche Kernthema – der Verkehr in der Innenstadt – diskutiert wurde. Stattdessen driftete die Debatte eher in Richtung Stadtmarketing und Attraktivierung und Belebung des Stadtzentrums. Sollten tatsächlich verkehrsberuhigende Entscheide umgesetzt werden, seien diese zwingend mit flankierenden Massnahmen zu versehen, lautete eine gewisse Konsensmeinung des Abends. Massnahmen, die für ein durchmischtes, belebtes und attraktives Stadtzentrum sorgen. Eine absolute Knalleridee wurde zwar auch an diesem Abend nicht aus der Taufe gehoben, doch vonseiten der Detaillisten wurde abermals das Vorhaben mit der flexiblen Möblierung genannt, mittels welcher beispielsweise die Obere Marktgasse in den wärmeren Monaten einfach und unkompliziert mit Gastronomie und Sitzgelegenheiten bespielt werden könnte. «Alles, was im Stadtzentrum ein Erlebnis schafft, läuft in der Regel sehr gut und zieht Menschen an», bekräftigte Reto Müller, der die Hinweise bezüglich Belebung entgegennahm, seinerseits den Ball aber auch an die anwesenden Detailhandelsvertreter zurückspielte. Diese zeigten sich teilweise durchaus selbstkritisch und sagten, es liege auch an ihnen, innovativ zu bleiben und für mehr Betrieb im Stadtzentrum zu sorgen.
Angebot wichtiger als Verkehr?
Beinahe versöhnlich war in diesem Zusammenhang die Wortmeldung von Apotheker Christian Lanz, der sich seinerseits zwar ebenfalls gegen einschränkende Verkehrsmassnahmen aussprach, der aber interessanterweise den Branchen- und Angebotsmix als das vermutlich wahre und entscheidende Moment des Langenthaler Detailhandels herausschälte und benannte. «Unser Stadtzentrum ist attraktiv, weil wir hier keinen Einheitsbrei haben. Wir bieten verschiedene und hochwertige Produkte an, erbringen unterschiedlichste Dienstleistungen und beraten die Menschen persönlich und auf hohem Niveau. Auch wenn das Zentrum von den Einheimischen oft schlechtgeredet wird, Auswärtige bewerten Langenthal und unseren Mix durchwegs als positiv», sagte Lanz.
Seine Worte hallen nach. Vielleicht ist also gar nicht unbedingt die Verkehrsregelung das matchentscheidende Thema, sondern vielmehr der Angebots- und Erlebnismix im Stadtzentrum, der mit geeigneten Massnahmen gehegt, gepflegt und gefördert werden muss? Jedenfalls entstand der Eindruck, dass, wenn bloss die Palette an attraktiven Einkaufs- und Erlebnismöglichkeiten stimmt und man eine klare Vision fürs Stadtzentrum hat, die Leute auch so nach Langenthal pilgern und zentrumsnahe Parkhäuser und nahegelegene Parkplätzen aufsuchen werden – egal, ob die Kernstadt nun verkehrsberuhigt ist oder nicht.
Erneutes Treffen zwischen SVL und Stadt in einem Jahr
Allen Diskussionen zum Trotz: Wesentlich schlauer waren nach rund eineinhalbstündigem Dialog wohl die wenigsten Anwesenden. Auf konkrete Ergebnisse war der Abend allerdings auch nicht ausgelegt gewesen – vielmehr sollte es ein Gedankenaustausch sein, damit der Gemeinderat und die übrigen Vertreter der Stadt, darunter der neue Stadtbaumeister Jürg Blattner und Tiefbauleiter Pierre Masson, den Puls des lokalen Detailhandels fühlen konnten.
Ein konkretes Ergebnis zeitigte der Anlass aber dennoch: Reto Müller versprach in seinem Schlusswort, der Dialog zwischen Gemeinderat und SVL müsse intensiviert werden. Ein Austausch bloss alle paar Jahre reiche nicht aus. Er schlug den Anwesenden daher vor, in einem Jahr, im Winter 2025, wieder ein Treffen anzusetzen. Dannzumal zwischen SVL-Vertretern und dem nach den Wahlen neu zusammengesetzten Langenthaler Gemeinderat. Ein Vorschlag, dem die SVL kommentarlos zustimmte. Weiter konnte Müller versichern, dass dieses Jahr im Stadtzentrum weder grössere bauliche Massnahmen umgesetzt noch neue Signalisationen eingeführt würden. Die Situation bezüglich Verkehr im Stadtzentrum bleibt also vorderhand offen und spannend.
Von Patrick Jordi